AsaneRedakteur
#1Naheliegenderweise werden bei »Metropolis« immer wieder Vergleiche und Parallelen zu dem gleichnamigen Monumentalfilm von Fritz Lang gezogen. Es hagelt zwar nicht mehr Verisse am laufenden Band wie damals zur Premiere 1927, wenngleich auch die Ansichten der Anime-Community durchaus in diese Richtung gehen. Wohl sind die Meinungen und Wertungen hier wesentlich vielfältiger, aber die grundlegenden Probleme, woran es (auch) bei diesem Film hakt, sind die gleichen geblieben.
Der größte Teil dieser Einschätzung trifft auch auf den Animefilm von 2001 zu. Obwohl es erstaunlich genug ist, wie groß die Bezüge zu Fritz Langs Stummfilmklassiker sind. Denn als Vorlage für diesen Anime diente der gleichnamige Manga von Osamu Tezuka aus dem Jahr 1949, wobei einige signifikante Änderungen vorgenommen wurden. So findet bezüglich der Hauptperson (»Protagonist« wäre zu viel gesagt) kurz mal ein Wechsel von männlich ("Michi") zu weiblich ("Tima") statt – und das bei einem Androiden! – und als verblendeter jugendlicher Bösewicht wurde zusätzlich die Figur des Rock Holmes eingebaut.
Tezuka selbst hat von dem Kinofilm eigener Aussage nach nur über einen Zeitungsartikel Kenntnis erhalten, so daß also »Robotic Angel« (der Film musste im deutschen Sprachraum aus lizenzrechtlichen Gründen umbenannt werden) nur über mehrere Ecken hinweg die Themen des Stummfilms aufgreift.
Um so überraschender ist, wie viel davon auch in den Animefilm eingeflossen ist. Das mag aber auch damit zusammenhängen, daß es förmlich auf der Hand liegt, in solch einer futuristischen Stadt nicht nur Erfndergeist, Errungenschaften und überhaupt die Utopie einer besseren Welt zu thematisieren, sondern eben auch ihr Gegenteil, den Preis, den man dafür zahlen muss, oder all die Probleme, die solch ein Bestreben nach sich zieht.
Und die sind vor allem sozialer Natur. Hier herrscht (wen wundert's) eine strikte Zweiklassengesellschaft, die nicht nur architektonisch in Ober- und Unterwelt getrennt ist; es herrschen Ausbeutung und militärische Machtausübung, revolutionäre Tendenzen und Gewaltexzesse, vordergründig eine ans Größenwahnsinnige grenzende Gigantomanie und im Hintergrund die finsteren Pläne, mittels obskurer Wissenschaftler nichts weniger als die Weltherrschaft zu erringen. Oder doch wenigstens die totale Kontrolle. (Als Animefan kennt man diese Konstellation natürlich auch aus anderen Werken wie beispielsweise Texhnolyze oder Kaiba.)
Das Großartige an dem Anime ist, wie er all das in Bildern einfängt. Nicht nur in Bildern, auch in beiläufig gestreiften Einstellungen, in "virtuos durchkomponierte[m] Licht- und Schattenspiel, das durch suggestiven Montagerhythmus und architektonische Phantasie fesselt" (s.o.)
Visuell spielt das alles auf enorm hohem Niveau. Die Darstellung der »Zikkurat«, der in allen Farben und Formen beeindruckenden Stadt, der technischen Einrichtungen mit den übergroßen, sich langsam drehenden Zahnrädern, die man in Analogie zum steam punk "Electro Punk" nennen könnte, und der weiten, gewaltigen industriellen Hallen, wo alles erfüllt ist vom rötlich strahlenden Glanz der Messingapparaturen – all das ist schlicht atemberaubend und erfüllt einen mit Vorfreude auf eine fesselnde Geschichte.
