SabriSonneRedakteur
#1„Umibe no Etranger“ war ein Anime-Film, der mich ab dem ersten Trailer sofort ansprach: ich habe nichts gegen BL und der Animationsstil war einfach nur wunderschön. Aber dann verliert sich der Film irgendwo unterwegs und findet keinen geradlinigen Weg mehr zurück.
Zur Handlung
Der Film hat eine sehr überschaubare Laufzeit von einer guten Stunde, wenn man das Ending noch abzieht sogar noch weniger. Man verschwendet also nicht viel Zeit und wem das BL-Genre noch komplett fremd ist, kann hier gut testen und muss sich nicht stundenlang durch OVAs aus den 90ern oder ganze Serien quälen. Ebenso bleibt das Genre immer noch besonderes und hebt sich automatisch durch seine Frische von normalen Romanzen ab.
Das sind aber schon die einzig positiven Worte, die ich zur Handlung finden konnte.
Was mir nämlich sofort in den ersten Minuten auffiel war das rasante Tempo, dass der Film an den Tag legt. Ich verstehe natürlich, dass eine knappe Stunde Laufzeit nicht viel Zeit ist, um eine gute Story zu erzählen und das dadurch vieles schneller geschehen muss, aber „Umibe no Etranger“ übertreibt.
Was in normalen Serien die Haupthandlung für 12 Folgen darstellt, handelt der Film in gerade einmal in den ersten 12 Minuten durch. Die einzelnen Handlungsabschnitte geben zwar in der Reihenfolge Sinn, bauen aber im Grunde überhaupt nicht aufeinander auf, weil sowohl inhaltlicher als auch emotionaler Bezug fehlt. Die Szenen sind schneller vorbei, als man Zuschauer Chance hat, emotional davon betroffen zu sein, sodass schnell eine Distanz zur Geschichte entsteht. Ebenso ist für Emotionen, gerade am Anfang, kein Platz, wodurch viele Entwicklungen und Reaktionen wie aus dem Nichts daher geschossen kommen und damit stellenweise unlogisch wirken. Es fehlt schlicht und einfach der storytechnische und emotionale Unterbau, um die Geschichte nachvollziehen zu können. Und das geht in einem emotional betonten Genre wie Romance überhaupt nicht!
Nach gut 20 Minuten habe ich mich dann gefragt, wo die Handlung eigentlich hin will. Wir haben nach einer im Grunde nicht existierenden Kennenlern-Phase schon die erste Rejection-Story, die dann aber genau anders herum verläuft, als es die ersten 12 Minuten angedeutet haben. Vom Grundkonzept ja nicht schlecht, da Rejection ein absolutes Standard-Muster für Romanzen ist, aber dadurch, dass die Beziehung von vornherein nie etabliert wurde, macht für mich die Dramatik an dieser Stelle einfach keinen Sinn. Man hat einfach keinen emotionalen Bezug zur Romanze, man versteht ja kaum, wo die Figuren als solche ihren emotionalen Bezug definieren. Und hier scheitert für mich klar die Romanze in ihrer Grundfunktion, nämlich eine Liebesgeschichte zu erzählen.
Mit der Rivalin gegen Hälfte des Films wird die Serie zwar dann wieder klassischer, weil man das Motiv kennt und dadurch zumindest die Reaktionen wieder nachvollziehbar wirken, aber dieses Motiv wirkt hier mehr als Mittel zum Zweck statt als tatsächliches Storyelement. So wirkt der ganze Film eher wie ein zusammengeflickter Teppich, der in der knappen Stunde Laufzeit zu viele Einzelstory-Elemente verknüpfen will, ohne jedoch auf Emotion und Unterbau Wert zu legen.
Zu den Charakteren
Unsere beiden Hauptfiguren Shun und Mio fand ich im ersten Moment doch sehr sympathisch, weshalb ich den Film überhaupt bis zum Ende gesehen habe.
Ihre Beziehung wirkt trotz dem fehlenden Unterbau irgendwie niedlich, weshalb man den beiden gerne zuschaut. Da jedoch die Etablierung ihrer Gefühle am Anfang jedoch im wahrsten Sinne des Wortes so dermaßen in die Hose geht, kann man die Gefühlswelt beider Figuren nur schwer nachvollziehen.
Bei Shun klappt das insgesamt noch am besten, da er mit einigen sinnvollen Vergangenheitsszenen ausgestattet wird, die zumindest teilweise sein späteres Verhalten Mio gegenüber verständlich machen. Da aber er in den Anfangsszenen derjenige ist, der in Sachen Romanze die Schritte auf Mio zu macht, steht seine spätere Entwicklung im starken Widerspruch zum Anfang. So kann man den Charakter vom Verhalten her nicht einschätzen und macht damit eine Bindung schwierig.
Noch schwieriger gestaltet es sich aber bei Mio, der von Jetzt auf Gleich eine charakterliche Kehrtwende von 180° hinlegt. Ohne Vorwarnung oder storytechnischen Auslöser geht er plötzlich auf die Beziehung ein und ist damit von einer Sekunde auf die andere gefühlt 10 Schritte weiter als Shun. Genau in die Phase noch einen Zeitsprung von geschätzt 4 Jahren zu legen, in denen sich beide Figuren nicht gesehen haben, macht die Sache noch weniger nachvollziehbar, sodass man bereits am Anfang sämtlichen emotionalen Bezug verliert.
Die weiteren Charaktere empfand ich da im Vergleich deutlich angenehmer. Sie bereichern den Film gut und sind in ihrer Anzahl auf die wesentlichen Rollen beschränkt. Den Nebencast kann man hier durchaus als gelungen bezeichnen, der auch deutlich nachvollziehbarere Reaktionen hatten. Da diese aber eher aus absoluten Standard-Storys bekannt sind, ist man sich ihrer charakterlichen Funktion sehr bewusst und kann hier schnell auf Vorwissen aus anderen Serien zurückgreifen. Somit ist es tatsächlich der altbewährte Standard, der hier den Film ein bisschen rettet.
Fazit
Ich hatte tatsächlich mehr erwartet – das gebe ich offen zu.
Für mich scheitert die Romanze als Solche, weil am Anfang einfach keine Zeit dafür verwendet wird, die romantischen Gefühle zu etablieren. Stattdessen entsteht sie aus vollkommen widersprüchlichen Reaktionen aus dem Nichts heraus, denen es an Nachvollziehbarkeit fehlt. So wirkt die frühzeitige Rejection-Phase absolut Fehl am Platz, genauso die emotionale Enttäuschung. Die Story rettet sich zwar leicht mit der aufkommenden Hetero-Rivalin, aber das ist klassischer Standard im BL (und als Dreiecksbeziehung sowieso!)
Aber ich meine, wie soll das auch funktionieren: wie soll man sich emotional auf die Sparflamme in der Romanze einlassen, wenn das Feuer am Anfang auf dem Bildschirm noch nicht mal die Chance bekommen hat zu brennen…?
Beitrag wurde zuletzt am 16.10.2021 10:34 geändert.
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