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Was ist eine Geschichte?

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Avatar: TheWeirdOne
Club-Junior
Themenstarter#1
Ihr lacht vielleicht über dieses Thema, aber tatsächlich ist gibt es da einiges zu erklären, was den meisten gar nicht mal so bewusst ist. Und bevor ich auf detailliertere Dinge wie eine Trope oder eine Akt-Struktur eingehe, möchte ich die kurz die Grundlagen erklären, damit wir auch von denselben Dingen sprechen.


Narrative Medien
Zu aller Erst muss ich dafür klar stellen, was ein narratives Medium ist. Ein Medium ist in diesem Fall nicht etwa eine Person, die mit Geistern Verstorbener sprechen kann, sondern bezeichnet hier den Oberbegriff für Filme, Bücher, Comics und dergleichen, die in Form von Worten, Bildern oder Klängen mit dem Zuschauer, Leser oder Hörer kommunizieren. Und das Wort „narrativ“ definiert dieses Medium als eines, das eine fortlaufende Geschichte erzählt. Beispiele für solche narrativen Medien sind Spielfilme oder Romane. TV-Dokumentationen oder Biographien hingegen sind zwar auch Medien, aber nicht narrativ, da sie keine fortlaufende Geschichte erzählen.


Der Unterschied zu einer Biographie/Dokumentation
Während ihr in einer solchen Dokumentation oder Biographie tatsächlich passierte Ereignisse aufgreifen und 1:1 nachstellen könnt, so wie sie geschehen sind, funktioniert das in einer narrativen Geschichte leider nicht. Ein Buch oder ein Film, der eine fortlaufende Geschichte erzählt, ist an gewisse Regeln wie einen Spannungsbogen oder einen Aufbau (z.B. Drei-Akt-Struktur) gebunden. Auch das Setup-Buildup-Payoff-Prinzip spielt hierbei eine wichtige Rolle, auf das ich aber an anderer Stelle nochmal genauer eingehen will. Wenn man nun versucht wahre Geschichten in eine Narrative zu pressen, wird man schnell feststellen, dass das Leben selten Geschichten so schreibt, dass man die 1:1 für seinen Roman oder Film verwenden kann. Man wird gezwungen Charaktere, Handlungen und Zeitabläufe wegzulassen, hinzuzuerfinden oder einfach umzuschreiben, sodass eben besagte Regeln eingehalten werden, damit die Geschichte funktioniert und spannend bleibt. Das ist übrigens auch der Grund, warum Buchverfilmungen meist nicht akkurat sind. Und aus diesem Grund mag ich auch Filme oder Bücher nicht, die eben versuchen dies zu tun.


Was ist eine narrative Geschichte?
Der Punkt ist, dass eine narrative Geschichte immer eine Projektion unserer Gesellschaft in eine fiktive Welt ist. Damit will ich vor allem zwei Dinge aussagen.
Erstens: Egal wie realgetreu ihr eure Welt auch immer gestaltet und wie sehr ihr euch an echten Details wie Gebäuden, Personen oder Ereignissen orientiert, die Welt in eurer Geschichte wird immer eine reine Erfindung aus eurer Fantasie sein. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich halte es an dieser Stelle für wichtig zu erwähnen, dass wir uns diesen Umstand immer im Hinerkopf behalten. Ich sehe immer wieder Szenen in Filme oder Serien, die der Logik entbehren, wenn z.B. eine Crew auf eine Mission geht und erst auf dem Weg zum Ziel ein Briefing abhält. Jeder normale Mensch würde das vor dem Missionsantritt tun. Das das erst hinterher gezeigt wird, hat etwas mit dem Spannungsbogen zu tun. Niemand würde sehen wollen, wie die einzelnen Charaktere rekrutiert und gebrieft werden, bevor sie sich dann noch von ihren Familien verabschieden usw. Das wäre einfach nur stinkend langweilig. Das bedeutet aber nicht, dass solche Gescichten keine Botschaft an den Zuschauer oder Leser transportieren kann, was an dem folgenden Grund liegt.
Zweitens: jede narrative Geschichte ist von Menschen für Menschen geschrieben. Daher muss eure Geschichte auch von Menschen handeln. Natürlich gibt es Filme wie „Der König der Löwen“, in denen die Darsteller keine Menschen sondern Tiere, Aliens oder Fantasiewesen sind. Das ist hierbei egal, denn es geht darum, dass die Charaktere wie Menschen geschrieben sind und sich weitestgehend wie Menschen verhalten. Die haben die gleichen Gedanken und Gefühle wie wir und darauf kommt es an. Sie funktionieren hierbei als sog. Proxy, also als eine Art Stellvertretung für den Leser/Zuschauer/etc., die an seiner statt die Geschichte durchleben. Damit sind automatisch auch die Charaktere an gewisse Regeln gebunden. Denn um als solche Proxy funktionieren zu können ist es extrem wichtig, dass sich der Zuschauer/Leser/usw. mit den einzelnen Charakteren identifizieren kann. Und dafür müssen die Charaktere in ihnen Sympathie wecken.


Die Unterschiede zwischen einem Film und einem Buch
Ein Film oder eine Serie, sei es ein Anime oder nicht, arbeitet auf einer visuellen Ebene. Ein Buch hingegen tut das nicht. Ein Buch arbeitet mehr mit Fantasie des Lesers. Während man in einem Buch die Gefühle und Gedanken der Charaktere gut beschreiben kann, muss ein Film oder eine Serie sich darauf verlassen, dass die Charaktere ihre Gefühle und Gedanken so ausdrücken, dass der Zuschauer sie versteht.

