人は変わることが出来る。 - Ein Mensch kann sich ändern.
[Jean Valjean, ganz am Ende der Serie]
Der Fehler liegt nicht darin, dass man aus Victor Hugos "Les Misérables" einen Anime gemacht hat, der Fehler liegt vielmehr darin, dass man einen Anime
für Kinder gemacht hat. Und das funktioniert in etwa so gut, wie wenn Disney hinginge und aus dem "Glöckner von Notre-Dame" einen Zeichentrickfilm machen wollte.
Allein schon angesichts der Komplexität des Romans, der politischen Verstrickungen und der psychischen wie physischen Gewalt in dem Werk kann das nichts werden.
Daher möchte ich den Anime betrachten als das, was er ist. Und nicht, was er sein könnte oder sollte.
"Shoujo Cosette" ist eine der letzten WMT-Serien und vereint so ziemlich alle Stärken und Schwächen, die diese Reihe zu bieten hat. Zu den Stärken zählen ganz klar die Hintergründe, die Landschaften. Denn die sind einfach großartig. Eine typische WMT-spezifische Eigenheit dabei ist das in aller Regel sehr flächige Charakterdesign, das hier sehr grob ausgefallen ist, aber auch sehr charakteristisch. Um nicht zu sagen, karikaturenhaft überhöht.
Überraschenderweise funktioniert das auf die Länge ganz gut. Im Gegensatz zur damit einhergehenden dramaturgischen Disposition. Die Figuren sind nicht nur überzeichnet bis zum Anschlag, sondern darüberhinaus so übel in die Gut-Böse-Dichotomie eingeordnet, dass selbst der größte Depp keinen Dialog mehr braucht um über Grundsätzliches im Bilde zu sein. Freundlicher ausgedrückt: kindgerecht.
Soll heißen: Die Hässlichen sind böse und tun überraschenderweise Böses, während die Schönen gut sind und alleweile Gutes tun. Und mit dieser Art
Physiognomie des Bösen sind wir wieder angelangt bei einer erholsam einfachen und eindimensionalen Ideologie, von der man glauben konnte, sie sei überwunden.
Sind sie typologisch nicht-ganz-so-böse, kann man davon ausgehen, dass Potential zu einem Wandel, zur "Bekehrung" angelegt ist. Aber auch das riecht man von weitem.
Kindgerecht bedeutet aber auch: didaktisch. Und diese explizit didaktische, stets mit dem erhobenen Zeigefinger wedelnde Regiearbeit geht mir allmählich gehörig gegen den Strich, jedes beiläufige Ereignis existiert nicht einfach
für sich oder als Teil einer Handlung oder des Settings, sondern nur zu dem einen Zweck,
foreshadowing zu betreiben, oder wenigstens eine hochmoralische Botschaft zu verbreiten. Wirklich, ständig fühlt man sich wie früher im Religionsunterricht geistig bei der Hand genommen.
Kurzer Einschub: Im wesentlichen lässt sich die Serie einteilen in drei große Bögen:
1. Cosette in Montfermeil (bei den Wirtsleuten Thenardier) plus Rettung durch Jean Valjean.
2. Die Zeit mit ihrem Ersatzvater Valjean in Paris.
3. Revolution und Ausklang.
Speziell im ersten dieser drei Teile ist all das nur schwer zu ertragen. Nicht weil alles so furchtbar tragisch ist, sondern weil alles so furchtbar tragisch aufgebaut wird und alle Punkte, die den "furchtbar tragisch!"-Aufkleber haben, der Reihe nach eingebaut werden nach der Devise "viel hilft viel". Da hat dann leider auch die Logik kein Widerspruchsrecht.
Speziell das Ausmaß der Schikanen seitens der beiden Kanaillen (die Thenardiers) ist derart übertrieben, dass man das irgendwann nur noch achselzuckend zur Kenntnis nimmt im Stile von "wenn ihr meint..."
All diese Hartschiffe bewirken in ihrer Masse eher das Gegenteil dessen, was intendiert ist. Zumindest bei Erwachsenen. Aber wie Kinder damit wohl umgehen?
Auf
anibd wird als "similar anime" die
kleine Prinzessin Sara angegeben. Das grundlegende Prinzip ist auch recht ähnlich:
per aspera ad astra. Und damit die Sterne (astra) noch schöner leuchten und funkeln, müssen natürlich die Härten (aspera) und Höllen der menschlichen Existenz ganz besonders drastisch ausfallen. Oder etwa nicht?
