Das Anschauen von Comics für Geschichten hilft und ist gleichzeitig schmerzhaft. Es hilft, weil Filme ineinander greifen können, aber es tut auch weh, weil Handlungsstränge keine endgültigen Enden haben. Filme und Fernsehen neigen dazu, Geschichten zu melken bis sie als zombifizierte Hülle von sich selbst dahintreiben. Ihnen fehlen definitive Endungen. Während Anime dasselbe kann - One Piece - haben die meisten Anime-Geschichten ein definitives Ende. Sie haben in einer bestimmten Anzahl von Folgen eine Geschichte zu erzählen und das war´s. Hollywood hat in der Vergangenheit den gleichen Mechanismus verwendet. Die Filmreihe „Der Herr der Ringe“ zum Beispiel wollte jedes Buch in einem einzigen Film behandeln. Sie hatten 3 Filme um die Geschichte zu erzählen. Neuere Superheldenfilme starten jedoch immer wieder von neuem. Seht euch an wie oft Batman neu verfilmt wurde. Anime hat mehr mit „Der Herr der Ringe“ gemeinsam als mit Batmans ständige Neustarts. Die meisten Anime sehen nie einen Neustart. Die meisten Anime enden nach einer bestimmten Anzahl von Episoden, auch wenn diese Anzahl zufällig in den 300ern liegt. Wenn die Geschichte endet, endet sie.
Diese festgelegten Längen und endgültigen Enden ermöglichen es, dass einige Anime-Geschichten Hollywood- und Fernsehgeschichten überlegen sind. Wenn man weiß, dass man nur 52 Folgen hat um eine Geschichte zu erzählen, verhindert man, dass sich die Autoren wiederholen. Ja, Bleach und Dragon Ball Z und andere Animes sind vollgepackt mit Fillern, aber das stützt meine Argumentation tatsächlich. Es ist besser eine festgelegte Anzahl von Filmen oder Folgen zu haben. Dies gibt den Autoren ein Ziel auf das sie beim Anpassen einer Manga-Serie zielen müssen, wodurch die Serie einen besseren Zusammenhalt und eine bessere Taktung erhält. Filler lösen Spannung. Zumindest manchmal. Manga und Anime haben die unangenehme Angewohnheit Spannung mit einem schlecht getimten Flashback zu töten, was Hollywood heutzutage selten tut.
Ich sprach über die Kosten von Filmen, die Hollywood davon abhalten, Risiken einzugehen. Ein Großteil dieser Ausgaben entfällt auf CGI. Live-Action hat Einschränkungen die nur CGI umgehen kann. Animation hingegen kennt keine realen Einschränkungen. Man kann alles zeichnen und animieren was man will. Die Animation ermöglicht es dem Publikum eher an Dinge wie Riesenroboter zu glauben als bei Live-Action. Aus diesem Grund erhöhen CGI-Budgets die Kosten für Filme. Die Aufhebung des Unglaubens ist für CGI schwerer zu erreichen, da wir wissen wie reale Objekte aussehen und CGI daher perfekt aussehen muss. Andernfalls können wir von unserem Filmerlebnis abgehalten werden. Aus diesem Grund ist Animation für einige Arten von Geschichten besser geeignet als für andere. Leider setzt das deutsche (und auch das gesamte westliche) Publikum Animation immer noch mit Kindern oder mit Comedy gleich. Es wird also eine Weile dauern bis sich andere (westliche) Animationsstudios mit denselben Themen und Geschichten für Erwachsene befassen mit denen sich Anime seit Jahrzehnten befasst.
Versteh mich nicht falsch. Ich mag Filme. Ich freue mich auf Abende mit klassischen Filmen aus der goldenen Ära Hollywoods. Aber leider ist diese Ära vorbei (ich mag Filme aus den 1930er bis 1950er Jahren). Ich trage auch keine Scheuklappen wenn es um Anime geht. Anime kämpft mit den gleichen Problemen so sehr wie das Fernsehen. Vielleicht sogar noch mehr mit all den Haremgeschichten und dem mit Fanservice beladenen Müll. Anime behält jedoch die Stärken des goldenen Zeitalters Hollywoods bei: Kühne, experimentelle Geschichten, festgelegte Serienlänge und das Vertrauen auf das Erzählen von Geschichten anstelle von Spezialeffekten. Tatsächlich könnten Spezialeffekte einer der Hauptgründe für den Rückgang von Hollywoods Geschichtenerzählen sein. Das Publikum möchte begeistert und angeregt werden, anstatt sich in Dialog und Persönlichkeit zu verlieren. Filme versuchen mehr Explosionen und immer intensivere Actionsequenzen aufzunehmen um ein Publikum zu interessieren. Und das macht das Budget riesig. Auf der anderen Seite kann Anime die Action mit weniger Budget und ohne Beeinträchtigung des Storytelling beschleunigen. Mit der Animation kann man sich die Freiheit nehmen die Live-Action einfach nicht hat - wie das Anhalten einer Explosion für einige Dialoge. Live-Action-Filme, die CGI verwenden, wirken irritierend und unrealistisch.
Am Ende kommt es auf den Gewinn an. Hollywood wird Filme machen, die die Leute sehen wollen. Anime-Studios machen das Gleiche. Der beste Weg um Trends zu ändern, die wir nicht mögen, ist mit unseren Geldbörsen abzustimmen. Genervt von Superheldenfilmen? Hör auf sie in den Kinos zu sehen und die DVDs zu kaufen. Genervt von High-School-Anime? Hör auf sie anzusehen und kaufe die DVDs nicht. Verwendet stattdessen euer Geld um für Geschichten zu stimmen die man sehen möchte. Seht euch einen der seltenen Originalfilm aus Hollywood an. Am Ende entscheiden wir Verbraucher. Hollywoods Schwächen sind unsere Entscheidung. Ebenso entscheiden wir über Hollywoods - und Animes - Stärken.
Kommentare (3)
Ach was. Das war ein Schnellschuss ins Blaue, quick & dirty.
Was ich unterschlagen habe: wenn die Voraussetzungen gegeben sind, dass das (Imagination) gelingt, dann sind auch die Hürden weitaus niedriger bei der Projektion, die beispielsweise (aber nicht nur) in der Identifikation mit dem "Helden" mündet*.
Meinem Gefühl nach niedriger als im Realfilm. Hierin sehe ich letztlich die große Faszination und den Schlüssel zum Erfolg, der Anime bei seinen Fans hat. Das bringen ansonsten nur Filme oder Serien zustande, die vom Setting oder der literarischen Vorlage her ein ähnlich hohes Identifikationapotential ausweisen wie Harry Potter oder Herr der Ringe.
[Edit: Ergänzung]
*Wenn dann noch das Setting stimmt, die Atmosphäre und das Ziel aller (männlichen) Träume - plus Isekai! 😎 - dann gibt's kein Halten mehr. Wie bei SAO. Da werden auch Inkonsistenzen, out-of-character-Aktionen und andere logischen gaps & flaws tapfer weggedrückt, geleugnet, ignoriert, und entsprechende Kommentare, naja, vielleicht nicht gerade gehatet, aber reihenweise ge-rotdango-t. Kann man schön sehen, wenn man das mal systematisch durchcheckt.