Inzwischen sind über zwanzig Jahre vergangen, seit Noir veröffentlicht wurde, und gerade mit Blick auf das, was heutzutage produziert wird, schätze ich diese Serie daher umso mehr. Der Zeichenstil und die Figurengestaltung sind zwar inzwischen etwas „antiquiert“ (und erinnern mich an den frühen Detektiv Conan Look), aber gerade das macht es heute wieder interessant und ist eine angenehme Abwechslung zum inzwischen üblichen Charakterdesign der Massenproduktionen, deren Figuren ich kaum noch auseinanderhalten kann.
Aber das beste ist: diese Serie hat eine handwerklich herausragende Regie (die diese Bezeichnung tatsächlich verdient): ganz im Sinne des titelgebenden Genres des „Film Noir“ werden hier gekonnt alle Stilmittel eingesetzt, die man sonst nur aus aufwendigen Realfilm-Produktionen kennt. Rückblenden; Wechsel der Tiefenschärfe in einer Szene; bewusste Wiederholung von Szenen; lange Einstellungen auf die Augen; Wechsel von Totale und Detail usw. - das ist unglaublich toll gemacht. Und natürlich die Einbindung der Musik, die - wie schon in früheren Kommentaren erwähnt - ein Meisterstück ist.
Ich kann die „Beschwerden“ über einen etwas langsamen Plot zwar nachvollziehen, aber das ist (aus meiner Sicht) genau so gewollt. Hier geht es nicht um die Action an sich, sondern um die Stimmung und Weltsicht der beiden Heldinnen, die beide eine geheimnisvolle Vergangenheit aufarbeiten wollen. Gerade Kirika’s Passivität finde ich sehr gelungen: einerseits weiß sie nicht, wer sie ist, und woher sie kommt, weshalb sie das Leben fast passiv an sich vorüberziehen läßt. Andererseits erledigt sie ihre Jobs mit einer eiskalten Präzision, die genau aus dieser Gefühlstaubheit kommt. Besonders eindrucksvoll und überraschend (wenn man die üblichen Muster von angelsächsischen Filmen gewohnt ist) sieht man das in Folge 6 „Die Katze“.
Dort entwickelt sich ein offensichtlich einfacher Job - ein ehemaliger grausamer Lagerkommandant soll ermordet werden - zu einer moralischen Zwickmühle. Der Lagerkommandant ließ viele Mitglieder einer Volksgruppe ermorden. Diese Volksgruppe gab daher nach vielen Jahrzehnten die Ermordung des inzwischen alten Kommandanten in Auftrag. Allerdings hatte sich der Kommandant seit Jahrzehnten aus Reue zu einem echten Wohltäter für die arme und hungernde Bevölkerung des Landes geändert, und wird fast als Heiliger verehrt. Und dann stellt sich noch heraus, dass die Eltern und Schwester des Kommandanten in seiner Jugend von genau dieser Volksgruppe grausam getötet wurden. Was ist hier also richtig? Den Job durchführen, oder warten, bis der alte Mann - schwerkrank - sowieso bald stirbt? War er im Unrecht, oder doch die anderen? Wie viel wiegen seine Wohltaten gegen seine früheren Grausamkeiten? Soll Kirika ihn erschiessen oder leben lassen? Das Ende der Episode ist ... untypisch.
Dieser Anime ist ein absolutes Muss für alle, die gerne etwas mehr als nur Action und CGI-Schablonen-Design erwarten. Ich bin sehr froh, dass Amazon die Serie wieder veröffentlicht, nachdem sie lange nicht mehr im Streaming zu finden war.