Jedenfalls ist dieser erste Teil (der je nach Gusto bis Folge 13 oder 20 geht) auch mal zu Ende, und es folgt eine Phase, die halbwegs frei ist von derben Schicksalsschlägen und drohender Verfolgung. Dieser mittlere Teil (der bis etwa Folge 40 reicht) ist sicherlich der stärkste. Hier im Paris der späten 1820er Jahre kommt es zu einer feinen Verästelung und Wiederzusammenführung einzelner Handlungsfäden, speziell von Personen aus Cosettes früherem Umfeld. Das anzusehen, wie sich beispielsweise in Episode 23 gleich vier solcher Stränge verweben und gewisse Personen unbewusst aneinander vorbei leben, macht richtig Spaß. Das allerdings ist denn auch kein Verdienst der Regie, sondern der genialen Romanvorlage.
Drastisch bergab dagegen geht es wieder im letzten Teil, denn was da einem an teils unsäglichem Kitsch aufgetischt wird, geht auf keine Kuhhaut. Von den Handlungsabläufen bis zu den Reaktionen der Personen: das ist oftmals derart an den Haaren herbeigezogen, dass ich irgendwann aufgehört habe, mir Notizen zu machen. Was das Ganze dann doch rettet, ist - bei allen Versuchen, auf die Tränendrüsen zu drücken - der Schluss, also so etwa die letzten sechs Folgen.
Und auch da gibt es wieder die Parallele zu
Sara: Denn wie hier allmählich, ohne jede Hast, alle Stränge zusammengeführt und alle offenen Fragen beantwortet werden, ist - gemessen an der WMT-Welt - fast schon wieder ganz großes Kino.
Und wie immer an dieser Stelle: ein paar Takte zur Musik.
Einspruch! Die Musik ist wirklich großartig. Eine BGM im klassisch-romantischen Stil, in allen Formen und Facetten, wobei die orchestralen Stücke überwiegen. Meist bewegen sie sich stilistisch in der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit gelegentlichen Ausflügen ins Rokoko und in die Spätromantik. Im Verlauf der Serie wird das Repertoire an Stücken immer mal wieder erweitert, wobei es - man muss es mit Bedauern konzedieren - vereinzelt zu Fehlplatzierungen in manchen Szenen kommt, wofür der Komponist aber nix kann. Stilistisch ist das vielleicht am ehesten mit dem Soundtrack zu
Akage no Anne vergleichbar. Das alles ist auch sehr idiomatisch instrumentiert, also im Stil jener Zeit, wobei der Komponist bedauernswerterweise einige Schwächen hat bei Fuge und Choralsatz. Eher gut gemeint als gut gemacht. Leider hat man sich veranlasst gesehen, auch zwei Inlinesongs einzubauen, die J-Pop-orientiert sind und daher passen wie die sprichwörtliche
Faust aufs Auge.
Besonders am zweiten Tag des
Juniaufstands von 1832, als die Aufständischen reihenweise von der Armee abgeknallt und zusammenkartätscht werden, erscheint diese Art der musikalischen Untermalung als eine Geschmacklosigkeit der ganz speziellen Art.
Um die Serie auf kindgerecht zu trimmen, hat man natürlich einige spezifische Veränderungen vorgenommen. Natürlich hat man Cosette in den Mittelpunkt der Geschichte gestellt, schon damit man eine sympathische kindliche Identifikationsfigur hat. Auch hat man viele Verästelungen der Handlung stark vereinfacht, wobei das Resultat immer noch komplex genug ist, daraus einen anständigen und einigermaßen anspruchsvollen Anime zu schnitzen. Desweiteren wurde natürlich vieles auch gehörig entschärft. Als Stichworte sollten die Schicksale von Fantine, Gavroche und Javert(!) genügen. (Wobei die Regie das im letzteren Fall andeutet.)
Im Roman begeht Javert Selbstmord, indem er in die Seine springt. Der Anime zeigt Javert, wie er im nächtlichen Paris auf der Brücke steht und zögerlich ein paar Schritte nach vorn zur Brüstung macht. Der Sonnenaufgang rettet ihn gewissermaßen und er besinnt sich eines besseren.
Aber so sehr man sich auch Mühe gegeben hat, die Serie auf das Publikum zuzuschneiden und die Botschaft des Ganzen reduziert hat auf den eingangs zitierten Satz: Die Inszenierung mag kindgerecht sein - der Stoff ist es nicht.
Aus der Kategorie fun facts & goofs:
- Die etwa siebenjährige Cosette wird gern zum Wasserholen geschickt. Hier versucht man dem Zuschauer weißzumachen, sie sei in der Lage, einen randvollen 10-Liter-Eimer alleine nach Hause zu schleppen.
- Aus dramaturgischen Gründen hat die komplette französische Polizei Tag für Tag nix besseres zu tun, als diesem Jean Valjean hinterherzujagen.
- Auf welchem Breitengrad liegt Paris noch gleich? Den Machern ist es wurscht: In Ep. 20 sieht man über Paris den Mond arabischer Nächte (also Sichel nach unten).
- In Episode 31 sieht man Kaffeehausstühle aus gebogenem Holz. Ein Produkt der 1860er Jahre. Der Anime jedoch endet in den frühen 30ern.
