AsaneRedakteur
#1Wo im Großhirn der Occipitallappen sitzt und was der da macht, sollte wohl jedem geläufig sein, denke ich mal. Auch ohne das Ding schon mal von Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben. In diesem Bereich findet unter anderem die Gesichtserkennung statt, also das Wahrnehmen und Interpretieren bestimmter Muster als etwas, was wir als "Gesicht" begreifen. Von dieser Fähigkeit nämlich wird hier in diesem kurzen Anime ausgiebig Gebrauch gemacht.
Anders geht es auch kaum, will man wenig menschenähnlichen Dingen wie Telegraphenmasten, Telephonpfosten und Strommasten menschliche Eigenschaften zuweisen. Wie man sieht, bedient man sich dieses Tricks mit der auffälligen "natürlichen Physiognomie" bei allen Vertretern der Masten; fast allen – nur bei der Protagonistin Elemi wird dieses Erscheinungsbild aufgepfropft. Inklusive weiblicher Wimpern.
»Denshinbashira Elemi no Koi« ist ein Stop-Motion-Film, der in grauer Vorzeit spielt, und er erzählt eine Geschichte, die im Grunde nur tragisch enden kann. Die Geschichte der aussichtslosen Liebe zwischen Elemi und Takahashi. Man kennt das ja aus anderen Animes, und animetypischer geht es eigentlich gar nicht mehr: Junge hilft Mädchen aus großer Not. Mädchen verliebt sich in Jungen und will mit ihm zusammensein bis ans Ende ihrer Tage. Takahashi ist dieser Junge, denn er ist in einer Firma beschäftigt, die auch für die Wartung und Instandhaltung von solchen Telephonmasten wie Elemi zuständig ist. Infolge ungünstiger Witterungseinflüsse hat wohl eine Sicherung Schaden genommen. Takahashi repariert sie, und seither ist sie unsterblich in ihn verliebt.
"Errötend folgt sie seinen Spuren" und "wehe, wenn sie losgelassen" weiß schon Schiller im "Lied von der Glocke" zu berichten, und so sucht sie Mittel und Wege, um Takahashi nahezukommen, nutzt die Drähte und Leitungen, über die sie als Mast gebietet, und das nicht nur dazu, halbanonyme Anrufe zu tätigen, sondern auch, um (illegalerweise) Finanztransaktionen und fingierte Versandanweisungen abzusetzen. Damit verletzt sie einen ungeschriebenen Kodex, und der Fall kommt vors städtische Telegraphenmastgericht. Dieses agiert unter Vorsitz des Alterspräsidenten durchaus sachlich, verständnisvoll und weise, absolut nicht im Stil eines Volkstribunals, beschwört die Berufsethik der Gemeinschaft und appelliert an Elemis Vernunft.
Früh schon konfrontiert der Film den Zuschauer mit alptraumhaften Sequenzen über das Ausbrechen aus Konvention und Fesselung. Und aus gesellschaftlichen Zwängen, samt dem unausweichlichen Scheitern. Sind solche Gedanken erst einmal freigesetzt, gleichen sie der brackigen Brühe eines umgefallenen Regenfasses, die man nicht mehr eingefangen bekommt. Elemi scheint für die Gesellschaft verloren. Eine Reihe verschiedener Vorfälle im Leben eines Masten bereichert im folgenden den Anime, dienen nicht nur dem Worldbuilding und der Charakterisierung seines Personals, sondern unterstreichen auch die Bedingungen eines Lebens als Telephonmast und die Erfahrungen, die mit Menschen allgemein gemacht werden. Wie beispielweise jene Katzenepisode. Solche Ereignisse vollziehen sich in quälend langsamem Pacing, und insgeheim wendet sich der Anime damit natürlich auch an seine Zuschauer, um an Anständigkeit und Ethos zu appellieren.
Elemis Aktionen, die dem verzweifelten Bemühen um die Liebe ihres Angebeteten entspringen, markieren das Brechen einer Barriere, die nicht verletzt werden darf. Ihr Handeln überschreitet die Grenzen zwischen realer und phantastisch-fiktiver Welt. Was zu Konsequenzen führt. Es überschreitet vor allem (und wissentlich!) die Logik der Erzählung. Dennoch: der Charme dieses knapp 45 Minuten dauernden Werkes ist stärker als alle Logiklücken zusammen. Wie zum Beispiel die direkte Kommunikation über die ihnen anvertrauten technischen Strukturen, an denen alle, auch die Telephonmasten, teilhaben. Also wird es schnell zum Gespräch der ganzen Stadt.
Die Screenshots verraten wenig über die künstlerischen und vor allem die emphatischen Qualitäten des Filmchens. Alles ist weniger knuddelig als erwartet, vielmehr knautschig-klobig, bei nicht allzu ausgefeilter Animation. Auch das ist Absicht. Die Hintergründe versprühen den Charme des Unfertigen und die Wärme einer japanischen Kleinstadtwelt, in der die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein scheint. Die Musik unterstützt diese Atmosphäre nach Kräften, hauptsächlich vermittels Harfe und Gitarre, die viel Sentiment verschütten.
Fazit:
Natürlich ist vieles möglich in der Welt moderner Märchen. Aber auch hier werden keine verzauberten Frösche geküsst. Ein Telegraphenmast ist eben auch nur ein Mensch.
