Anspruch: | viel |
Action: | viel |
Humor: | wenig |
Spannung: | viel |
Romantik: | wenig |
Alternatives Shōnen-UniversumHunter
x Hunter geht viele auffällige Wege eines Kampf-Shōnen - gleichzeitig wird ihm aber nachgesagt, die kennzeichnenden Schwächen dieser zu meiden. So wird der Manga als besseres Beispiel für Paradebeispiele der Gattung
Bleach und
Naruto dargestellt, was nicht grenzenlos richtig ist. Ein Manga, der mittlerweile um die 10.000 Seiten zählt und noch immer nicht aufhört, kann unmöglich ohne schwache Momente auskommen, doch auch Lob ist an vielen Stellen nicht unberechtigt.
Es kommt so bekannt vor: eine Welt, der zu Beginn keine Grenzen gesetzt sind, und ein gutmütiger Junge, der auf der Suche nach seinem Vater in dieser Abenteuer erlebt. Hauptheld Gon ist zwölf, handelt oft so und es werden keine gezwungenen Versuche unternommen, ihn reifer werden zu lassen. Im Gegensatz sogar. Anders als viele andere Shōnen-Helden hat Gon weder Überzeugungen, noch ist er zu jemandem außer seinen Freunden loyal. Es kann sogar behauptet werden, er besitze keine wirkliche Persönlichkeit. Doch dies schadet dem Manga nicht, sondern entpuppt sich als die beste Entscheidung.
Im riesigen Universum von Hunter x Hunter wird Gon oftmals vor fast unerfüllbare Aufgaben und die Ermordung vieler Menschen gestellt. Das Fehlen einer wirklichen Moral hinter den meisten Geschichten des Manga, vor allem zu Beginn, erlaubt es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: auf die Handlung. Diese enthält von den ersten Kapiteln an sehr viel Logik, Rätsel und ausführliche Beschreibungen. Darin bleibt die Handlung aber nicht konsistent: klar nach Arcs gegliedert, gewinnt Gon zunehmend an Verbündeten und Stärke, sodass schließlich die Anteile an Kampf und Action zunehmend Überhand gewinnen und die zuerst sehr häufig vorhandenen Momente von "nur Nachdenken" seltener werden.
Von der riesigen Auswahl an Charakteren sind nur ein Dutzend länger als einen-zwei Arcs wichtig und somit im Endeffekt überschaubar. Die Freunde des charismatischen Gon sind allesamt vorhersehbare Charaktere, deren Beweggründe nie ernsthaft mit denen von Gin auseinander gehen. Dennoch ist keiner von ihnen auch nur an einem Zeitpunkt uninteressant, weil die Handlung den Persönlichkeiten in den Vordergrund geschoben wird. Die Antagonisten und schwer einzuordnenden Charaktere sind hingegen trotz ihrer Vorhersehbarkeit facettenreicher: bis auf wenige Ausnahmen ohne viel Tiefgang, aber stets mit Nachvollziehbarkeit und Fantasie gestaltet.
Etwas an die Symptome anderer großer Werke wie
One Piece erinnert somit, dass die Haupthelden den sich entwickelnden Situationen gegenüber teilweise klein und machtlos erscheinen, durch Talent, Aktionsbereitschaft und nicht zuletzt Köpfchen und Glück aber trotzdem die Kurve kriegen. Die Herausforderungen, vor denen Gon und Freunde gestellt werden, sind äußerst vielfältig: seltsame Tiere, Meuchelmörder, Trickbetrüger in Aktionshäusern, die Mafia, Netzwerke von Verbrechern, Kampfturniere, Kartensammler, Piraten, Volleyball-Spiele, übermächtige Naturgewalten oder einfach nur miese Kerle - alles in hohem Maß vertreten, mit viel Hintergrundwissen und glaubwürdiger Ernsthaftigkeit der Situation in Szene gesetzt.
Untermalt werden alle Geschehnisse von der Hunter-Organisation, einem ausgearbeiteten System an Fähigkeiten und einem erst nach viel Warten definierten Universum. Die "Hunter", die dem Manga seinen Namen gaben, sind ein organisierter Zusammenschluss von in vieler Hinsicht fähigen Leuten, die gefährliche Aufträge annehmen, die Natur wahren und nach Schätzen suchen. Obwohl Gon der Organisation von Anbeginn beizutreten wünscht, stehen ihre Struktur und Ziele selten beziehungsweise spät im Vordergrund. Angesichts der riesigen Welt scheint ihre Macht sogar von Zeit zu Zeit sehr beschränkt zu sein, sodass die Mächte der Natur und der Verbrecher noch immer eine entscheidende Gefahr für die Menschheit sind.
