WICHTIG!Der folgende Kommentar/die Analyse beinhalten Informationen, die auch nachträglich die Filmerfahrung deutlich verändern. Das betrifft die notwendigen Spoiler nicht, diese werden "versteckt" und deutlich gekennzeichnet, ich empfehle aber aufgrund der Vollständigkeit der Kritik zum Zweck einer genauen Auseinandersetzung des Inhalts, alles zu lesen. Zu dem enthält die Kritik englischsprachige Ausschnitte, die ich nicht extra übersetzen werde!
Ich weis, um die Kontroverse diesen Film nicht zu mögen, auch dieser Umstand wird teil meiner Kritik sein. Ich kenne auch die Emotionalität, mit der oft geurteilt wird, deswegen bitte ich alle, die sich die Illusion bewahren wollen, "Die letzten Glühwürmchen" sei ein Anti-Kriegsfilm oder mit dem Umstand, dass es eben keiner ist, nicht sachlich umgehen können, nicht weiter zu lesen und auf eine "nicht hilfreich" Bewertung zu verzichten. Danke :)
Die StoryZwei Geschwisterkinder versuchen in den Wirren des 2. Weltkrieges füreinander da zu sein und sich zu helfen.
Die "Charaktere"Hier beginnen die Probleme des Films. Die Geschwisterkinder sind austauschbare Hülsen und dienen im Grunde genommen nur als Proxy. Im gesamten Verlauf des Films findet keinerlei Charakterentwicklung statt, sie überwinden keine Hürden, machen keine Erfahrungen und tragen absolut gar nichts aktiv zum Verlauf der Geschichte bei. Sie dienen als Spielball unveränderbarer Umstände. Die zahlreichen Montagen, in denen sie fröhlich sind, lachen, spielen etc., was eben Geschwister so machen, sind lediglich dazu da Emotionen beim Zuschauer zu wecken und haben sonst keinen anderen Sinn (Storyverlauf, Charakterentwicklung oder Konflikte). Hierzu lassen sich Mehrer Beispiele anführen
1. Der Bruder kümmert sich um die Schwester, weil sie seine Schwester ist, sie Spielen, albern herum etc. Das trägt nicht zum Handlungsverlauf bei, nicht zur Charakterentwicklung und auch nicht zum Aufbau von Konflikten oder Hürden.
2. Während die Geschwister bei ihrer Tante sind, hätte man dies gut für Charakterentwicklung und Konfliktaufbau nutzen können aber wieder bleiben beide Protagonisten Passiv, anstatt wenigstens in inneren Monologen oder im Gespräch untereinander ihre Gefühle zu eruieren.
3. Als die kleine Schwester stirbt, wird ein "Flashback" gezeigt der keiner ist, da der Bruder sich an Dinge erinnert die er selber nicht erlebt hat, so etwas gibt es filmtechnisch nicht! Die Montage besteht aus Szenen, in denen das Mädchen gezeigt wird, wie es allerlei Dinge tut, die kleine Kinder eben so tun. Und zeichnen damit kein realistisches Bild eines Charakters, sondern eines Kindes. Diese Szenen sollen auf plakativste Art und weise (salutier Szene) dem Zuschauer eine realistisches, emotionales Bild, eines jetzt ja toten Kindes, vermitteln. Wir sind traurig, aber nicht weil ein Charakter stirbt, der sich durch gute Drehbuch schreibe, einen emotionalen wert erarbeitet hat, sondern weil ein Kind stirbt. Das ist Demagogie, egal welche scheinbar gute Absicht hier verfolgt wurde.
Wer jetzt aber sagt, sie stehen doch vor Hürden, wenn sie nichts zu Essen haben oder in sonstigerweise unter den umständen des Krieges leiden. Nun ist das Leid, ja nicht der Persönlichkeit des "Charakters" geschuldet, sondern den äußeren umständen, und da Leid keine Charaktereigenschaft ist, bleibt er farblos. Niemand wäre in der Lage nach Ende des Films Ambitionen, verhalten oder Motivation der Charaktere anhand des Verlauf der Geschichte zu beschreiben und dies auch an konkreten Charaktereigenschaften festzumachen, etwas das ihre Persönlichkeit definieren würde. Nun steht ja klar die Frage im Raum, was den so falsch an Charakteren sei, die lediglich als Proxy purer Emotionen dienen. Die Antwort, kein guter Filmemacher würde das tun, denn es zeigt den Mangel mit gut ausgearbeiteten Charakteren, eine emotionale Geschichte zu erzählen. War es jedoch die ehrliche und gute Absicht dem Zuschauer lediglich das Grauen des Krieges vor Augen zu führen, scheint doch zumindest diese Absicht geglückt, oder ...
