AsaneRedakteur
#1Liebe in Zeiten des Krieges.
Dabei steht der Krieg selber gar nicht mal im Mittelpunkt. Eher die Zeit und ihre Umstände. Die cineastische Maxime "Show, don't tell" wird hier absolut ernstgenommen. Das meiste wird über Bilder mitgeteilt, nur wenig wird kommentiert. Schon gar nichts, was mit Krieg zusammenhängt. Man erlebt keine Auswüchse von Chauvinismus, keine Schuldzuweisungen, kein Suhlen in Opfermentalität, keine Wertung, gar nichts, nicht mal moralisch. Daher ist dies auch kein Kriegsdrama, egal ob mit oder ohne "anti". Obwohl tragische Dinge geschehen, ist dies auch keine Tragödie; es wird nur das ganz normale Leben der Bevölkerung aus der Perspektive von Suzu nachgezeichnet, das immer schwierigere Organisieren des Alltags, der wachsende Zusammenhalt unter der Nachbarschaft bei schwindender militärischer Dominanz.
Dem Film ist jegliche pädagogische, didaktische oder moralische Ambition fremd. Er verweigert sich solcher Absichten geradezu; man kann nicht einmal sagen, daß er einen anderen Ansatz verfolgt als beispielsweise »Hotaru no Haka», »Ushiro no Shoumen Dare« oder gar »Hadashi no Gen«, einfach deshalb, weil der Film meiner Meinung nach nicht in die gleiche Kategorie gehört. Also verlässt sich dieser Film auf die weitverbreitete Einsicht, daß Krieg scheiße ist, thematisiert das daher nicht weiter, schon gar nicht plakativ oder sonstwie engagiert, sondern verlässt sich ganz auf die Intelligenz des Zuschauers. Vielleicht ist darin ja auch der Grund zu suchen, daß die Resonanz darauf eher bescheiden ist und das Werk verhältnismäßig wenig Bewertungen hat .
Vielleicht liegt der Grund aber auch in seinem unspektakulären Erscheinungsbild. Das Artwork lässt an einen eher anspruchslosen Kinderfilm denken. Und damit steht er dem Anspruch und Inhalt des Films diametral entgegen. Dieser Animationsstil allerdings passt perfekt zur Persönlichkeit von Suzu. Genauso wie das Pacing, das schon in den ersten Szenen die Richtung vorgibt. Verträumt und geistig oft etwas abseits vom Schuss gondelt sie da durch den Tag, mit bedächtiger Ausdrucksweise und von freundlichem, einnehmenden Wesen. Selbst noch halb Kind geblieben, hat sie auch einen spielerisch leichten Zugang zu den Kindern um sich rum, und ihre kleinen Erlebnisse kleidet sie gerne in fantastisch anmutende Abenteuergeschichten.
Dieser Animationsstil ist aber auch Spiegelung ihres leidenschaftlichen Hobbys: das Malen. Vieles von dem, was ihr Interesse weckt, landet unweigerlich in ihrem Skizzenblock, wie etwa bei der Szene in der Bucht von Hiroshima, als sie die tanzenden Wellen als springende Hasen abbildet. So sehr vermag sie es, sich in die Bilder zu vertiefen, daß diese Bilder mitunter selbst reale Gestalt annehmen.
Passend zu Suzus Charakter verhält sich auch die Musik, die, egal ob als begleitende Filmmusik oder als Insertsong, kammermusikalisch leicht und transparent gehalten ist. Diese Musik verrät auch die Jahreszeit der ersten Einstellung, wenn in orchestraler Version "Adeste fidelis" intoniert wird.
Die Handlung beginnt Ende der Dreißiger Jahre, was sich in einem stilistisch reizvollen Durch- und Miteinander traditioneller und moderner Stile niederschlägt, wie stellvertretend und fast schon symbolisch am Nebeneinander der beiden Brücken erkennbar, und zieht sich bis kurz nach Kriegsende, als die Amerikaner das Land besetzen.
Die Heirat mit Shuusaku Houjou verschlägt sie nach Kure, etwa 20 Kilometer von Hiroshima enfernt, wo sie sich erstmal in eine fremde Familie eingewöhnen muss. Besonders mit ihrer Schwägerin Keiko liegt sie des öfteren über Kreuz, weil die natürlich von Suzus bedächtiger Art nicht so begeistert und daher mit Ihrer Geduld schnell am Ende ist. Den Unterschied zwischen den beiden wird augenfällig, wenn man sie bei der gleichen Arbeit sieht und Keiko die Dinge entschlossener als Suzu in die Hand nimmt. Hemdsärmelig, arbeitsam, zielorientiert.
