Blutrünstiger Tagtraum
Der erste Teil, Tokyo Ghoul, hatte die Normalität noch zum festen Maßstab: ganz normaler Literaturstudent Kaneki hatte einen ganz normalen besten Freund, verliebte sich ganz normal in eine junge Frau. Wider seinen Willen zum Ghul (Menschenfresser) mutiert, hatte Kaneki zuerst noch ganz normale Bedenken: ist es unvermeidbar, dass Ghouls und CCG (Ghul-Jäger) sich gegenseitig filetieren, wie wilde Tiere? Ist es vertretbar, als Ghul andere Menschen zu fressen, um zu überleben? Wie kann ein Menschenfresser zu einem normalen Leben unter Menschen zurückfinden? Kann er das überhaupt?
Tokyo Ghoul: re entblößt sich von all diesen Feigenblättern. Sämtliche normalen Charaktere des ersten Teils ließ die abschließende Schlacht tot, bewusstlos, traumatisiert oder zum Ghul degradiert zurück. Kaneki stellt sich längst keine normalen Fragen mehr, ist er doch längst kein normaler junger Mann mehr - und war es, wie sich herausstellt, nie gewesen. Der "Protagonist" ist nunmehr eine Collage aus Persönlichkeiten - und normal ist keine einzige davon. Im ersten Teil noch ein zaghaftes Stimmchen der Normalität, wird Kaneki zur immer wichtigeren Figur im Karussell des gegenseitigen Mordens zwischen Ghuls und CCG.
Tokyo Ghoul implizierte bereits, dass die CCG eine uneinheitliche Organisation ist und von reinen Beschützern der zivilen Bevölkerung vor Ghuls weit entfernt, dass es da noch diese merkwürdigen Clowns gibt. Tokyo Ghoul: re greift diesen Strang auf: als Folge werden die Fronten unschärfer. Der eigentliche Antagonist lässt seine Maske fallen. Fraktionen zerbrechen und werden neu geformt. Hierzu passt Kanekis wechselhafte Psyche. Debütierte Kaneki noch als normaler Protagonist, so wird der Menschenfresser nun eins mit dem Strom der Handlung: dieser verschlingt alle, die ihn aufhalten wollen.
Tokyo Ghoul: re ist ein guter Manga. Er entfesselt die Psychosen, die den Charakteren im ersten Teil in die Wiege gelegt wurden. Und führt viele, fast unnötig viele weitere Psychotiker ein, bei denen man sich allerhöchstens noch merkt, wie sie morden - das Warum bekommt der Leser nur zwischendurch erklärt, wenn es hochkommt. Auch eine Heilsbotschaft gibt es nicht. Der aus einer Palette unheimlicher Triebe zusammengewürfelte Antagonist verkündet zwar, einen obskuren Megafrieden ("Super Peace") anzustreben, zwar strebt auch Kaneki poetische Ziele an, doch ihre Taten entfernen das Tokyo Ghoul-Universum so weit wie nur denkbar vom stabilen Frieden.
Einen kleinen Lichtblick, Anker der Stabilität, Zufluchtsort des Friedens gibt es aber doch. :re ist der Nachfolger des Café Antik aus dem ersten Teil, nun geführt von Touka. Die junge Frau scheint sich mit ihrem Ghul-Dasein arrangiert zu haben, ist wunderschön geworden und serviert normalen Leuten normalen, ja, sogar guten Kaffee. Tokyo Ghoul: re spielt mit der Erwartung des Lesers, Kaneki würde in jene Normalität zurückkehren. Aber :re könnte nicht nur für Rückkehr (return) stehen, sondern ist auch ein maltesisches Wort für "König". Auch der Einäugige König könnte also mit :re gemeint sein - der sagenhafte Revolutionär in der Welt der Ghul, auf den immer wieder Bezug genommen wird.
Tokyo Ghoul: re pendelt zwischen Psychothriller, Splatterfilm und Fighting-Shōnen, zwischen weiß, grau und schwarz, wie das Haar des Protagonisten. Als Faustregel werden, nach einigen eher trägen Bändern (die ersten fünfzig Kapitel halten sich etwas zu sehr an Nebenschauplätzen auf, statt die spannendsten Figuren des ersten Teils zu beleuchten), in jedem Kapitel etwa zwei Charaktere mit etwa fünf monströsen Anti-Ghul-Waffen oder etwa zehn Ghul-Tentakeln aufgespießt. Absichtlich überzeichnete, völlig kafkaeske Mimik vermittelt von jedweder Normalität losgelöste Emotionen. Im späteren Verlauf werden auch Stilmittel, wie in Internet-Slang denkende (LOL) oder lachende (kekekekekekekek) Charaktere nahtlos in den aus jeder Seite quellenden Wahnsinn eingewoben.
Einziger Wermutstropfen: die Zeichnungen während der zahllosen Kampfszenen könnten viel, viel sauberer und übersichtlicher sein.
