Selbst nach all den Jahren, die ich mit Anime verbracht habe, ist da immer noch diese kindliche Vorfreude wie am ersten Tag, dieses Kribbeln, wenn es an einen neuen Anime geht. Vorurteilsfrei, auch bei bisher miesen Bewertungen, und immer in der gespannten Erwartung, daß danach das Leben um eine Farbnuance reicher ist.
Das sollte bei
Shuffle nicht anders sein – warum auch?
Die ersten Minuten setzen erste Akzente einer heiter-gelassenen Grundstimmung, und schon der erste Track der BGM liefert einen vielversprechenden Einstieg in die Serie und schafft eine entspannt-warmherzige
SoL-Atmosphäre in angenehm dahinfließenden Melodiebögen, die sich in das Gehör schmeicheln und es mit klassisch orientierten Streicherklängen verwöhnen.
Da verzeiht man es der Serie gern, wenn sie augenscheinlich die Schulharemswelt nicht gerade neu erfindet und sich auch in anderen Belangen auf die sichere Seite schlägt, indem sie sich auf vorformulierte Standardsituationen beschränkt und auch bei den Charakteren kein Risiko eingeht. (Soweit ich mitgekriegt habe, wurde lediglich das Mit-dem-Frühstückstoastbrot-im-Mund-aus-dem-Haus-rennen ausgelassen.) – Aber was soll's: die Charaktere sind nett, das Wetter ist schön und die Stimmung heiter. Soviel Glück auf einmal ist eigentlich schwer zu ertragen.
Das haben sich wohl auch die Macher dieses Werkes gedacht und Maßnahmen ergriffen. Im Mittelpunkt steht
Rin Tsuchimi, ein in allen Belangen tugendhafter und netter Oberschüler, um den sich 4 (bzw. 4,5) Mädchen gruppieren, zwei Kindheitsfreundinnen (im weiteren Sinne) sowie zwei Austauschschülerinnen aus der Magiewelt. Sie alle sind ihm auf eine besondere Weise verbunden, und erstaunlicherweise schlagen sie sich nicht gegenseitig den Schädel ein, wenn es darum geht, sein Herz zu gewinnen, sie feuern sich sogar noch an, wünschen sich alles Gute und bleiben beste Freundinnen. Also praktisch so richtig aus dem Leben gegriffen.
Und weil das alles so vorbildhaft gemeinsinnig und überhaupt zuckersüß ist, vertieft man das Ganze durch die üblichen abgedroschenen Topoi und geht durch alle Klischees, die vermutlich im studiointernen Zettelkasten abgelegt und alphabethisch sortiert waren.
Überbordende
Originalität steht hier also weißgott nicht zu erwarten. Blöd, denn das Potential wäre da, und als Liebhaber von SoL ist man durchaus gewillt und fest entschlossen, dem ganzen Sympathie entgegenzubringen – wird aber
vorsätzlich,
absichtlich und
mutwillig daran gehindert. Und vor allem:
systematisch. Die wenigen Lichtblicke, die zwischen den durch und durch hölzernen wie unoriginellen Dialogen und den beischmückenden Humorattrappen hier durchscheinen, wiegen nicht mal ansatzweise das auf, was man Zuschauer hier auf sich nehmen muss, gerade wenn man dem Genre alles andere als abgeneigt ist.
Detailliertere Einzelbetrachtungen möchte ich mir hier nicht antun, um eine inflationäre Anhäufung von Begriffen wie
klischeehaft,
standard,
generisch et al. zu vermeiden. Aber pars pro toto auf ein paar Besonderheiten eingehen, schon. Da wäre erstmal der
Humor. Denn die erste Hälfte der Serie lebt im Grunde nur von SoL und Comedy. Die Gags beinhalten nichts, was man nicht schon anderweitig und besser gesehen hätte. Und vor allem hat man in der Mehrzahl der Fälle leider das Timing in den Sand gesetzt, so daß die Pointen hier ähnlich gut zünden wie bei einem über Nacht feucht gewordenen Feuerwerk.
Beispiele? Die Fan-Groupies. Dieser Auftritt von
Kaedes Fanboys ist schon in der ersten Episode nicht so direkt der Bringer. Daher wird das nicht nur in jeder Folge wiederholt (mindestens bis Mitte der Serie), sondern auch noch angereichert von zwei weiteren Gruppen: eine für
Sia und eine für
Nerine. Aber bei diesen Peinlichkeitsexzessen bleibt es ja nicht. Man braucht natürlich auch noch ganz dringend den Depp vom Dienst, hier in Gestalt von Rins Sidekick
Itsuki (Selbstbezeichnung "oresama" – na klar), der präzise das verkörpert, was Rin an bescheuerten Eigenschaften fehlt.