Doch nicht nur technisch-ästhetisch taucht man hier ein in die späte Weimarer Epoche; auch musikalisch zitiert man den Tanzsalon der 30er Jahre, greift aber für die normale BGM auf die filigrane wie gleichermaßen phantastisch-wuchtige Filmmusik von Toshiyuki Honda zurück.
Das alles hat ein ausgesprochen europäisches Flair, Umgangssprache scheint wohl englisch zu sein, die Personen jedoch folgen eher dem Ideal des franco-belgischen Comics, am auffälligsten bei der Figur des Privatdetektivs Shunsaku Ban, und werden gern mal als wandelnde Karikaturen überhöht. Überhaupt ist der Film voll mit Anspielungen, Zitaten und Parodistischem, wie man in erster Linie am Charakterdesign der Bösen erkennen kann, wo die ganz Bösen deutlich protonationalsozialistischer Natur sind, aber auch in der Herausstellung typischer Embleme und Motive, wo dann auch die überdimensionierte Zigarre nicht fehlen darf. Und ja: auch die Freudsche Psychologie spielt hier eine herausragende [pun intended] Rolle, nicht nur angesichts all der phallischen Bauten. Mit ganz eigenen Stilmitteln gelingt es dem Anime zudem, die "mythisch-romantische[n] Motive des deutschen Expressionismus mit technischer Utopie und politischer Spekulation" (Lexikon des internationalen Films, ebd.) einzufangen, was sich in den schon angesprochenen Fokussierungen und stilbildenden scharfen Hell-Dunkel-Kontrasten zeigt, aber auch in simplifizierenden Darstellungen während des Aufstandes.
Bis zur Mitte des Films war dies in meinen Augen ein Kandidat für volle 5 Sterne. Dann aber geht es mählich abwärts, nachdem der jugendliche Sonderschurke Rock in bester Arschlochmanier das Geschehen dominiert (ja, schwere Kindheit und so. Plus "aber er hat es ja nur gut gemeint" – geschenkt!) . Den Preis dafür zahlen letztlich alle; vor allem aber der Zuschauer. Dramaturgisch: ähnlich ambitioniert wie die dargestellten Großbauten gibt sich der Handlungsverlauf ab diesem Punkt. Grob betrachtet alles schlüssig und halbwegs logisch, aber wenn man die Dinge zu Ende denkt, ergeben sich erste Haarrisse, die der Belastung nicht standhalten, der sie im Verlauf des Films ausgesetzt sind. Technisch: ganz allgemein gesprochen, kommt hier natürlich enorm viel und teils enorm phantastische Computergrafik zu Einsatz. In der ersten Hälfte des Films passt das ganz gut und harmoniert auch mit der Welt von Metropolis; gegen Ende hin aber wirkt sie teils lächerlich, teils als reiner Selbstzweck – "Effekte, nicht weil Weltanschauungen zu Explosionen drängen, sondern weil der Film seine Tricks will" wie es in einer der ersten Besprechungen von Fritz Langs Klassiker heißt.
Es ist also gewissermaßen dieser unbedingte Wille zum Grande Finale, der diesem technisch und atmosphärisch beachtlichen Film auf dem Weg zum Meisterwerk einige Knüppel zwischen die Beine wirft. Gesehen haben sollte man ihn trotzdem – und wer Mutafukaz schon mal erlebt hat, den wirft eh nix so schnell aus der Bahn.