Der erste Teil, Tokyo Ghoul, hatte die Normalität noch zum festen Maßstab: ganz normaler Literaturstudent Kaneki hatte einen ganz normalen besten Freund, verliebte sich ganz normal in eine junge Frau. Wider seinen Willen zum Ghul (Menschenfresser) mutiert, hatte Kaneki zuerst noch ganz normale Bedenken: ist es unvermeidbar, dass Ghouls und CCG (Ghul-Jäger) sich gegenseitig filetieren, wie wilde Tiere? Ist es vertretbar, als Ghul andere Menschen zu fressen, um zu überleben? Wie kann ein Menschenfresser zu einem normalen Leben unter Menschen zurückfinden? Kann er das überhaupt?
Tokyo Ghoul: re entblößt sich von all diesen Feigenblättern. Sämtliche normalen Charaktere des ersten Teils ließ die abschließende Schlacht tot, bewusstlos, traumatisiert oder zum Ghul degradiert zurück. Kaneki stellt sich längst keine normalen Fragen mehr, ist er doch längst kein normaler junger Mann mehr - und war es, wie sich herausstellt, nie gewesen. Der "Protagonist" ist nunmehr eine Collage aus Persönlichkeiten - und normal ist keine einzige davon. Im ersten Teil noch ein zaghaftes Stimmchen der Normalität, wird Kaneki zur immer wichtigeren Figur im Karussell des gegenseitigen Mordens zwischen Ghuls und CCG.
Tokyo Ghoul implizierte bereits, dass die CCG eine uneinheitliche Organisation ist und von reinen Beschützern der zivilen Bevölkerung vor Ghuls weit entfernt, dass es da noch diese merkwürdigen Clowns gibt. Tokyo Ghoul: re greift diesen Strang auf: als Folge werden die Fronten unschärfer. Der eigentliche Antagonist lässt seine Maske fallen. Fraktionen zerbrechen und werden neu geformt. Hierzu passt Kanekis wechselhafte Psyche. Debütierte Kaneki noch als normaler Protagonist, so wird der Menschenfresser nun eins mit dem Strom der Handlung: dieser verschlingt alle, die ihn aufhalten wollen.
Tokyo Ghoul: re ist ein guter Manga. Er entfesselt die Psychosen, die den Charakteren im ersten Teil in die Wiege gelegt wurden. Und führt viele, fast unnötig viele weitere Psychotiker ein, bei denen man sich allerhöchstens noch merkt, wie sie morden - das Warum bekommt der Leser nur zwischendurch erklärt, wenn es hochkommt. Auch eine Heilsbotschaft gibt es nicht. Der aus einer Palette unheimlicher Triebe zusammengewürfelte Antagonist verkündet zwar, einen obskuren Megafrieden ("Super Peace") anzustreben, zwar strebt auch Kaneki poetische Ziele an, doch ihre Taten entfernen das Tokyo Ghoul-Universum so weit wie nur denkbar vom stabilen Frieden.
Einen kleinen Lichtblick, Anker der Stabilität, Zufluchtsort des Friedens gibt es aber doch. :re ist der Nachfolger des Café Antik aus dem ersten Teil, nun geführt von Touka. Die junge Frau scheint sich mit ihrem Ghul-Dasein arrangiert zu haben, ist wunderschön geworden und serviert normalen Leuten normalen, ja, sogar guten Kaffee. Tokyo Ghoul: re spielt mit der Erwartung des Lesers, Kaneki würde in jene Normalität zurückkehren. Aber :re könnte nicht nur für Rückkehr (return) stehen, sondern ist auch ein maltesisches Wort für "König". Auch der Einäugige König könnte also mit :re gemeint sein - der sagenhafte Revolutionär in der Welt der Ghul, auf den immer wieder Bezug genommen wird.
Tokyo Ghoul: re pendelt zwischen Psychothriller, Splatterfilm und Fighting-Shōnen, zwischen weiß, grau und schwarz, wie das Haar des Protagonisten. Als Faustregel werden, nach einigen eher trägen Bändern (die ersten fünfzig Kapitel halten sich etwas zu sehr an Nebenschauplätzen auf, statt die spannendsten Figuren des ersten Teils zu beleuchten), in jedem Kapitel etwa zwei Charaktere mit etwa fünf monströsen Anti-Ghul-Waffen oder etwa zehn Ghul-Tentakeln aufgespießt. Absichtlich überzeichnete, völlig kafkaeske Mimik vermittelt von jedweder Normalität losgelöste Emotionen. Im späteren Verlauf werden auch Stilmittel, wie in Internet-Slang denkende (LOL) oder lachende (kekekekekekekek) Charaktere nahtlos in den aus jeder Seite quellenden Wahnsinn eingewoben.
Einziger Wermutstropfen: die Zeichnungen während der zahllosen Kampfszenen könnten viel, viel sauberer und übersichtlicher sein.
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