Es ist schon interessant, ein paar ältere Rezensionen, meist aus dem Jahr 2014, zu lesen. In fast allen wird der Anime mit „
Sword Art Online“ verglichen. Diese stammen aber noch aus einer Zeit, in der der Isekai-Boom erst so richtig angefangen hat. Heutzutage ist Isekai zu einem etablierten Genre herangewachsen und es würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, beide Animes miteinander zu vergleichen. Der gemeinsame Faktor – die Transferierung in ein Videospiel –, der damals vielleicht noch als Argument für eine billige Kopie herhalten konnte, ist heute lediglich noch eine kurze Beschreibung des Settings. Und mehr als das haben beide Animes nicht gemeinsam.
Ich muss gestehen, dass mich Log Horizon anfangs am falschen Fuß erwischt hat. Mit dem Zuseher wird nämlich genau das gemacht, was den Charakteren des Anime widerfährt: Man wird sofort in das Geschehen geworfen. Es gibt keine kurze Kennenlernphase der Charaktere, die reale Welt bekommt man erst gar nicht zu Gesicht und es gibt keinerlei Erklärung, wie und warum die Spieler in die virtuelle Welt namens „Elder Tale“ hineingezogen wurden.
Das kann man sowohl positiv als auch negativ sehen. Manche fühlen sich von diesem raschen Start womöglich überrumpelt, andere könnten dem Anime Plotholes und fehlende Logik bzw. Umezu Daisuke aka Tōno Mamare – dem Erschaffer dieses Werkes – Faulheit, sich eine vom Start weg sinnvoll aufgebaute Geschichte zu überlegen, vorwerfen. Was aber unbegründet wäre, denn das Wie und Warum wird erst im Verlauf der zweiten Staffel behandelt. In dieser Staffel beschränkt man sich auf das Wesentliche. Und das sind die Abenteuer im MMORPG selbst, was ich gar nicht mal so übel finde.
Dann hat mich Log Horizon noch einmal am falschen Fuß erwischt (oder vielleicht habe ich zwei falsche Füße?). 30.000 Menschen gefangen in einem Onlinespiel... und die Reaktionen? Mir kam es so vor, als hätten sie sich schon damit abgefunden, bevor sie überhaupt realisiert haben, was überhaupt passiert ist. Nicht wegen Freude, die Abenteuer in Elder Tale hautnah miterleben zu können. Nein, einen Grund für die teils gleichgültige Haltung konnte ich nicht ausmachen. Der Anime machte dadurch zu Beginn einen wenig durchdachten und irrationalen Eindruck, welcher sich aber von Folge zu Folge immer mehr verflüchtigte.
Nach ungefähr der Hälfte der Laufzeit werden die Spieler mit Problemen abseits der Suche nach einem Weg zurück konfrontiert, wodurch sie merken, dass sie in keinem Schlaraffenland-RPG gefangen sind. Das Aufeinandertreffen zwischen
Shiroe, dem Hauptcharakter, und
Regan, einem Non-Player-Character, gehört für mich zu den dramaturgisch besten Szenen des Anime. Leider verabsäumt es der Anime, dieses Konzept aufzugreifen und noch ein paar Schritte weiter zu gehen, weshalb diese Szene sowohl den Höhepunkt des Dramas als auch der Erläuterung der Welt von Elder Tale darstellt.
Log Horizon geht nicht den typischen Weg seiner Genre-Kollegen. Weder das Hochleveln, das Durchstreifen von Dungeons noch das Kämpfen gegen anfangs schwache Gegner wie Schleime (wobei wir seit „
That Time I Got Reincarnated as a Slime“ wissen, dass dem nicht immer so sein muss
) bis hin zum Endgegner an der Spitze eines Turms stehen im Mittelpunkt. Vielmehr geht es um Politik und Wirtschaft. Klingt für manche vielleicht langweilig, ist aber gut durchdacht umgesetzt.
Man bekommt zu Beginn einen Einblick in das Zahlungssystem, die kaufbaren Güter und wie sich der Besitz von Gegenständen und Liegenschaften auswirken kann. Im weiteren Verlauf lernt man verschiedene Gilden kennen, die sich entweder auf das Kämpfen (Kampfgilden) oder die Herstellung und den Verkauf von Gütern (Bastlergilden/Handelsgilden) beschäftigen. Anfangs noch auf einem klar überschaubaren Areal abspielend, vergrößert sich der Schauplatz spätestens dann, wenn die Non-Player-Characters – hier „Leute vom Land“ genannt – ins Spiel kommen. Der Zuwachs an Gilden und Völker und die damit einhergehende Vertretung verschiedenster Interessen sorgt im Bestfall für zielführende Debatten, in anderen Fällen aber auch zu politischen Spannungen oder Versuchen, das Bestmögliche aus seiner Situation zu machen, ohne mit der jeweils anderen Partei in einen Konflikt zu geraten oder gar einen Krieg zu riskieren.