„Fritz Lang verbindet in seinem monumentalen Stummfilmepos mythisch-romantische Motive des deutschen Expressionismus mit technischer Utopie und politischer Spekulation. Filmästhetisch ein virtuos durchkomponiertes Licht- und Schattenspiel, das durch suggestiven Montagerhythmus und architektonische Phantasie fesselt; filmgeschichtlich ein früher Klassiker des Science-fiction-Kinos; zeitgeschichtlich ein aufschlussreicher Kommentar zur Sozialpsychologie der Massengesellschaft der Weimarer Republik – auch wenn am Ende die gesellschaftlichen Widersprüche mit reaktionärem Pathos zugedeckt werden.“
[Lexikon des internationalen Films, Originalausgabe 1987, zitiert nach Wikipedia]
[Lexikon des internationalen Films, Originalausgabe 1987, zitiert nach Wikipedia]
Der größte Teil dieser Einschätzung trifft auch auf den Animefilm von 2001 zu. Obwohl es erstaunlich genug ist, wie groß die Bezüge zu Fritz Langs Stummfilmklassiker sind. Denn als Vorlage für diesen Anime diente der gleichnamige Manga von Osamu Tezuka aus dem Jahr 1949, wobei einige signifikante Änderungen vorgenommen wurden. So findet bezüglich der Hauptperson (»Protagonist« wäre zu viel gesagt) kurz mal ein Wechsel von männlich ("Michi") zu weiblich ("Tima") statt – und das bei einem Androiden! – und als verblendeter jugendlicher Bösewicht wurde zusätzlich die Figur des Rock Holmes eingebaut.
Tezuka selbst hat von dem Kinofilm eigener Aussage nach nur über einen Zeitungsartikel Kenntnis erhalten, so daß also »Robotic Angel« (der Film musste im deutschen Sprachraum aus lizenzrechtlichen Gründen umbenannt werden) nur über mehrere Ecken hinweg die Themen des Stummfilms aufgreift.
Um so überraschender ist, wie viel davon auch in den Animefilm eingeflossen ist. Das mag aber auch damit zusammenhängen, daß es förmlich auf der Hand liegt, in solch einer futuristischen Stadt nicht nur Erfndergeist, Errungenschaften und überhaupt die Utopie einer besseren Welt zu thematisieren, sondern eben auch ihr Gegenteil, den Preis, den man dafür zahlen muss, oder all die Probleme, die solch ein Bestreben nach sich zieht.
Und die sind vor allem sozialer Natur. Hier herrscht (wen wundert's) eine strikte Zweiklassengesellschaft, die nicht nur architektonisch in Ober- und Unterwelt getrennt ist; es herrschen Ausbeutung und militärische Machtausübung, revolutionäre Tendenzen und Gewaltexzesse, vordergründig eine ans Größenwahnsinnige grenzende Gigantomanie und im Hintergrund die finsteren Pläne, mittels obskurer Wissenschaftler nichts weniger als die Weltherrschaft zu erringen. Oder doch wenigstens die totale Kontrolle. (Als Animefan kennt man diese Konstellation natürlich auch aus anderen Werken wie beispielsweise Texhnolyze oder Kaiba.)
Das Großartige an dem Anime ist, wie er all das in Bildern einfängt. Nicht nur in Bildern, auch in beiläufig gestreiften Einstellungen, in "virtuos durchkomponierte[m] Licht- und Schattenspiel, das durch suggestiven Montagerhythmus und architektonische Phantasie fesselt" (s.o.)
Visuell spielt das alles auf enorm hohem Niveau. Die Darstellung der »Zikkurat«, der in allen Farben und Formen beeindruckenden Stadt, der technischen Einrichtungen mit den übergroßen, sich langsam drehenden Zahnrädern, die man in Analogie zum steam punk "Electro Punk" nennen könnte, und der weiten, gewaltigen industriellen Hallen, wo alles erfüllt ist vom rötlich strahlenden Glanz der Messingapparaturen – all das ist schlicht atemberaubend und erfüllt einen mit Vorfreude auf eine fesselnde Geschichte.
Doch nicht nur technisch-ästhetisch taucht man hier ein in die späte Weimarer Epoche; auch musikalisch zitiert man den Tanzsalon der 30er Jahre, greift aber für die normale BGM auf die filigrane wie gleichermaßen phantastisch-wuchtige Filmmusik von Toshiyuki Honda zurück.
