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Die Liebe ist eine Himmelsmacht«
[Johann Strauß: Der Zigeunerbaron]So sieht es wohl auch
Shinako. Die Liebe als heiliges Ideal, im platonischen Sinne, das sie sich rein und unberührt erhalten will. Sie kennt
Rikuo von der gemeinsamen Uni-Zeit, traut sich aber nicht, mit ihm, der seit Jahren sichtlich in sie verknallt ist, eine Beziehung einzugehen, die mehr ist als bloße Freundschaft. Denn immer steht ihre große erste Liebe
Yuu dazwischen, auch wenn dieser Junge schon vor vielen Jahren gestorben ist. Ihre Freundinnen, von denen sie ab und an zu einem
Besäufnis abgeschleppt wird, fassen es nicht, daß sie noch nie eine romantische Beziehung hatte und, trotz ihrer Liebe zu Yuu, immer noch Jungfrau ist. Beschämt versucht sie daher jedesmal, das Thema vom Tisch zu bekommen, denn es ist ihr nicht nur peinlich, sondern sie weiß auch, daß die anderen recht haben. Ein Tritt in den Hintern könnte Wunder wirken, sollte man meinen. Aber so einfach ist das nicht. Denn was unausgesprochen zwischen ihnen steht (auch zwischen ihr und Rikuo), ist der Umstand, daß sie von "Ai" (
愛) redet, die anderen aber von "Koi" (
恋). Erschwerend kommt hinzu, daß sie die ebenfalls als heilig empfundene Erinnerung an jenen Yuu nicht entwerten will. So kommt es, daß sie im ewigen Gestern (siehe Titel des Animes) gefangen bleibt und nicht nur ein Ideal, sondern zugleich Angst vor der eigenen Courage hat. Sie müsste es schaffen, über ihren eigenen Schatten zu springen, das weiß sie, und dennoch bringt sie nicht die Kraft dafür auf; es gelingt ihr nicht.
Und genau das ist das eigentliche Thema des Animes, das punktuell auch immer mal wieder angesprochen wird, ironischerweise in Bezug auf Rikuo, der sich mit einem typischen Gelegenheitsjob durchs Leben mogelt, unfähig oder unwillig, eine Arbeit anzustreben, auf die sich bauen lässt und aus der sich möglicherweise auch Karriereaussichten ergeben. Es stellt sich also die Frage nach dem Lebensziel. Um etwas erreichen zu können, muss man vom Fleck kommen, den Status quo verlassen und voranschreiten –
das steht im Mittelpunkt der Serie. Die Frage nach romantischer Beziehung lenkt den Fokus nur schärfer darauf.
Und deshalb macht sich diese Frage im Anime so breit. Zugespitzt wird diese Frage durch zwei andere Gestalten, die als "Rivale" den beiden Protagonisten in den Weg treten. Das ist zum einen
Haru, das Krähenmädel, die an Rikuo einen Narren gefressen hat, seit sie noch zu Schulzeiten etwas von der Straße aufgehoben hat, das der Schussel grade eben hatte fallen lassen. Typisch Anime also. Haru ist mehr der Typ Problemkind, sollte man zumindest meinen, sehr emotional und genki, so daß immer etwas der Verdacht im Raum steht, sie wolle damit irgendwelche Probleme oder Schicksalsschläge überpinseln.
Auf der anderen Seite
Rou, der kleine Bruder von Yuu, der gegenüber der sieben Jahre älteren Shinako krankhafte
Beschützerinstinkte entwickelt und dem in dieser Serie die Funktion zuteil wird, allerlei arschiges Verhalten mit sich rumzutragen, denn irgendwer muss dafür ja zuständig sein. Trägt Haru immer eine Krähe als Kennzeichen mit sich rum, steckt sich Rou als Attribut eine Sicherheitsnadel ins Ohr. Solcherart macht er einen auf Mini-Revoluzzer bzw. Gesinnungs-Punk und wird schnell pampig, wenn andere, ganz speziell Shinako, seinen stummen Schrei nach Liebe und Anerkennung nicht erhören. Daher agiert er gern mal unsensibel, fordernd und egomanisch und macht dabei einen auf bedauernswert und vernachlässigt. Bald stellt sich die Frage, wer denn hier am wenigsten einen Sprung in der Schüssel hat.