- Gewehrkugeln, die in Holz einschlagen, erzeugen Funken.
- Immer wieder spaßig ist es zu sehen, was bei den Recherchebemühungen hinsichtlich der zeitgenössischen Architektur herausgekommen ist. Immerhin, man hat nirgends den Eiffelturm im Bild; aber gern und oft schweift die Kamera zur Kathedrale von Notre-Dame, samt ihrem schmucken Vierungsturm, der beim Brand im Frühjahr 2019 so spektakulär eingestürzt ist. (Und von dem bildungsresistente Redaktionen hartnäckig behaupten, es sei ein "Spitzturm".) - dieser dachreiterähnliche Vierungsturm ist jedoch erst mehr als 30 Jahre später errichtet worden.
Im Wechselbad der Gefühle über all das hier Versammelte fällt eine endgültige Bewertung einigermaßen schwer. Einige Teile sind grandios, manches ist zum Haare raufen, einiges jagt einem Schauer des Entsetzens über den Rücken. Nicht wegen der Handlung und der Tragik, sondern mehr wegen den Ungeheuerlichkeiten, die einem hier ohne mit der Wimper zu zucken aufgetischt werden.
Recht ähnlich verhält es sich da mit "
Sara", "
Pollyanna" und "
Perrine". Wer mit diesen Serien warm geworden ist, wird auch hiermit gut zurechtkommen. Für Kinder, die noch nicht über das Grundschulalter hinaus sind, könnte das jedenfalls grenzwertig sein.
Beitrag wurde zuletzt am 14.09.2020 01:44 geändert.
Kommentare
4 Jahre später, also im Alter von 14, nachdem ich nach Deutschland geflüchtet bin. Kam rein zufällig diese Serie aus dem nichts mir in den Gewissen. Gott sei dank, dass als ich auf Youtube schrieb "Spacetoon البؤساء" "(Spacetoon Die Elenden)" waren alle Folgen der wunderschönen Serie auf arabisch da. Und oh Gott war es verdammt emotional! Nostalgie, Trauer, Sorgen Spannung alles in einem.
Vorallem als der Opa erschossen wurde als er die Flagge hebte, da hatte ich wirklich geweint. Eigentlich bin ich der aller letze Mensch der weinen würde, aber da schon. Nachdem ich die Serie zu ende geschaut hatte, musste ich nachts im manchmal Bett darauf denken, dann bekam ich Trauerattacken. Nach einer Zeit wurde alles wieder gut und ich vergass wieder die Serie.
>>>Nach 2 und Halb Jahren, im Alter von 16 und Halb, bekam ich heute (9.3.2021) einen Traum. Wer dachts, es waren Cosette und Ihre Mutter! Ja, Träume sind meist komisch. Auf jedenfall war es so, die Mutter wurde Krank. Cosette blieb. Aalleine auf die Straße. Nach einer Zeit wurde Die Mutter von Cosette in einem anderem Krankenhaus gebracht. Cosette beschloss Ihre Mutter in dem Alten zu besuchen, sie wusste aber nicht, dass Ihre Mutter in einem neuen Krankenhaus gebracht wurde. Als Cosette das ursprüngliche Zimmer Ihrer Mutter in dem Alten Krankenhaus betratt, sah sie eine Ähliche Frau wie Ihre Mutter. Cosette wurde, dass das nicht Ihre Mutter ist und wurde seht traurig und dachte Ihre Mutter sei jetzt gestorben. Cosette setzte sich neben der Ähnlichen Frau auf dem Stuhl. Recht von Cosette saß auch irgendein Typ mit einem Komischen Oberkleid. Die Ähnliche Frau fing an normal zu sprechen, sie labberte und labberte. Während Sie weiter redete bittete die traurige Cosette den Typen um seinen Oberkleid aus Leder, das Kleid war dreckig. Sie zog es an und das Kleid wurde denke ich um Cosettes willen immer enger. Nachher Während die Fraus weiter labberte wurde zog Cosette es so enger an, dass sie kaum mehr Luft bekam, wie gesagt sie wollte das, vielleicht wegen ihre Mutter oder so. Aufeinmal sagte kurz danach Cosette: "Waruuum" es war laut und sehr sehr sanft. Da hörte die Frau auf leicht verzweifelnd, und sagte ungefähr wie: "Ha, was ist? "Gehts dir gut Cosette?" Die Frau öffnete bisschen ängstlich das Kleid von den Typen den Cosette angezogen hatte, Cosette starb. Die Frau erschreckete sich.
Es war mir fast gar nicht gruselig, eher traurig.
ich weiß, Träume sind komisch. Ich wollte es aber nur mal Mitteilen vielleicht interessierte es irgenwie dir.
Ich wünsche dir noch einen schönen Tag und NEIN dieses Traum ist nicht ausgedacht.
Und noch was, Freunde sind nur eine Zeit lang da, aber Familie ist immer da.
LG Aiden