Ein weiteres zentrales Bestandteil ist die für übermenschliche Fähigkeiten benutzte Lebenskraft Nen. Durch die sehr gut erklärten Einsatz und Manipulation von Nen lassen sich alle erdenklichen Kunststücke anstellen, sodass Charaktere Kaugummi, Explosionen, Ketten, Pollen Buddhas und Dimensionen erzeugen, Menschen heilen und befehligen und tödliche Schläge wegstecken, ohne dass es jemals erzwungen und fragwürdig wirkt. Nicht unbegründet bestehen Verdachte, dass sich viele Shōnen dieses hervorragenden Schemas bedient haben.
Klingt nach dem ultimativen Shōnen-Abenteuer mit Action, Hirn und Herz: und Hunter x Hunter kommt tatsächlich oft nahe, ist aber nicht immer konsequent in sich selbst und eben nicht immer ein klagloses Leseerlebnis.
Dies ist vor allem der Länge zu verschulden, bei der ein ausschweifender Abschnitt auf den anderen folgt und nie verpasst, den Leser mit allen Kleinigkeiten zu versorgen. Oft werden ganze Reihen von Charaktern eingeführt, um bei der nächstbesten Gelegenheit wegzusterben - was Gon eigentlich meist kalt läßt, solange er nur sein eigenes Ziel erfüllen kann, was auch nur eine Stufe zu einem noch größeren Ziel ist ... Die Suche nach seinem Vater wird von sehr vielen anderen Handlungssträngen und Schauplätzen begleitet, sodass immer öfter auf den großen Showdown ohne logisches "Wenn und aber" gehofft wird, der die ganze Situation irgendwie zusammenfasst und klärt. Genau dieser tritt aber seltsamerweise ab und zu fast schon zu kurz. Oft wird der Showdown auch schon einmal fünfzig Kapitel im Vorraus genau angekündigt, und der Weg zu diesem gestaltet sich für den Leser dann nicht mehr sonderlich spannend. Letztlich gestaltet es sich im Endeffekt sehr schwer, sich bei jedem der über dreihundert Kapitel auf jede Erklärung und jeden Handlungsstrang zu konzentrieren, wenn dann schließlich doch die Übergegner und die Hoffnung auf Überaction am Horizont auftauchen und selbst wenn ganze Königreiche vernichtet werden kein einzelner roter Faden mehr zu finden ist. Etwas auszusetzen könnte es auch am Zeichenstil geben, der bei so vielen Inhalten manchmal zu sparsam mit sich selbst umgeht und in hektischen Kämpfen nicht immer alles zu erkennen gibt, stattdessen dem Leser aber immer wieder ganze Textblöcke zumutet.
Hunter x Hunter nimmt sich stellenweise sehr ernst als philosophisches und nachvollziehbares Werk. Wer diesen Manga direkt nach einem anderen Vertreter des Kampf-Shōnen liest, wird sich fragen: wo sind die Stellen, wo der Hauptheld ein großes Power-Up bekommt und abgefeiert wird, statt sich nur durchzubeißen? Wo sind Romantik, Miniröcke, Gender-Stereotypen, heldenhafte Moral, Freundschaft und Titten?
Nachdem das Erstaunen Akzeptanz und Erleichterung gewichen sind, ist der Manga sehr genießbar und einer der besten Vertreter des Genre, darf aber nicht mit dem Heiligen Gral unter den Shōnen gleichgesetzt werden: bei einem Manga, der so viel Fülle und Ausmaß einfach dem Abenteuer zuliebe bietet, fällt immer etwas nach unten ab. Dennoch gibt es kaum Handlungen, in denen der Leser bereut, sich durch Tausende von Seiten gelesen zu haben.
Deutlich besser in Hinsicht der moderaten Schwächen von Hunter x Hunter ist auch der Anime, der zwar einen sehr langen Abschnitt zurückliegt, aber wärmstens bis dahin zu empfehlen ist.