AsaneRedakteur
#1»What matters in life is choice-making at critical moments«
Dieser kurze chinesische Titel, den ich der Einfachheit halber mal beim englischen "False Memory" nehmen möchte, hat's wahrlich in sich. Er spielt beispielsweise mit dem Mittel der kognitiven Dissonanz, und das gleich auf mehreren Ebenen. Das wiederum heißt, Leute, die des Chinesischen nicht mächtig sind, sollten diesen Anime 2 Mal sehen. Mindestens.
Am einfachsten zu fassen ist vielleicht die Präsentation, vor allem die optische. Musikalisch bekommt man es mit einer eher progressiven, elektronischen BGM zu tun; bei Actionszenen recht Percussion-lastig, bei stillen Szenen akkordisch zurückgenommen, nie überpaced, aber dem experimentellen Charakter des Animes immer angemessen. Man leistet sich sogar so was ähnliches wie ein Opening. Dankenswerterweise ohne Text – man ist allein schon mit Schauen heftig herausgefordert.
Optischerseits dominieren einfache Strichzeichnungen mit einfacher Kolorierung. Flächig aufgetragene Farben, und überhaupt scheint es keine gerade Linie zu geben. Das erinnert frappierend an gewisse Werke von von Studio 4° wie zum Beispiel »Junk Town«, dem übrigens eine ähnliche Thematik zugrunde liegt.
Das Problem bei diesem Anime liegt im massiven information overload. Viel zu viel in viel zu kurzer Zeit prasselt auf den Zuschauer ein. Aber natürlich auch auf den Protagonisten, der hier gnadenlos zugetextet wird. Man sieht also, das ist Absicht. Als Zuschauer sieht man sich vor die gleichen Probleme gestellt, weil man das alles nicht rechtzeitig sortiert kriegt, um sich ein halbwegs konsistentes Bild dieser eigenartigen Welt zu machen.
Und diese Welt ist ein wenig speziell, von eher seltsamer Natur. Im Zentrum des Geschehens steht der typische Loser-kun und sein gewaltbereiter Retter, der die Dinge gern mal selbst in die Hand nimmt und auf bewährte Weise löst. Und die Frauen wachen darüber, daß die Männer brav in der Spur bleiben. Soweit kennt man das ja als Mann.
Die Mädels aber sind Teil einer Organisation, die unerwünschte, da Amok laufende "Erinnerungen" aussortiert und recycelt, zum Wohle der Menschen – oder so ähnlich. Der eingangs vorgestellte Erklärengel ist sowas wie der Chef und überschüttet den armen Zuschauer mit eng gedrängten Informationen über alles Mögliches, besonders aber über sein Wirken und Walten. Um was es im einzelnen geht, offenbart ein Rewatch unter zeilenweise Betätigung der Pause-Taste:
Um es mal abstrakt zu formulieren, sind gewisse Erinnerungen unerwünscht, wenn sie dem Individuum schaden. Der hilfreiche Retter aus höchster Not ("Mobbing" ist noch untertrieben) ist ein Produkt der eigenen Phantasie; ein willkommener imaginärer Freund*, der einen aus der Scheiße raushaut und einen in der Einsamkeit nicht ganz allein lässt. Daher soll, durch Eingriff des wunderbar euphemistisch benamsten "Memory Administration Bureau", dieser Selbsttäuschung und Realitätsflucht ein Ende bereitet werden, weswegen es im Actionteil auch gewaltig scheppert. Denn wie leicht und zäh man an diesem Trugbild festhalten will – selbst wenn und obwohl man es als falsch erkannt hat –, lässt sich im täglichen Leben überall erfahren. Die Verschwörungstheoretiker leben davon.
*In Wirklichkeit ist die Story natürlich wesentlich komplexer. Das zeigt sich in den kurz hintereinander geschnittenen Bildern ab etwa Minute 14, wo klar wird, daß der Freund tatsächlich existiert hat.
*In Wirklichkeit ist die Story natürlich wesentlich komplexer. Das zeigt sich in den kurz hintereinander geschnittenen Bildern ab etwa Minute 14, wo klar wird, daß der Freund tatsächlich existiert hat.
Das ist aber nicht die einzige Möglichkeit bezüglich "kognitiver Dissonanz" zwischen Schein und Sein. Die ordnenden Kräfte beteuern am Ende, daß alles ungeachtet moralischer Fragen seinen geregelten Gang geht.
»For us, good or bad, true or false, it is meaningless«
Man kann in alledem aber auch etwas anderes sehen. Eine interessante Deutung der Schönen Neuen Welt, an deren Realisierung auch China nicht ganz unbeteiligt ist. Insofern mag es verwundern, daß dieses kleine, hintergründige Actionspektakel auf den Markt darf.
Dieser verdinglichte Umgang mit "Erinnerungen" auf objektorientierter Ebene ist natürlich auch Gegenstand in vielen japanischen Animes. Aber eine winzige Kleinigkeit, was hier bei »False Memory« anders läuft, sollte nicht unerwähnt bleiben: So viel Zeit und Gelegenheit gibt es, einen Pantyshot einzubauen und nichts dergleichen geschieht.
Das 1. Mal Schauen gleicht einem Orientierungslauf. Einer Möglichkeit, sich erstmal umzusehen und das Gelände kennenzulernen, ähnlich wie bei der Einführungsrunde im Motorsport. Beim Rewatch dann kommt das allmähliche Verstehen hinzu. Dazu möchte ich nachdrücklich raten.
Beitrag wurde zuletzt am 31.07.2022 18:29 geändert.
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