Die nächste Schwachstelle, die mich auf die Palme gebracht hat, war die Regie, speziell die Szenenschnitte sowie die ins Übermaß gesteigerte Dramatisierung. Schönes Beispiel: die Standardsituation Strandepisode, also Folge 9. Ab der Hälfte dieser Episode sieht man Rin und Sia, anfangs auf einer Luftmatratze liegend (oder einer ähnlichen floßartigen Unterlage) – nun aber auf dem offenen Meer treibend. Für meine Begriffe hat alles darauf hingedeutet, daß es sich um eine Traumepisode von Rin handeln muss, der einfach mal kurz eingepennt ist. Denn so hölzern und stacksig, wie das realisiert ist,
kann das gar nicht die Abbildung von Realität sein. Genauso wie in der Folge darauf, als wegen dieses Ereignisses Rin und Sia plötzlich als praktisch verlobt gelten. Erst im Laufe von Episode 11 dämmerte es allmählich, daß das alles tatsächlich wohl ernst gemeint war …
Und weil dieser Text ganz langsam die Richtung zum Rant nimmt, noch ein paar Worte zum
Subtext. Das fängt mit der Person von Kaede an. Sie wird hier dargestellt als der Idealtyp einer
Yamato Nadeshiko. Was die Aktionen der Groupies gleich in einem noch fragwürdigeren Licht dastehen lässt. Und da scheint Rin (scheint!) keine Ausnahme zu sein:
Inhaltlich, also abgesehen von der Präsentation, bietet sich eine wohlige, flauschige und kalorienarme Zementierung des bewährten patriarchalischen Weltbildes: Frauen tun hier alles, um die Männer glücklich zu machen (in 1. Linie kochen, in 2. Linie den Mann anhimmeln), und die Männer registrieren das mit Dankesbezeugungen, aber auch mit tiefer Sorge. Indem sie sich Gedanken darüber machen, wie die Frauen sich ihretwegen abrackern ("Schatz, ich kann das nicht mitansehen, wie du hier schuftest. Mach doch bitte mal die Küchentür zu").
Hier ist natürlich folgender
Einwand fällig: Die Motivation dahinter, bei Rin wie bei Kaede, erfährt man erst in den Folgen 19-21. Diese Methode, die Vorkommnisse der Vergangenheit (und jeder Hauptcharaktere hat eine tragische oder wenigstens schlimme Vergangenheit!) dem Zuschauer erst nach und nach zu präsentieren, ist von der Regie nicht nur sehr geschickt gemacht, sie hebt die Serie urplötzlich über das Mittelmaß hinaus auf ein ungewohnt hohes Niveau! So unglaubwürdig manche Reaktionen und (angebliche) Traumata auch sein mögen
(Kaede als kindliche psychopathische Messerschwingerin?), in der echten Realität mag das alles sehr fragwürdig sein – aber im Kontext des Animes funktioniert das sehr gut. Und einigemale läuft es einem kalt den Rücken runter, zumindest wenn man Higurashi kennt und School Days schon mal gesehen hat (speziell die Szenen betreffend, als Kaede zum wiederholten Male das für Rin zubereitete Essen in den Müll wirft).
Aber leider ist es in solchen Szenen nicht nur in dem Maße überzogen wie es zuvor ausgeblendet oder verniedlicht wird, auch die üblichen Facepalm-Momente stellen sich wieder ein und nehmen den zuvor sorgsam inszenierten dramatischen Momenten ihre Glaubwürdigkeit.
Dominiert in der ersten Serienhälfte der (eher maue) Humor, so wird die zweite geprägt von
Fanservice.
Hier war man wohl der Meinung, daß die bisherige Ansammlung absolut uninspirierter Standardsituationen nicht hinreicht, um zwei Dutzend Folgen zu bedienen; daher kommt es vermehrt zu Fanservice-Einlagen, wo unser Held auf die dümmste anzunehmende Art in ungestüm rennende
pantsu fällt, was völlig überraschenderweise sehr überraschend, sehr peinlich und vor allem unglaublich ermüdend ist.
Aus dem genau gleichen Grund erhöht sich nach einem Drittel der Serie die Quote an ganz zufällig ins Bild huschenden blanken Brüsten ganz erheblich.
Bloß: Nur weil sich die Röcke heben, hebt sich dadurch nicht das Niveau.
Dies waren in aller Kürze die Gründe, die mir das Ansehen der Serie ganz allmählich verleidet haben. Die Szenen, durch die Charakter und Handeln der Personen begreiflich werden, gehören zum mit Abstand besten Part des Anime; doch leider ist das auch allzu schnell vorbei. Rin nimmt sich dasjenige Mädchen zur Herzensdame, mit der ich auch gerechnet habe; denn alle anderen scheiden aus verschiedenen Gründen im Lauf der zweiten Serienhälfte aus. Diese Person jedoch verfügt über ausreichend Verstand, die verfahrene Situation zutreffend zu analysieren und die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Und mit der leichthin fließenden Wohlfühlmelodie des Beginns endet auch die Serie. Wenn doch der ganze Rest auch so gut gelungen wäre! Aber wie das halt so ist: Selbst nach all den Jahren, die ich mit Anime verbracht habe, mag ich es nicht, von einer Serie verarscht zu werden.
So aber ist Shuffle in ziemlich allen Belangen eine Orgie der Mittelmäßigkeit.
Beitrag wurde zuletzt am 23.01.2021 19:37 geändert.