Das alles hat ein ausgesprochen europäisches Flair, Umgangssprache scheint wohl englisch zu sein, die Personen jedoch folgen eher dem Ideal des franco-belgischen Comics, am auffälligsten bei der Figur des Privatdetektivs Shunsaku Ban, und werden gern mal als wandelnde Karikaturen überhöht. Überhaupt ist der Film voll mit Anspielungen, Zitaten und Parodistischem, wie man in erster Linie am Charakterdesign der Bösen erkennen kann, wo die ganz Bösen deutlich protonationalsozialistischer Natur sind, aber auch in der Herausstellung typischer Embleme und Motive, wo dann auch die überdimensionierte Zigarre nicht fehlen darf. Und ja: auch die Freudsche Psychologie spielt hier eine herausragende [pun intended] Rolle, nicht nur angesichts all der phallischen Bauten. Mit ganz eigenen Stilmitteln gelingt es dem Anime zudem, die "mythisch-romantische[n] Motive des deutschen Expressionismus mit technischer Utopie und politischer Spekulation" (Lexikon des internationalen Films, ebd.) einzufangen, was sich in den schon angesprochenen Fokussierungen und stilbildenden scharfen Hell-Dunkel-Kontrasten zeigt, aber auch in simplifizierenden Darstellungen während des Aufstandes.
Bis zur Mitte des Films war dies in meinen Augen ein Kandidat für volle 5 Sterne. Dann aber geht es mählich abwärts, nachdem der jugendliche Sonderschurke Rock in bester Arschlochmanier das Geschehen dominiert (ja, schwere Kindheit und so. Plus "aber er hat es ja nur gut gemeint" – geschenkt!) . Den Preis dafür zahlen letztlich alle; vor allem aber der Zuschauer. Dramaturgisch: ähnlich ambitioniert wie die dargestellten Großbauten gibt sich der Handlungsverlauf ab diesem Punkt. Grob betrachtet alles schlüssig und halbwegs logisch, aber wenn man die Dinge zu Ende denkt, ergeben sich erste Haarrisse, die der Belastung nicht standhalten, der sie im Verlauf des Films ausgesetzt sind. Technisch: ganz allgemein gesprochen, kommt hier natürlich enorm viel und teils enorm phantastische Computergrafik zu Einsatz. In der ersten Hälfte des Films passt das ganz gut und harmoniert auch mit der Welt von Metropolis; gegen Ende hin aber wirkt sie teils lächerlich, teils als reiner Selbstzweck – "Effekte, nicht weil Weltanschauungen zu Explosionen drängen, sondern weil der Film seine Tricks will" wie es in einer der ersten Besprechungen von Fritz Langs Klassiker heißt.
Es ist also gewissermaßen dieser unbedingte Wille zum Grande Finale, der diesem technisch und atmosphärisch beachtlichen Film auf dem Weg zum Meisterwerk einige Knüppel zwischen die Beine wirft. Gesehen haben sollte man ihn trotzdem – und wer Mutafukaz schon mal erlebt hat, den wirft eh nix so schnell aus der Bahn.
Beitrag wurde zuletzt am 28.01.2022 04:23 geändert.
Kommentare
Ob man das mag, ist jedem selbst überlassen - ich mag's eben nicht, (v.a.) daher auch meine schlechte Bewertung.
Die Story ist - nach heutigen Maßstäben (!) - nicht übermäßig originell; wen wundert's.
Daneben sind mir drei Stilbrüche aufgefallen:
- Da gab's mal am Rande Hubschrauber
- Ein Feuerwerk wurde (nicht schlecht) mit aktuellen Partikeleffekten gemacht, nicht gezeichnet
- Am Ende gibt's massiv 3D-Effekte
Was den Cover-Text betrifft:
ではまた!
Dvd besitze ich,wer den Film mag kann ihn sich kaufen,aber auch nur wenn er ein schnäpchen ist,sonst lohnt es sich nicht so.