Rote Blüten (1960)

Mit „Rote Blüten“ erscheint ein Klassiker von Yoshiharu Tsuge erstmals in Deutschland. Entdeckt die atmosphärischen Kurzgeschichten des Mangaka, die ihn weit über Japans Grenzen hinaus bekannt machten.

Story

Der Band ist eine einzigartige Sammlung ausgewählter Kurzgeschichten aus den Originalwerken „Rote Blüten“ (jap.: „Akai hana“) und „Verschraubt“ (jap.: „Nejishiki“). Hier ist ein Einblick in die zwei Titelstorys:

„Verschraubt“
Ein Mann geht im Meer schwimmen und wird von einer Meme-Qualle am linken Arm verletzt. Blutend steigt er aus dem Wasser empor und erhofft sich im nahegelegenen Fischerdorf Hilfe. Er ist auf der Suche nach einem Arzt, der die bluttriefende Wunde professionell versorgt. Überall fragt er herum, aber niemand scheint ihm behilflich sein zu können. Vielleicht hat er im Nachbardorf mehr Glück? Verdrossen macht er sich auf den Weg und findet, was er so begehrt …

„Rote Blüten“
Auf dem japanischen Land betreibt das Schulmädchen Sayoko einen kleinen Ausschank und ist um jeden Gast dankbar. Es ist Sommer, brütend heiß und ihr machen nicht nur ihre Bauchschmerzen zu schaffen. Ihr Klassenkamerad Masaji ärgert sie gerne und schaut daher häufig bei ihr vorbei. Heute kann er zur Abwechslung einmal einem Gast behilflich sein. Der Herr sucht nach einem guten Angelspot und der Junge kennt sich in puncto Fischfang in der Gegend hervorragend aus. Als Masaji den Fremden an eine aussichtsreiche Angelstelle führt, bemerkt er seltsamerweise rote Blüten im Fluss …

Eine Leseprobe findet Ihr auf der Produktseite bei Reprodukt.

Erzählstil

Der Einzelband umfasst 400 Seiten und beinhaltet stolze 20 Kurzgeschichten. Die Storys sind in den 60er und frühen 70er Jahren in Japan erstmals veröffentlicht worden. Bei jeder von ihnen ist am Ende der Geschichte im Band ein kleiner Vermerk mit dem ursprünglichen Erscheinungsdatum angebracht. Yoshiharu Tsuge begann in diesen Werken mit der Erzählung aus der Ich-Perspektive zu experimentieren. Damit war er zu seiner Zeit der erste japanische Zeichner, der diesen Weg einschlug. Folglich sind alle Kurzgeschichten in diesem Band entsprechend in dieser Erzählform wiedergegeben. Hierbei schildert in nahezu allen Storys ein männlicher Protagonist seine jeweiligen Beobachtungen, Gedanken und Erlebnisse.


Inhaltlich bewegt sich der Manga im Drama-Genre. Von Alltags- bis Psychodramas mit surrealen, poetischen, erotischen oder gesellschaftskritischen Elementen ist alles vertreten. Einige der Kurzgeschichten sind auffällig häufig Reiseerzählungen, in denen ein Gast unerwartete Begegnungen macht. Yoshiharu Tsuge erzählt seine Storys dabei stets wertfrei. Das heißt, dass beispielsweise kriminelles Verhalten wie Stehlen oder sexuelle Belästigung keine positive oder negative Wertung erfährt, sondern einfach als Tat für sich steht. Es wird dem Leser überlassen, die Handlungen einzuordnen oder neutral im Raum zu belassen.

In seinen Geschichten gibt es ferner auch keinen klassischen Helden oder Schurken. Der Ich-Erzähler nimmt vielmehr seine Umgebung wahr und interagiert mit ihr auf seine ganz persönliche Art und Weise. Dabei kann sich der jeweilige Erzähler zum Beispiel als hilfsbereiter Nachbar oder als lüsterner Tunichtgut entpuppen. Offenkundig baut Yoshiharu Tsuge als Neben- oder Hauptfiguren auch skurrile Individuen ein. Da wäre beispielsweise ein arbeitsloser Vater einer stummen Familie, der sich im Unterhemd mit Vögeln unterhält oder ein sprechender Salamander, der über sein Leben in der Kanalisation sinniert.

Über den Mangaka und seinen Erzählstil erfährt man übrigens am Ende des Bandes mehr. Dort sind ihm sieben Seiten gewidmet, die näher auf sein Schaffen und persönliche Herausforderungen eingehen.

Zeichenstil

Details zur Veröffentlichung

Verlag:	Reprodukt
ISBN-13:	978-3-95640-191-6
Veröffentlichungsdatum:	13. November 2019
Medium:	Manga
Typ:	Kurzgeschichteneinzelband
Format:	Hochwertiger Einband mit starkem Buchrücken
Maße:	14 × 4,5 × 19,3 cm
Seiten:	400 inklusive 0 Farbseiten
Preis:	24,00 € [D]

Yoshiharu Tsuges Zeichenstil ist geprägt von klassischen Comic Strips, in denen stets etwas „Luft“ zwischen den einzelnen Panels ist. Außerdem gibt es keine Überlagerungen einzelner Elemente wie man es teils aus modernen Mangas kennt. Durch den deutlichen Abstand der Panels zueinander wirken die Seiten homogen und unterscheiden sich nur in der Panelanzahl. Pro Einzelseite können 1–12 von ihnen vorkommen. Je nach Kurzgeschichte verwendet der Mangaka teils längere Monologe und Dialoge, teils textfreie Bilder. Die Gedanken einer Person und das gesprochene Wort lassen sich visuell einfach voneinander unterscheiden.


Die Figuren und sehr viele Hintergründe sind allesamt per Hand gezeichnet. Es ist beeindruckend zu sehen, wie Yoshiharu Tsuge mit kleinen, gezielten Strichen sowohl detailgetreue Landschaften als auch Objektdetails skizzieren kann ohne auf Hilfsmittel wie Rasterfolie angewiesen zu sein.

Der ganze Band ist übrigens erwartungsgemäß gänzlich in schwarz-weiß gehalten. Durch die Dicke von stattlichen 3 cm (400 Seiten) spendierte Reprodukt der Ausgabe einen soliden Buchrücken. Zudem sind auf dem Cover und der Rückseite transparente, glänzende Schriftzeichen angebracht, die einem auf den ersten Blick verborgen bleiben und erst bei genauerer Betrachtung zum Vorschein kommen.

Empfehlung und Fazit

„Rote Blüten“ ist ein ungewöhnliches Werk, das vor allem Leser anspricht, die Dramas wertschätzen. Poetische, surreale, atmosphärische und erotische Elemente sind bei diesem Manga zudem inbegriffen. Ungeachtet dessen ist der Band auch lesenswert für alle, die sich gerne einmal einen Manga-Klassiker aus den 1960ern bis 1980ern näher zu Gemüte führen wollen. Der Zeichen- und Erzählstil unterscheidet sich doch teils deutlich von den Mangas der letzten zwei Jahrzehnte. Dennoch ist das Werk nach wie vor unterhaltsam und regt zum Nachdenken an.