Ohne viel spoilern zu wollen: der Film erzählt die Geschichte um Suzu im gleichen zeitlichen Rahmen wie der Film von 2016 auch. Allerdings enthält er 30 Minuten zusätzliches Material, das aber nicht zu dramatischer Zuspitzung genutzt wird, sondern mehr über das weitere Hineinwachsen in die fremde Welt erzählt. Das Ende bleibt also das gleiche. Diese zusätzlichen Szenen betreffen hauptsächlich eine weitere Begegnung mit Suzus Freundin Rin, einer Prostituierten im Bordellviertel – mit einem erstaunlich ausgedehnten Dialog –, und einer erkrankten Bekannten am gleichen Ort; eine halberotische Szene im Bett, die erzählt, daß nicht immer alles eitel Sonnenschein ist zwischen ihr und Shuusaku; ein Treffen am Hanami, ebenfalls mit Rin, das ein paar Geheimnisse andeutet. (Daher ist Rin auch mit auf dem Cover abgebildet.) Sowie kleinere Szenen rund um die Bombardierungen gegen Ende des Krieges.
„Arigatou, kono Sekai no Katasumi ni Uchi o Mitsukete kurete‟
Danke, daß du mich gefunden hast in diesem Winkel der Welt. Dieses Wort als ein verspätetes Liebesgeständnis auf der Brücke von Hiroshima hat auch den Weg in den Titel gefunden, und er passt perfekt zu einem Film, der so unglaublich viel über bloße Gesten und stille Bilder ausgedrückt. Wie in den allgegenwärtigen Kameliensträuchern, deren Blüte auch symbolisch für unschuldig vergossenes Blut steht. Das zeigt sich gerade bei einigen Entwicklungen zu Kriegsende, die eine ungeheuere Energie in ihr freizusetzen vermögen, mit der sich sich gegen alle Perspektiv- und Sinnlosigkeit stemmt und mit der sie einer neuen Zukunft entgegenblickt.
Vielleicht ein Fazit:
Das ist kein Film, den man einfach nebenbei so mal wegguckt. Das ist ein leiser, eindringlicher und bedächtig fortschreitender Film. Und dennoch sehr warmherzig und heiter. Je leiser, desto eindringlicher, und je eindringlicher, desto tiefer gräbt er sich ins Herz. Er erzählt nüchtern, aber liebevoll über das Leben einer jungen Frau, über das Leben und den Zusammenhalt in der Familie und in der Gesellschaft. Alles, was mit Krieg zu tun hat, wird unkommentiert stehen gelassen und es wird nicht mehr darüber gesagt, als für die Geschichte unbedingt nötig. Also konfrontiert er die Ereignisse der Geschichte mit dem historischen Vorwissen des Zuschauers, und aus dieser Konstellation gewinnt der Film diese eigentümliche Innenspannung; verbunden mit einer Ruhe und Abgeklärtheit, die trotz aller Tragik auch auf die Protagonisten abfärbt. »Kono Sekai no Katasumi ni« ist ein Film, der nie enden dürfte.
Dabei steht der Krieg selber gar nicht mal im Mittelpunkt. Eher die Zeit und ihre Umstände. Die cineastische Maxime "Show, don't tell" wird hier absolut ernstgenommen. Das meiste wird über Bilder mitgeteilt, nur wenig wird kommentiert. Schon gar nichts, was mit Krieg zusammenhängt. Man erlebt keine Auswüchse von Chauvinismus, keine Schuldzuweisungen, kein Suhlen in Opfermentalität, keine Wertung, gar nichts, nicht mal moralisch. Daher ist dies auch kein Kriegsdrama, egal ob mit oder ohne "anti". Obwohl tragische Dinge geschehen, ist dies auch keine Tragödie; es wird nur das ganz normale Leben der Bevölkerung aus der Perspektive von Suzu nachgezeichnet, das immer schwierigere Organisieren des Alltags, der wachsende Zusammenhalt unter der Nachbarschaft bei schwindender militärischer Dominanz.
Dem Film ist jegliche pädagogische, didaktische oder moralische Ambition fremd. Er verweigert sich solcher Absichten geradezu; man kann nicht einmal sagen, daß er einen anderen Ansatz verfolgt als beispielsweise »Hotaru no Haka», »Ushiro no Shoumen Dare« oder gar »Hadashi no Gen«, einfach deshalb, weil der Film meiner Meinung nach nicht in die gleiche Kategorie gehört. Also verlässt sich dieser Film auf die weitverbreitete Einsicht, daß Krieg scheiße ist, thematisiert das daher nicht weiter, schon gar nicht plakativ oder sonstwie engagiert, sondern verlässt sich ganz auf die Intelligenz des Zuschauers. Vielleicht ist darin ja auch der Grund zu suchen, daß die Resonanz darauf eher bescheiden ist und das Werk verhältnismäßig wenig Bewertungen hat .
Vielleicht liegt der Grund aber auch in seinem unspektakulären Erscheinungsbild. Das Artwork lässt an einen eher anspruchslosen Kinderfilm denken. Und damit steht er dem Anspruch und Inhalt des Films diametral entgegen. Dieser Animationsstil allerdings passt perfekt zur Persönlichkeit von Suzu. Genauso wie das Pacing, das schon in den ersten Szenen die Richtung vorgibt. Verträumt und geistig oft etwas abseits vom Schuss gondelt sie da durch den Tag, mit bedächtiger Ausdrucksweise und von freundlichem, einnehmenden Wesen. Selbst noch halb Kind geblieben, hat sie auch einen spielerisch leichten Zugang zu den Kindern um sich rum, und ihre kleinen Erlebnisse kleidet sie gerne in fantastisch anmutende Abenteuergeschichten.