Die WirkungsabsichtUm an den vorangegangenen Gedankengang anzuknüpfen, auch diese Absicht, kann ganz sicher ausgeschlossen werden. "[The film] is not at all an anti-war anime and contains absolutely no such message." Isao Takahata in einem Interview 1988 in der aktuellen Ausgabe der "Animage". Bleibt also die Frage, was sollte das Ganze den dann? Dazu heißt es aus 映画を作りながら考えたこと [Things I Thought While Making Movies] (in Japanese). Tokuma Shoten. p. 471, "Takahata had intended to convey an image of the brother and sister living a failed life due to isolation from society and invoke sympathy particularly in people in their teens and twenties." Zu dem ist zu bemerken, das zu diesem Zeitpunkt keine Veröffentlichung außerhalb Japans geplant war (weder Buch noch Film). Mit dieser Aussage richtet er sich, als Kind dieser Zeit (geb. 1935), an die Nachkriegsgeneration der 60er und 70er Jahre, welche in relativem Wohlstand zur kriegsversehrten Generation aufwuchsen. Die Charaktere sind deswegen so ein weißes Blatt Papppier, damit sich die Jugendlichen der "Wohlstandsgeneration" auf die Charaktere projizieren können und im purem Ausbruch an Emotionen sich am Leid der Protagonisten schuldig fühlen. Der Schuldvorwurf als Wirkungsabsicht lässt sich anhand mehrere Szenen am Ende oder auch im Verlauf des Films festmachen.
1. Es wird eine wohlhabende Familie gezeigt, die nach Ende des Krieges wieder in ihr altes Haus am See zieht und feststellt das sogar ihr Grammofon noch das ist, während (klar als Kontrast gedacht) die Protagonisten an Hunger sterben.
2. Die Endsequenz, wo die vergeistigten Geschwister auf der Bank sitzen und auf das moderne Japan (70er Jahre) schauen (auch klar als Metapher zu verstehen, an wen sich folgende Nachricht richtet). Der Bruder schaut in einem fourth wall break den Zuschauer vorwurfsvoll an, als wolle er sagen "Habt Ihr das gesehen, das ist Eure Schuld, Ihr seid die Nutznießer unseres Leides."
3. Die allgemeine Kontrastsetzung der Armut der Protagonisten zu ihrer Umgebung z. B. die geizige Tante, die Kinder die sich über das Essen und die Lebensumstände der Protagonisten in ihrer Abwesenheit lustig machen oder der verständnislose Bauer, der den Bruder für seinen Lebensmitteldiebstahl zusammenschlägt.
Das FazitWas bleibt also am Ende noch vom "besten Ghibli aller Zeiten" übrig? Ein storytechnisch und erzählerisch schlechter Film mit hübschen Bildern und Animationen, aber von fragwürdigem Inhalt. Nie für den Westen produziert, ist es für uns eine Momentaufnahme einer Leidensgeschichte von japanischen Kindern im 2. Weltkrieg. Und berührt fernab von japanischer Sozialkritik einer verbitterten kriegsversehrten Generation, die Menschen im Westen als einer der besten "Anti Kriegsfilme" aller Zeiten. Ich kann für mich den Umstand nicht vergessen machen, dass es ein Japan exklusives, Demagogenmachwerk ist, das selbst abseits dieser Tatsache einer der am schlechtesten geschriebenen Filme (in Sachen Story und Charaktere) aller Zeiten ist. So bleiben für mich die einzig "guten" Dinge am Film, Bild, Animation und teile des Soundtracks. Wer jetzt für sich immer noch sagt, es ist ein Guter Anti-Kriegsfilm, den kann ich zwar nicht verstehen, will ihm aber ein gutes Filmerlebnis und/oder persönlichen Erkenntnisgewinn nicht schlecht reden. Ich wollte der Community meine Meinung/Kritik so gut und sachlich wie möglich vortragen und einer einseitigen Beurteilung des Films etwas entgegenwirken. Ich hoffe, es war hilfreich und hat niemanden beleidigt oder verletzt, denn wir lieben alle Animes und ich kann Emotionen zu dem Thema gut verstehen.
Danke für das Aufmerksame lesen!Bei Kritik oder Anregungen bitte per PN (sachlich und grammatisch halbwegs korrekt versteht sich)