Ein Anime über ein Schulorchester. Kann das funktionieren?
Ja, wenn man es so angeht wie dieses Werk. Nicht als reiner Klamauk à la ''Wir haben eine tolle Zeit mit unseren Clubaktivitäten'', sondern mit überraschend tiefgründigen Figuren, Themen und Problemen.
Die
Story hört sich für die meisten wohl am ehesten nach Happy Everyday Life an.
Tatsächlich kann man zu Beginn der Serie erstmal auf die Idee kommen, dies sei ein Ganbatte Anime; eher zur reinen Unterhaltung als zu Aussagen bestimmt. Die ersten Folgen beschäftigen sich dann auch eher mit trivialen Themen, z.B. der Wahl des Musikinstruments. Spätesten, wenn sich aber herrausstellt, dass in diesem Orchester nicht alles Friede Freude Eierkuchen ist, entwickelt der Anime eine ganz eigene Spannung. Es werde Themen angeschnnitten, wie der Wille, über sich selbst hinauszuwachsen, aber auch Problematiken wie das Setzen von Prioritäten, Konkurrenzkampf, die Angst vorm Scheitern und das Verarbeiten von Fehlschlägen.
Für eine besondere Atmosphäre sorgen die z.T. ungewöhnlich undurchschaubaren bis ambivalenten Charaktere. Bei einem Schulorchester von dieser Größe ist natürlich nicht jede Figur mit besonderer Tiefgründigkeit gesegnet, und Kumikos Freundinnen Hazuki und Midori (Sapphire) hinterlassen nicht unbedingt einen bleibenden Eindruck.
Dafür ist die Hauptcharakterin selbst entgegen ihres Aussehen kein typischer Moe-Charakter, sondern hat Ecken und Kanten. Sie ist ehrlich auf eine Weise, die nicht jeden erfreut, und ihr schon mal Ärger einhaust. Sie sagt nicht zu allem ja und ist immer super drauf, sondern für eine Serie dieses Genres ist ihre Persönlichkeit gradezu ''zickig''. Das macht sie nicht gleich unliebenswürdig, sondern lebendig und lässt sie aus dem Moe-Einerlei des süßen Mädchens ohne echte Meinung mehr als positiv herrausstechen.
Dann haben wir noch Reina, von der man nie so recht weiß, was man von ihr halten soll, die sich im Verlauf der Serie aber als sehr reifes und tiefgründiges Mädchen offenbart. Sie will ''besonders'' sein, und in meinen Augen hat man mit ihr einen durchaus interessanten Charakter entworfen.
Ambivalent bezieht sich vorallem auf Asuka, die scheibare Madonna des Orchestas. Tatsächlich zeigt sich aber immer mehr, dass sie nur äußerlich die perfekte junge Frau ist.
Viel eher spricht in so mancher Szene der Egoismus aus ihr, und vermutlich bin ich nicht die einzige Zuschauerin, der dieser Charakter zum Ende hin nicht mehr allzu sympatisch ist.
Auch der Orchesterleiter ist wider Erwarten kein allzu lieber, immer lobender Lehrer, sondern trifft öfter mal die ein oder andere kritische bis schmerzliche Aussage gegenüber den Schülern. Dies ist realistisch und sorgt für Authentizität.
Die Animationen sind... bezaubernd. Das gute Niveau hält KyotoAni wie gewohnt, indem das Studio mit dem Licht spielt, stimmungsvolle Landschaften einsetzt und flüssige Animationen bietet.
Nicht zu vergessen, das Design der Charaktere. Trotz der Vielzahl gelang es, jeder Figur einen gewissen Wiedererkennungswert zu verleihen, und das liegt auch daran, dass man sich auch für etwas kräftigere Körperformen bei dem ein oder anderen Mädchen entschied. Die etwas fülligeren Charas werden keinesfalls als dümmlich dargestellt, wie man es sonst leider - wenn überhaupt - oft sieht. Dies ist für Animes äußert untypisch und dafür umso lobenswerter.
Die Musik, das eigentliche Hauptthema der Serie, stellt wie so oft eher die Rahmenhandlung, das aber in hoher Qualitäit.
Das OP und ED sind im orchestralen Stil gehalten und machen Lust auf das Thema.
Von dem Orchester selbst hört man zwar selten ganze Stücke. Die wichtigen Auftritte sind zumeist dennoch passend inszeniert und vorallem gegen Ende einfach berührend.
Selbst Amateure, die absolut nichts mit Musikinstrumenten am Hut haben, können qualitative Unterschiede zwischen Stücken und Spielart unterscheiden, und die Entwicklung der Gruppe nachvollziehen.
Bewertung
Ganz ohne Kritik kommt die Serie bei mir trotz des überquellenden Lobes nicht weg.
Zwar schafft es Euphonium durchaus, Emotionen zu wecken, übertreibt es an der ein oder anderen Stelle jedoch. Die Figuren geben ihr Herzblut für ihre Ziele, aber der Versuch, diese Gefühle beim Zuschauer zu wecken, führt leider nicht nur einmal eher zu erzwungenen und überzeichnenten Emotionsausbrüchen, als zu nachvollziehbaren Handlungen.
Darüber hinaus ist der Anfang leider etwas fehlleitend und lässt den Eindruck entstehen, die Serie entwickle sich in eine andere Richtung. Dies betrifft aber nur die ersten paar Folgen.
Dennoch, Sound! Euphonium ist ein Anime, der aus dem Einheitsbrei durchaus herrauszustechen weiß. Beim Zuschauer weckt er die Motivation, sich selbst weiterentwickeln zu wollen, ganz unabhängig von dem Bereich.
Ich würde die Serie jedem empfehlen, der das Schulsetting mag, aber gerne mal eine neue Thematik erleben würde. Coming of Age Fans sollten hier ebenso ihren Spaß dran haben können - oder einfach Fans von guter Unterhaltung ohne Actioneinlagen.
Interesse an Musik muss nicht unbedingt vorhanden sein - die entsteht beim Zuschauen ganz von selbst ;)
Kommentare
Ähnlich war es damals auch bei Tamako Market.
Besonders beeindruckt hat mich die Inszenierung und vor allem die Animationen. Noch nie so gut bei einem SoL-Anime gesehen. Da hat KyoAni sich selbst übertroffen.
Hätte gerne gesehen wie KyoAni das umgesetzt hätte.
Part 1
Part 2
Part 3
Wer sich mal eine Gesamtübersicht ansehen möchte, die ist jetzt auch fertig: http://de.anisearch.com/character/50963