Dieser Animationsstil ist aber auch Spiegelung ihres leidenschaftlichen Hobbys: das Malen. Vieles von dem, was ihr Interesse weckt, landet unweigerlich in ihrem Skizzenblock, wie etwa bei der Szene in der Bucht von Hiroshima, als sie die tanzenden Wellen als springende Hasen abbildet. So sehr vermag sie es, sich in die Bilder zu vertiefen, daß diese Bilder mitunter selbst reale Gestalt annehmen.
Passend zu Suzus Charakter verhält sich auch die Musik, die, egal ob als begleitende Filmmusik oder als Insertsong, kammermusikalisch leicht und transparent gehalten ist. Diese Musik verrät auch die Jahreszeit der ersten Einstellung, wenn in orchestraler Version "Adeste fidelis" intoniert wird.
Die Handlung beginnt Ende der Dreißiger Jahre, was sich in einem stilistisch reizvollen Durch- und Miteinander traditioneller und moderner Stile niederschlägt, wie stellvertretend und fast schon symbolisch am Nebeneinander der beiden Brücken erkennbar, und zieht sich bis kurz nach Kriegsende, als die Amerikaner das Land besetzen.
Die Heirat mit Shuusaku Houjou verschlägt sie nach Kure, etwa 20 Kilometer von Hiroshima enfernt, wo sie sich erstmal in eine fremde Familie eingewöhnen muss. Besonders mit ihrer Schwägerin Keiko liegt sie des öfteren über Kreuz, weil die natürlich von Suzus bedächtiger Art nicht so begeistert und daher mit Ihrer Geduld schnell am Ende ist. Den Unterschied zwischen den beiden wird augenfällig, wenn man sie bei der gleichen Arbeit sieht und Keiko die Dinge entschlossener als Suzu in die Hand nimmt. Hemdsärmelig, arbeitsam, zielorientiert.
Ohne viel spoilern zu wollen: der Film erzählt die Geschichte um Suzu im gleichen zeitlichen Rahmen wie der Film von 2016 auch. Allerdings enthält er 30 Minuten zusätzliches Material, das aber nicht zu dramatischer Zuspitzung genutzt wird, sondern mehr über das weitere Hineinwachsen in die fremde Welt erzählt. Das Ende bleibt also das gleiche. Diese zusätzlichen Szenen betreffen hauptsächlich eine weitere Begegnung mit Suzus Freundin Rin, einer Prostituierten im Bordellviertel – mit einem erstaunlich ausgedehnten Dialog –, und einer erkrankten Bekannten am gleichen Ort; eine halberotische Szene im Bett, die erzählt, daß nicht immer alles eitel Sonnenschein ist zwischen ihr und Shuusaku; ein Treffen am Hanami, ebenfalls mit Rin, das ein paar Geheimnisse andeutet. (Daher ist Rin auch mit auf dem Cover abgebildet.) Sowie kleinere Szenen rund um die Bombardierungen gegen Ende des Krieges.
„Arigatou, kono Sekai no Katasumi ni Uchi o Mitsukete kurete‟
Danke, daß du mich gefunden hast in diesem Winkel der Welt. Dieses Wort als ein verspätetes Liebesgeständnis auf der Brücke von Hiroshima hat auch den Weg in den Titel gefunden, und er passt perfekt zu einem Film, der so unglaublich viel über bloße Gesten und stille Bilder ausgedrückt. Wie in den allgegenwärtigen Kameliensträuchern, deren Blüte auch symbolisch für unschuldig vergossenes Blut steht. Das zeigt sich gerade bei einigen Entwicklungen zu Kriegsende, die eine ungeheuere Energie in ihr freizusetzen vermögen, mit der sich sich gegen alle Perspektiv- und Sinnlosigkeit stemmt und mit der sie einer neuen Zukunft entgegenblickt.
Vielleicht ein Fazit:
Das ist kein Film, den man einfach nebenbei so mal wegguckt. Das ist ein leiser, eindringlicher und bedächtig fortschreitender Film. Und dennoch sehr warmherzig und heiter. Je leiser, desto eindringlicher, und je eindringlicher, desto tiefer gräbt er sich ins Herz. Er erzählt nüchtern, aber liebevoll über das Leben einer jungen Frau, über das Leben und den Zusammenhalt in der Familie und in der Gesellschaft. Alles, was mit Krieg zu tun hat, wird unkommentiert stehen gelassen und es wird nicht mehr darüber gesagt, als für die Geschichte unbedingt nötig. Also konfrontiert er die Ereignisse der Geschichte mit dem historischen Vorwissen des Zuschauers, und aus dieser Konstellation gewinnt der Film diese eigentümliche Innenspannung; verbunden mit einer Ruhe und Abgeklärtheit, die trotz aller Tragik auch auf die Protagonisten abfärbt. »Kono Sekai no Katasumi ni« ist ein Film, der nie enden dürfte.
Beitrag wurde zuletzt am 22.01.2024 16:12 geändert.
Kommentare
@Asane:
Vortreffliche Besprechung, absolut d'accord...!