1. Die treibende Kraft
Eben aus diesem Grund benötigt ein Film immer eine Kraft, die den Film vorwärts bewegt. Und diese treibende Kraft muss immer ein Charakter sein. Dieser Charakter sagt wo es lang geht und geht auf sein Ziel zu. Andernfalls wird der Film ziemlich schnell langweilig, weil nur zufällige Ereignisse passieren.
Beispiele: Eren Jäger aus Attack on Titan, Kamina aus Gurren Lagann, Edward Elric aus FMA
Ein Buch benötigt diese treibende Kraft nur bedingt. Das Buch hat den Vorteil, dass man Situationen, Ereignisse und Gefühle mit Worten so schmücken und umschreiben kann, dass die Leser dadurch bei Laune gehalten werden.
Beispiel: „Wäre sein Leib eine Kanone, er hätte sein Herz auf ihn geschossen.“ (Moby Dick)

2. Die Erzählweise
Ein Buch hat gegenüber einem Film einen entscheidenden Vorteil, der vielen Menschen gar nicht so klar ist. Dort kann man nämlich Dinge in wenigen Sätzen beschreiben. Nehmen wir als Beispiel ein post-apokalyptisches Endzeit-Szenario. Die Welt ist untergegangen. Die Gesellschaftsstrukturen sind auseinandergebrochen und die wenige Menschen, die es noch gibt, leben in Anarchie. Ein solches Szenario lässt sich, wie ihr seht, in nur 2-3 Sätzen beschreiben. Ein Film, der hingegen auf eine visuelle Erzählweise bauen muss, benötigt hierfür mehrere aufwendige Bilder und Szenen um dieses Szenario an den Zuschauer zu kommunizieren.
Dieselbe visuelle Erzählweise bringt aber auch einen Vorteil mit sich. Schaut euch hier als Beispiel mal den Kampf zwischen Kakashi und Obito aus Naruto an. Den gibt es auf YouTube zu sehen. Dort sehen wir während des Kampfes Rückblicke auf deren Kindheit und wie sie miteinander spielerisch trainiert haben. Wir sehen, wie beide dieselben Bewegungen und Tricks anwenden, wie damals und was sie seitdem dazu gelernt haben. Außerdem schafft es dieser Kampf dem Zuschauer ein Gefühl für das Drama zu vermitteln, das aus der direkten Gegenüberstellung des spielerische Trainings aus der Vergangenheit und dem bitteren Ernst der Gegenwart besteht. Eine solche Gegenüberstellung ist in einem Buch unmöglich in Worte zu fassen. Zumindest nicht so, dass es den gleichen Effekt erzielt oder beim Leser verständlich ankommt.
An dieser Stelle möchte ich auch kurz den Manga bzw. Comic erwähnen. Dieser stellt nämlich eine Mischung aus beidem dar. Aufgrund der Bilder, arbeitet er auf einer visuellen Ebene, aufgrund der darin beschriebenen Gedanken und Gefühle, arbeitet er aber auch genauso wie ein Buch auf der Fantasie des Lesers. Er arbeitet aber in keinem der beiden Einzelbereiche so gut wie ein Film oder ein Buch. So wird es schwierig in einem Manga eine Umgebung mit Worten zu beschreiben. Hierfür muss er sich i.d.R. der visuellen Ebene bedienen. Gleichzeitig hat er z.B. auch ein Problem mit der Farbgebung, da die meisten Manga in Schwarz-Weiß gehalten sind. Ein Manga oder Comic vereint also die Vorteile wie auch die Nachteile beider Medien in sich.

3. Der Produktionsaufwand
Wie ihr alle sicherlich wisst, sind bei einem Film z.T. hunderte Menschen beteiligt, die alle ihre einzelnen Funktionen haben. So haben wir z.B. die Schauspieler, die ihre Rolle spielen. Wir haben Maskenbildner, die dafür sorgen, dass die Schauspieler perfekt aussehen. Wir haben einen Drehbuchschreiber, der vorgibt, was die Schauspieler sagen sollen. Wir haben verschiedene Kameramänner, welche sagen, wo die Schauspieler stehen müssen. Wir haben eine Regisseur, der das alles dirigiert, usw.
Als Buchautor vereint man all diese Aufgaben in seiner eigenen Person. Man muss sich um all die Kleinigkeiten wie das Editing, das Establishing, das Bühnenbild, die Charakterdesigns selbst kümmern. Ich denke, die vielen verschiedenen Aufgaben, die man beim Schreiben eines Buches zu bedenken hat, sind daher vielen gar nicht so bewusst.
Außerdem hat man bei einem Film immer Menschen, die über das Gesamtwerk drüber schauen. Das sind meist der Regisseur, die Produzenten und verschiedene Berater. Wenn man ein Buch veröffentlichen will, hat man zwar auch Freunde und Familie um sich, die das mal Probelesen, aber wirklich Ahnung von dem Business haben die meist nicht. Und wenn man das Glück hat, von einem Verlag genommen zu werden, dann hat man bestenfalls 1-2 Lektoren, die den Job aber auch nie wirklich gelernt haben, da das kein Ausbildungsberuf ist. Die meisten Lektoren kommen entweder aus dem Buchhandel oder der Medienbranche oder haben Germanistik studiert. Die haben also von ihrem Einzelbereich eine Ahnung, erfassen aber oft selbst das große Gesamtbild nicht. Und dieser Umstand führt leider dazu, dass die meisten Bücher, die ich bisher gelesen habe, schon in Grundlagen des Geschichtenschreibens scheitern, wie einer konsequenten Erzählstruktur und verlieren sich in Nebenplots die nirgendwohin führen.
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