Aber jetzt mal zur Abwechslung zum Anime selber. Positiv fällt auf, daß hier die Beteiligten die Schulzeit schon einige Jahre hinter sich gelassen haben und jetzt voll im Berufsleben stehen – oder wenigstens kurz davor. Daher bleibt dem Zuschauer nicht nur das hormongetriebene Liebesgehampel von Schulanimes erspart, auch das Pacing orientiert sich daran. Der Anime ist voll von ruhigen, gedankenvollen Momenten, lässt sich viel Zeit in der Entwicklung der Charaktere. Vielleicht auch zuviel Zeit. Denn in Folge 11 ist er nicht viel weiter als in Folge 3. Diese ruhige und bedächtige Gangart macht sich auch die Musik zu eigen, die meist nur in stillen Momenten in Erscheinung tritt, und das oft nur punktuell.
Sehr bald fällt auf, daß die Geschichte von einem außergewöhnlich guten Skript geleitet wird. Eine wirkliche Handlung entwickelt sich kaum, vor allem entwickeln sich Einblicke in das Innenleben der Protagonisten, was dazu führt, daß es, von außen betrachtet, über viele Episoden hinweg zu einem ewigen Hin und Her kommt, das von weitem etwas an »Kimi no iru Machi« erinnert. Die Geduld des Zuschauer ist also gefordert. In diesen Dingen bewegt sich der Anime weg von den Standards und Klischees üblicher RomComs und Liebesdramen, fällt aber leider auch immer mal wieder in solche generischen Formulierungen zurück. Das schlägt sich beispielweise darin nieder, wie häufig und furchtbar zufällig sich immer alle über den Weg laufen. Vor allem abends oder nachts, der Melodramatik wegen auch gern im Regen. Stalking scheint ein dezidiert weibliches Hobby zu sein,
gerade bei Haru, aber andererseits befinden wir uns auch in der Prä-Händie-Ära.
Über die Optik hab ich mich noch gar nicht geäußert. Das liegt daran, daß die ziemlich perfekt ist. Nicht zu perfekt, sondern sie hält die Waage zwischen fast fotorealistischer Abbildung und warmer Austrahlung. Auch die Charaktere sind etwas weiter vom Standard entfernt als sonst, wobei manche männlichen Personen mich vom Charakterdesign her immer etwas an
Ginko aus »Mushishi« erinnert haben. Auch die Übersetzung gehört mit zum besten, was mir in den letzten Jahren zu Ohren gekommen ist. Sie leistet sich immerhin den Luxus, den Unterschied zwischen "begreifen" und "verstehen" zu kennen.
Wie die Zeit vergeht, ist schwer abschätzbar. Um das einzuordnen, sollte man als Zuschauer schon selber immer mal wieder einen Blick auf den Wandkalender werfen, sonst steht man womöglich konsterniert vor einigen Rätseln. Aber genau solche subtilen Details sind es, was ich an dem Anime schätze. Auch wenn die ganze Serie über kein Beatles-Song auftaucht. Wer am Ende mit wem zusammenkommt ist ein Thema für sich, und man mag über die Tragfähigkeit einer solchen Bindung spekulieren. Jedenfalls sollte man sich nicht so sehr auf eine Liebesgeschichte per se gefasst machen, sondern eher auf ein Charakterdrama. Ein Charakterdrama mit
präziser Körpersprache.
Beitrag wurde zuletzt am 06.03.2023 02:54 geändert.
Kommentare
Zu diesem Anime ist zu sagen, dass er mal nicht der klassische Romane, Comedy, Harem anime ist wie jeder andere 0 8 15 Anime in letzter Zeit.
Hier muss ich sagen das mich die Geschichte wirklich überzeugt hat, ich könnte mir vorstellen das es sowas durchaus auch in der echten Welt geben könnte.
Die Charaktere haben alle eine tiefere Einzel-geschichte diese man auch wunderbar zu sehen bekommt.
Hier wurde nicht alles auf viel zu kleinem Raum gepackt und somit die Hälfte übersprungen.
Der Soundtrack ist okay nicht wirklich etwas besonderes, aber darum geht es ja auch nicht.
Diesen Anime kann ich euch wirklich empfehlen, solange ihr nicht wirklich dieses typische Harem Gedöns haben wollt.
Für mich eine verdiente 4von5 Sternen.
Zum Ende möchte ich noch sagen, dass dieses meiner Meinung nach sehr gelungen ist und man zufrieden abstellen konnte.
MFG Alex