PS: Es gibt noch einen anderen "Denshinbashira"-Film, aber die beiden sind weder verwandt noch verschwägert.
Anders geht es auch kaum, will man wenig menschenähnlichen Dingen wie Telegraphenmasten, Telephonpfosten und Strommasten menschliche Eigenschaften zuweisen. Wie man sieht, bedient man sich dieses Tricks mit der auffälligen "natürlichen Physiognomie" bei allen Vertretern der Masten; fast allen – nur bei der Protagonistin Elemi wird dieses Erscheinungsbild aufgepfropft. Inklusive weiblicher Wimpern.
»Denshinbashira Elemi no Koi« ist ein Stop-Motion-Film, der in grauer Vorzeit spielt, und er erzählt eine Geschichte, die im Grunde nur tragisch enden kann. Die Geschichte der aussichtslosen Liebe zwischen Elemi und Takahashi. Man kennt das ja aus anderen Animes, und animetypischer geht es eigentlich gar nicht mehr: Junge hilft Mädchen aus großer Not. Mädchen verliebt sich in Jungen und will mit ihm zusammensein bis ans Ende ihrer Tage. Takahashi ist dieser Junge, denn er ist in einer Firma beschäftigt, die auch für die Wartung und Instandhaltung von solchen Telephonmasten wie Elemi zuständig ist. Infolge ungünstiger Witterungseinflüsse hat wohl eine Sicherung Schaden genommen. Takahashi repariert sie, und seither ist sie unsterblich in ihn verliebt.
"Errötend folgt sie seinen Spuren" und "wehe, wenn sie losgelassen" weiß schon Schiller im "Lied von der Glocke" zu berichten, und so sucht sie Mittel und Wege, um Takahashi nahezukommen, nutzt die Drähte und Leitungen, über die sie als Mast gebietet, und das nicht nur dazu, halbanonyme Anrufe zu tätigen, sondern auch, um (illegalerweise) Finanztransaktionen und fingierte Versandanweisungen abzusetzen. Damit verletzt sie einen ungeschriebenen Kodex, und der Fall kommt vors städtische Telegraphenmastgericht. Dieses agiert unter Vorsitz des Alterspräsidenten durchaus sachlich, verständnisvoll und weise, absolut nicht im Stil eines Volkstribunals, beschwört die Berufsethik der Gemeinschaft und appelliert an Elemis Vernunft.
Früh schon konfrontiert der Film den Zuschauer mit alptraumhaften Sequenzen über das Ausbrechen aus Konvention und Fesselung. Und aus gesellschaftlichen Zwängen, samt dem unausweichlichen Scheitern. Sind solche Gedanken erst einmal freigesetzt, gleichen sie der brackigen Brühe eines umgefallenen Regenfasses, die man nicht mehr eingefangen bekommt. Elemi scheint für die Gesellschaft verloren. Eine Reihe verschiedener Vorfälle im Leben eines Masten bereichert im folgenden den Anime, dienen nicht nur dem Worldbuilding und der Charakterisierung seines Personals, sondern unterstreichen auch die Bedingungen eines Lebens als Telephonmast und die Erfahrungen, die mit Menschen allgemein gemacht werden. Wie beispielweise jene Katzenepisode. Solche Ereignisse vollziehen sich in quälend langsamem Pacing, und insgeheim wendet sich der Anime damit natürlich auch an seine Zuschauer, um an Anständigkeit und Ethos zu appellieren.
Elemis Aktionen, die dem verzweifelten Bemühen um die Liebe ihres Angebeteten entspringen, markieren das Brechen einer Barriere, die nicht verletzt werden darf. Ihr Handeln überschreitet die Grenzen zwischen realer und phantastisch-fiktiver Welt. Was zu Konsequenzen führt. Es überschreitet vor allem (und wissentlich!) die Logik der Erzählung. Dennoch: der Charme dieses knapp 45 Minuten dauernden Werkes ist stärker als alle Logiklücken zusammen. Wie zum Beispiel die direkte Kommunikation über die ihnen anvertrauten technischen Strukturen, an denen alle, auch die Telephonmasten, teilhaben. Also wird es schnell zum Gespräch der ganzen Stadt.
Die Screenshots verraten wenig über die künstlerischen und vor allem die emphatischen Qualitäten des Filmchens. Alles ist weniger knuddelig als erwartet, vielmehr knautschig-klobig, bei nicht allzu ausgefeilter Animation. Auch das ist Absicht. Die Hintergründe versprühen den Charme des Unfertigen und die Wärme einer japanischen Kleinstadtwelt, in der die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein scheint. Die Musik unterstützt diese Atmosphäre nach Kräften, hauptsächlich vermittels Harfe und Gitarre, die viel Sentiment verschütten.
Fazit:
Natürlich ist vieles möglich in der Welt moderner Märchen. Aber auch hier werden keine verzauberten Frösche geküsst. Ein Telegraphenmast ist eben auch nur ein Mensch.
PS: Es gibt noch einen anderen "Denshinbashira"-Film, aber die beiden sind weder verwandt noch verschwägert.
Beitrag wurde zuletzt am 12.03.2024 00:51 geändert.
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