Objektivieren heißt, dass man behauptet, man würde nicht nur über seine eigenen Ansprüche und Maßstäbe sprechen, sondern über die einer größeren Gruppe. Man beruft sich auf Regeln, an die sich jeder Anime halten müsse, weil er sonst ganz unabhängig von persönlichen Vorlieben fehlerhaft sein soll. Wer das nicht so sieht soll im Unrecht sein.
Mal angenommen jemand sagt: "Die Handlung von diesem Anime ist (handwerklich) schlecht geschrieben". Das ist zunächst mal subjektiv. Die Person hat eine bestimmte Vorstellung vom "Handwerk" (über die wir nichts wissen) und ist der Meinung, dass der Anime ihr nicht gerecht wird. In der Diskussion zeigt sich aber, dass die Person davon überzeugt ist, dass die Vorstellung nicht nur für sie gilt, sondern auch für alle anderen. Widerspricht ihr jemand, ist dieser Jemand im Irrtum und das wird auch so kommuniziert. Letztendlich ist das Ziel der Objektivierung, den Meinungsaustausch zu "gewinnen" - unter der Annahme, dass objektivere Argumente besser als subjektive seien.
Es gibt einen Anspruch, den so gut wie alle Menschen an einen Anime (der ja ein Unterhaltungsmedium ist) stellen: Er soll unterhalten. Ein Anime ist also dann gut geschrieben, wenn er gut unterhält, ganz gleich, wie er das erreicht. Das ist mMn das "Objektivste", was geht. Vielleicht können Animes auch von einem künstlerischen, literarischen Standpunkt aus gesehen schlecht geschrieben sein, aber eines ist klar: Für viele Menschen spielt dieser Standpunkt keine Rolle, man sollte ihn also nicht zur Maxime erklären und abweichende Meinungen herabsetzen.
Es gibt einige Trugschlüsse - zumindest halte ich sie ganz subjektiv für Trugschlüsse - die einer angenehmen und stressfreien Diskussion im Weg stehen:
Es gibt handwerkliche Regeln (für Handlung, Animation etc.), nach denen man Animes bewerten muss
Wer hat sie denn aufgestellt und kann dieser Jemand überhaupt entscheiden, dass die Regeln für andere gelten? Ich denke nicht. Auch wenn jemand Animes nach eindeutigen Regeln bewerten würde, ist schon die Entscheidung, nach diesen Regeln zu bewerten, wieder subjektiv, weil man niemanden dazu zwingen kann. Die große Mehrheit der Zuschauer bewertet nicht nach eindeutigen Regeln, sondern nach Lust und Laune.
Beispiel Animationsqualität: Man kann mit relativ großer Sicherheit feststellen, dass sich in Anime A mehr bewegt als in Anime B. Zeichenfehler lassen sich auch ganz gut erkennen. Aber wie sehr man beides gewichtet ist wieder subjektiv. Den einen stören schlechte Animationen und den anderen sind sie vollkommen egal, solange der Rest unterhält.
Alle Zuschauer haben ähnliche Ansprüche, wenn sie über die Qualität eines Animes sprechen
Selbst wenn zwei Menschen dieselben Worte benutzen, können sie ganz Unterschiedliches meinen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was uns in den Sinn kommt, wenn wir Worte wie "schlecht geschrieben" oder "glaubwürdig" lesen, immer zuerst unsere eigene Interpretation ist. Kommunikation ist ziemlich fehleranfällig. Die Qualität eines Unterhaltungsmediums ist letztendlich nur ein anderes Wort für den Unterhaltungswert und wir wissen, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen gut oder schlecht unterhalten werden können.
Alle Animes stellen ungefähr den gleichen Anspruch an Handlung und Charaktere
Unterhalten sollen sie in jedem Anime, aber ansonsten können die Ansprüche nicht unterschiedlicher sein. Sie hängen sehr stark von Genre, Zielgruppe, Inhalt, Stimmung usw. ab und das so sehr, dass man unterschiedliche Genres gar nicht miteinander vergleichen kann. Ich finde es fragwürdig, wenn jemand mit übertriebenen Erwartungen an einen Anime rangeht, weil er komplett ausblendet, was der Anime eigentlich sein will. Wenn jemand z. B. eine Romcom schaut und sich über die leichtherzige Stimmung beklagt, wäre das ja absurd. Und Genres bringen natürlich immer Muster mit sich, die zwar schlecht umgesetzt werden können, aber ihre bloße Existenz sollte man mMn den Animes nicht vorhalten, oft sind sie ja gerade der Grund, warum das Genre bei der Zielgruppe beliebt ist (Beispiel Ganbatte in einem Sport-Anime).
Man kann sagen, dass bestimmte Genres grundsätzlich inhaltlich schlechter als andere sind
Ist ein Ero-Anime aus Prinzip inhaltlich schlechter als ein Charakterdrama? Mal abgesehen davon, dass man wie gesagt beide Animes kaum miteinander vergleichen kann, stellt sich wieder die Frage, was "inhaltlich schlechter" überhaupt heißt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist der Unterhaltungswert. Ein Ero-Anime ist inhaltlich gut, wenn er unterhält, genauso wie ein Charakterdrama, aber beide Animes unterhalten eben auf ganz unterschiedliche Art. Ich halte ein pauschales Geschmack-Diskreditieren für falsch.
Die angesprochenen Trugschlüsse können (u. a.) dafür verantwortlich sein, dass Diskussionen entgleisen und Kommentare übertrieben schlecht aufgenommen werden. Natürlich kann sich auch jemand vollkommen ohne Grund von einer Meinung angegriffen fühlen, aber das ist wieder ein anderes Thema. Das, was ich kritisieren möchte, sorgt mMn zu Recht für Unmut: Das Objektivieren von Geschmack und Meinung, das Abwerten anderer Meinungen, weil sie sich nicht auf "objektive" Argumente stützen bzw. das Abwerten anderer Geschmäcker und ein insgesamt elitäres, herabschauendes Auftreten in Diskussionen oder Kommentaren.
(Es gab keinen konkreten Anlass für diesen Thread. Ich bin einfach ein Verfechter dieser subjektivistischen Sicht)
Kommentare (3)
Eine Diskussion auf rein subjektiven Niveau macht wenig Sinn.