Last Chance (2021)

Erinnert ihr euch noch an den Kunstunterricht in der Schule, als ihr das erste Mal von dem Begriff Collage gehört habt? Erinnert ihr euch, wie ihr ohne ein Gespür für die richtige Anordnung, einfach angefangen Zeitungspapier halbwegs elegant auf ein Blatt Papier zu drapieren? Mich jedenfalls hat »Last Chance« genau an diese Zeit denken lassen, aber im Gegensatz zu mir hat der gute Casper Caan ein Händchen für das passende Arrangement und ganz nebenbei erzählt er noch eine Geschichte, die inspirierender kaum sein könnte.

In diesem Video geht es um einen Mann, der alles hinter sich gelassen, seine ständig besoffenen Eltern, sein Zuhause. Beseelt von dem Wunsch, seinen Traum zu leben und nicht so zu enden wie seine Familie, macht er sich, nur mit einem Kopfhörer ausgestattet, auf in die weite Welt. Natürlich ist es selten simpel, seine Wünsche zu verwirklichen, und so muss auch der Protagonist herbe Niederlagen einstecken. Doch anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, rappelt er sich immer wieder auf und kämpft unermüdlich weiter.
Soweit zur offensichtlichen Story, nun muss man kein Genie sein, um zu erkennen, dass der Kopf hinter dem Werk nicht nur eine Geschichte erzählen will, sondern viel mehr Kritik an einer Gesellschaft übt, die es aufgegeben hat größer zu träumen und sich lieber dem alltäglichen Trott hingibt. An dieser Stelle kommt die Kunst der Collage ins Spiel, denn Herr Caan nutzt dieses Stilmittel ausgiebig, um uns seine Ansichten auf subtile Weise zu vermitteln. So haben die Frauen in typischer Arbeitskleidung, also Rock und Bluse, einen Koffer als Kopf, auf den groß Mode steht oder die Musiker ein Radio-Schädel aus den Mainstream-Noten hervorwabern. Aber am besten hat mir gefallen, dass man am Anfang den vermeintlichen Protagonisten sieht, der verborgen unter einer Kapuze dem Alkohol frönt. Erst am Ende stellt sich heraus, dass dieser Typ sein Sohn ist und der eigentliche Hauptcharakter vernarbt in einem Rollstuhl sitzt, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen. Wenn das kein Schlag ins Gesicht für alle ist, die in dem Moment dachten: »Ha der naive Narr ist wie ein Idiot seinen Träumen hinterhergelaufen und endet genau wie sein nutzloser Vater als Alkoholiker. Hätte er sich mal lieber eine normale Arbeit gesucht, anstatt irgendwelchen bescheuerten Hirngespinsten hinterzulaufen.« Tatsächlich bleibt am Ende unklar, ob es ihm nun gelungen ist, seine Ziele zu erreichen. Aber das spielt auch keine Rolle, denn die Narben, ein Sinnbild seines Kampfes, und das zufriedene Lächeln, machen deutlich, dass er nie aufgehört für seine Träume einzustehen und schlussendlich nichts bereuen muss, da er es zumindest versucht hat.

Neben der Collage hat sich Casper Caan auch dem Stil des Surrealen angenommen. Das fängt bei den in die Länge gezogenen Figuren an und geht bei den Gesichtern, die wie halbiert aussehen, weiter. Dagegen sind die Hintergründe fast eintönig normal, sind aber dennoch ansehnlich, da sie wie Aquarellmalerei anmuten. Auch die Farbwahl spricht Bände, nur der Protagonist und die Kulissen sind farbig, während die anderen Menschen in einem tristen Grau daherkommen.
Gesanglich und instrumentell präsentiert uns der Künstler einen fast zu klassischen Popsong, der im ersten Moment überhaupt nicht zu der Kritik passt. Doch gerade wenn man denkt, dass der Macher des Werkes eine etwas bigotte Einstellung an den Tag legt, kommen plötzlich elektronische generierte Melodien daher, die klingen wie ein Truthahn auf Ecstasy. In diesem Augenblick konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Später kommt dann noch eine gurrende Taube dazu, die wohl denselben Drogen gefrönt hat wie der Puter und spätestens da, musste ich mich selbst schelten, denn wie konnte ich auch nur eine Sekunde annehmen, irgendetwas an diesem Video sei normal.

Fazit
Oberflächlich wird einem hier das harte Leben eines Mannes präsentiert, der seine Träume niemals aufgegeben hat. Lässt man sich ein wenig auf das Werk ein, so spürt man in jeder Sekunde des Videos deutlich die Künstlerseele von Casper Caan. Man hat fast das Gefühl, dass uns der gute Mann alles darlegt, was ihn ausmacht, seine Lebensgeschichte, seine Ansichten und seine Träume. Es ging sogar so weit, dass ich den Eindruck hatte, der Produzent würde in persona vor mir stehen. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich seine Einstellung teile und mich selbst in diesem Werk wiedererkenne.
Eine Empfehlung fällt mir an dieser Stelle schwer, da ich glaube, dass man »Last Chance« entweder schlecht oder toll findet. Je nachdem welchen Blickwinkel man zum Leben hat. Aber die Botschaft dieses Videos sollten sich meiner Meinung nach alle zu Herzen nehmen: »Hör niemals auf zu träumen!«