Wer ab hier mit dem Gedanken spielt, den Anime beiseitezulegen, dem sollte gesagt werden, dass trotz alldem der Humor nicht zu kurz kommt. Zur Auflockerung erscheinen immer wieder Charaktere auf der Bildfläche, die mit ihrer unbeschwerten Persönlichkeit oder mit Running Gags für Erheiterung sorgen.
Bei den Charakteren sollte für jeden etwas dabei sein. Sind ja immerhin 30.000 Spieler, die in Elder Tale hineingesogen wurden. Nein, natürlich lernt man nicht jeden einzelnen Spieler kennen, zumindest aber alle Gildenführer und die Oberhäupter der Non-Player-Characters. Was die dem Anime ihren Namen gebende Gilde betrifft, gefällt mir wohl der Hauptcharakter am besten. Shiroe passt perfekt zu diesem Anime, dessen besondere Merkmale politische Gespräche, wirtschaftliche Entscheidungen und taktisch angelegte Kämpfe sind. Leider wirken die restlichen Hauptcharaktere dieser Gilde dagegen ziemlich blass.
Nyanta ist ein Katzenmensch und hat das Auftreten eines eloquenten, wohlerzogenen Mannes aus gutem Hause. Er erinnert mich nur zu stark an den Baron aus „Stimme des Herzens“ bzw. „Das Königreich der Katzen“. Er hat die Angewohnheit, jeden Satz mit einem „nya“ zu beenden. Das kann man einem Katzenmenschen zwar nicht verübeln, ich muss aber ständig daran denken, dass die Charaktere in Log Horizon lediglich in einem Spiel gefangen und in Wirklichkeit normale Menschen sind. Wer würde denn ernsthaft seine Rolle – egal wie sehr er sie mag – weiterspielen, wenn er auf einmal aus seinem Leben gerissen und in einer digitalen Welt leben muss, ohne zu wissen, ob er jemals wieder nach Hause zurückkehren kann?
Dasselbe muss ich an
Akatsuki kritisieren. Sie ist eine Attentäterin und Shiroe untertan, weil er ihr einen Gefallen getan hat. Sie sieht ihn als ihren Meister an und verhält sich ihm gegenüber dementsprechend. Wäre sie wirklich eine Attentäterin mit einem solch ausgeprägten Hang zur Loyalität, würde das genau passen. Aber auch hier gilt: In Wirklichkeit ist sie ein normaler Mensch. Ich bekomme bei ihr und Nyanta das Gefühl, dass sie zu sehr in ihren Rollen gefangen sind. Ich weiß nicht, ob der Mangaka diese Entscheidung bewusst getroffen hat, aber mir persönlich hätte bei manchen Charakteren ein rationaleres Verhalten doch besser gefallen.
Naotsugu ist der Tank der Truppe und scheint der Typ „Kumpel von nebenan, mit dem man ein Bier trinken gehen kann“ zu sein. Er verhält sich zwar schon eher wie ein normaler Mensch, hat aber ein ganz anders Problem. Er äußert mit Inbrunst seine Vorliebe für das weibliche Geschlecht. Immer und immer wieder. Und das auf anzügliche Weise. Stichwort: Oppai! Wenn dann noch Akatsuki in der Nähe ist, gibt sie ihm dann meistens einen auf den Deckel. Klar, das ist alles Comedy, nutzt sich aber ziemlich schnell ab und lässt die Charaktere in diesem etwas anspruchsvolleren Anime etwas seicht wirken. Bei Nebencharakteren würde das noch funktionieren, aber von Hauptcharakteren erwarte ich mir schon etwas mehr.
Was man dem Anime zugutehalten muss, sind die auf Strategie basierenden Kämpfe. Die Charaktere bekommen, wenn ihre Freunde in Gefahr sind, keine durch emotionale Aufgewühltheit auftauchenden Power-Ups, wie es vor allem oft bei Fighting Shounen der Fall ist. Die intelligenteren Spieler versuchen immer, die Skills ihrer Kameraden zu verstehen und geschickt mit den eigenen Fähigkeiten zu kombinieren. Der Level, auf dem sich die Charaktere befinden, spielt natürlich auch eine Rolle. Wenn aber auf ähnlich starke Gegner getroffen wird, hängt der Sieg zumeist von Erfahrung und Taktik ab.
Die Wichtig- und Häufigkeit der Kämpfe sollte man aber nicht überschätzen. Sogar der Endkampf geht recht spannungsarm vonstatten. Der Kampf selbst stellt noch nicht einmal das große Finale der Serie dar, da danach noch eine Mini-Arc, in der der Anime noch einmal all seine Stärken ausspielen kann, kommt. Ein richtiger Endgegner wird zwar angedeutet, einen Kampf gegen ihn gibt es aber nicht. Wem Action besonders wichtig ist, ist hier wohl an der falschen Adresse.
Romance gibt es zwar auch, ist aber fast noch nebensächlicher als die Kämpfe. Die oben erwähnte Mini-Arc dreht sich unter anderem um die Beziehung zweier Hauptcharaktere, wird aber wenig überzeugend dargestellt.
Akatsuki machte anfangs einen kühlen Eindruck, auch gegenüber Shiroe. Ihre Beziehung zueinander glich der eines Meisters zu seiner Untergebenen. Dass sie nun doch Gefühle zeigte, machte die sonst so emotionsarme Akatsuki zwar ein bisschen menschlicher, für mich ging das aber alles zu plötzlich.
Interessanter war für mich die Liebelei zwischen
Crusty, dem Gildenführer von D.D.D., und
Lenessia, der Enkeltochter eines Anführers der NPCs. Hier hat man die Besonderheit und gleichzeitig die Stärke des Anime – die politischen und wirtschaftlichen Themen – gekonnt mit dem Romance-Aspekt verknüpft.
Positiv hervorzuheben wäre noch die stetige Erforschung und Weiterentwicklung der Anwendungsmöglichkeiten der Skills und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Welt von Elder Tale. Es wurde schon ziemlich früh das Geheimnis um die Essenszubereitung herausgefunden. Auf Grundlage dessen wurde auf anderen Gebieten experimentiert, bis man den großen Durchbruch schaffte. Elder Tale war somit nicht länger die digitale Welt, deren Regeln von starren Algorithmen bestimmt wurden, sondern ein dem Real Life auf fast erschreckende Weise immer näherkommender Ort.
Diese Veränderung kann man gut an der Beziehung zwischen den Spielern und den Non-Player-Characters erkennen. Hier verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und einer Ansammlung lebloser, aneinandergereihter Nullen und Einser, bis zu einem Grad, an dem man nicht mehr weiß, ob man es mit Wesen zu tun hat, die man als „Menschen“ bezeichnen kann. Hier stellt sich dann die Frage, was einen Menschen ausmacht. Sowohl biologisch als auch philosophisch. Im Anime selbst wird dieses Thema für mich leider viel zu oberflächlich bis gar nicht behandelt, wodurch eine Menge Potential verschenkt wird, jedoch kann sich der Zuseher – sofern er will – selbst seine Gedanken darüber machen und seine Schlüsse daraus ziehen.
Log Horizon ist somit ein Isekai mit leicht verdaulichen politischen und wirtschaftlichen Themen, genug Humor, um nicht allzu ernst zu wirken, strategischen Kämpfen, damit die Action nicht zu kurz kommt, ein bisschen Liebe in der Luft für die Romantiker unter uns und dem Ankratzen einer philosophischen Frage. Der Anime hat also viel zu bieten, jedoch ist die Umsetzung in keinem Bereich wirklich optimal gelungen.
Ich frage mich, wie sich der Anime entwickelt hätte, wenn man den ernsteren Weg eingeschlagen, sich noch mehr auf die zu Mensch gewordenen NPCs konzentriert, die negativen Auswirkungen des Lebens in einer digitalen Welt dramatischer gestaltet, auf infantile Running Gags verzichtet und die Charaktere rationaler handeln gelassen hätte. Potential wäre vorhanden gewesen.
Wer es jedoch anspruchsvoll, gleichzeitig aber locker und lustig mag, und sich nicht vom geringen Action-Anteil stören lässt, ist hier genau richtig. Und wie man sieht, gibt es kaum Berührungspunkte zu Sword Art Online.
Tja, und jetzt habe auch ich es irgendwie geschafft, den Anime mit Sword Art Online zu vergleichen, nur um zu erwähnen, dass man diese beiden Animes nicht vergleichen kann. Ein Teufelskreis...