Utena: La fillette révolutionnaire (1997)

Mich hatte damals bereits bei Yurikuma Arashi die Symbolik, Metaphorik und eindrucksvolle Bilderwelt fasziniert. Warum ich mir deswegen so viel Zeit ließ und erst vor kurzem Revolutionary Girl Utena Movie: Adolescence Apocalypse anschaute, ist mir ein Rätsel, aber es war durch und durch lohnend, denn in nicht einmal 1 ½ Stunden übermannte mich die [sinn]bildliche Komplexität.

Die junge Utena wechselt auf die Ohtori Akademie, ein weitläufig angelegter Gebäudekomplex mit märchenhaft anmutender Architektur, die sich ins Unendliche zu verlieren scheint. Unzählige rote Rosen säumen den Weg, Fassaden und gar Interieur - inmitten des Campus befindet sich sogar eine hoch gelegene rosenbedeckte Plattform, das ‚Hoheitsgebiet‘ der Rosenbraut.

Die verlorenen Prinzen

Utena & Touga

Als Utena von einer Mitschülerin über das Gelände geführt wird und sie bei einem Fechtturnier verweilen, erspäht sie in der Ferne ihren ‚Prinzen‘. So schön der Anblick sein mag, erregt es auf der anderen Seite auch Ärgernis. Touga verstarb vor Jahren als er versuchte ein Mädchen, in dem Fall Juri, vor dem Ertrinken zu retten. Utena liebte Touga und so heroisch sein Handeln gewesen ist, hat sie ihm niemals vergeben, dass er sie allein zurückgelassen hatte – an der Stelle muss jedoch erwähnt werden, dass sie sich erst zum Ende des Filmes wieder an alle Einzelheiten erinnern kann. Der Umstand, dass ihre letzte Bezugsperson sich von ihr abwand, führte dazu, dass die Vorstellung eines rettenden Prinzen wirklichkeitsfremd sei und so beschloss sie selbst zu einem Prinzen zu werden. Die Liebe zu Touga war dennoch allzeit gegenwärtig und vielleicht wünschte sich Utena tief in ihrem Inneren trotz allem, dass er ihr Prinz sei – ihren unterbewussten Gefühlsregungen führten dazu, dass sie Touga in menschlicher Gestalt in der Akademie erblickte und sogar mit ihm kommunizieren kann. Auch Touga hegt romantische Gefühle für Utena und dementsprechend verkommt Anthy zu einem Feindbild, wenngleich Utena und Touga letztlich nur dank Anthys Traumgespinst von einer ewigen Jugend in der Lage sind wieder miteinander in Kontakt zu treten, ist Touga eifersüchtig auf Anthy und darüber hinaus läge es in seinem Interesse, wenn sich Anthy immerzu in einer derartig desolaten Verfassung wie zum Anfang des Animes befindet – solange die Rosenbraut nämlich auf der Suche nach ihrem wahren Prinzen ist, bleibt ihre illusionistische Welt bestehen. Dementgegen dreht Touga die zu bestreitenden Duelle zu seinen Gunsten, denn anstatt, dass Utena sich Anthy nähert, sollen sie dafür Sorge tragen, dass Utena sich vielmehr auf ihn zubewegt. Touga muss seine Ränkespielchen auch nicht ohne jegliche Hilfe treiben. An seiner Seite steht nämlich Shiori, die augenscheinlich in jungen Jahren in ihm verliebt war. Interessant war hierzu die Szene als die weißen Tücher, die sich um Touga und Shiori befanden, zu einem Kokon sponnen, am Ende der Verpuppung erschien Shiori aus dem Gespinst und breitete ihre Flügel aus. Auf den ersten Blick sah es so aus, als hätte sich Shiori in einem wunderschönen Schmetterling verwandelt, doch bei genauerer Betrachtung war klar, dass es vielmehr eine Motte oder Kohlweißling war, ein Schädling also. Shiori verachtet Juri, denn sie gibt ihr die Schuld an Tougas Tod, dessen ungeachtet geht sie zu Juri und manipuliert sie dergestalt, dass sie Utena zum Kampf herausfordert. Letztlich verliefen sich Tougas Bemühungen im Sand. So zum Beispiel die Poolszene, als er einen Keil zwischen Anthy und Utena treiben wollte, indem er Missgunst hervorruft. Umso eindringlicher war für mich das Szenarium im Fahrstuhl. Es sollte das letzte Mal sein, dass Touga vor Utena erschien. Im Gespräch mit Touga kehrte die Erinnerung zurück. Der Umstand, dass sich Utena wünschte, Touga sei nie gestorben, löste in ihr einen Abwehrmechanismus in Form von Verdrängung aus. Schlussendlich war das der letzte ‚Hoffnungsschimmer‘ gewesen, der es Touga ermöglichte wieder in ihr Leben zu treten. Desto mehr sich Utena von Touga entfernte, füllte sich seine Seite des Fahrstuhls mit Wasser (welch metaphorischer Rahmen). Sie war zum Zeitpunkt des tragischen Vorfalls noch ein Kind gewesen, sie hatte Angst, sie fühlte sich im Stich gelassen. Doch mit der Zeit lernte Utena, dass sie loslassen muss und die schönen Tage mit Touga als liebliche Kindheitserinnerung im Gedächtnis bleiben sollen. Erst wenn sie sich vollständig von ihrer Vergangenheit, von ihren Prinzen lösen kann, ist der Weg zu Anthy frei. Utena braucht keinen Prinzen, der sie beschützt und behütet, sie selbst war zu einem Prinzen geworden, der die Behüterrolle einnahm.

Akio & Anthy

Akio, der Rosenprinz, ist der verstorbene Bruder von Anthy. Wenngleich Akio seine Schwester auf sowohl emotioneller, als auch physischer Ebene kontrolliert bzw. bewusst beeinflusste, liebte Anthy ihren Bruder. Der Fakt, dass Anthy ihren Bruder trotz des augenscheinlichen Missbrauches liebte, sicherte ihn die Rolle des falschen Prinzen – die Triebfeder hinter Ohtari. Nachdem Akio gewahr wurde, dass seine Schwester wußte, dass er sie betäubte und vergewaltigte, überwältigten ihn seine Schuldgefühle und seine so schon labile Psyche bestärkte seinen Todestrieb und er stürzte sich in die Tiefe. Anthy begrub ihren Bruder und pflanzte auf seinem ‚Grab‘ ein Rosenbeet (daraus entnahm dann auch Utena den Ring). Akio ließ eine große Lücke in Anthys Herzen zurück und um die Leere zu füllen, begibt sie sich auf die Suche nach ihren wahren Prinzen. Auf den ersten Blick wirkt es, als handle es sich bei Anthy um einen devoten Charakter. Sie erschuf sich eine Welt, in der sie sich wohl fühlt, ungeachtet dessen, dass sie sich in einem Kerker aus Rosen befand. Sie ging schulischen Aktivitäten nach und ‚belohnte‘ siegreiche Duellanten. Ihre Beziehung zu Männern erscheint ehrerbietig. Als Kyouichi sie schlug und vornehmlich wie ein wertloses Objekt behandelt hat, schien das Anthy gar nicht zu stören – gleichwohl zeugt ihr späteres Verhalten von ungemeiner Charakterstärke. Ihr Habitus scheint sich seit der ersten Begegnung mit Utena gewandelt zu haben.

Utena & Anthy

Das Anthy von der Person Utenas fasziniert und bewegt ist, zeigt sich bereits bei ihrem Kennenlernen, zwar schien sie überrascht, dass Utena den Rosenring trug (auch wenn sie ihr im Endeffekt den Ring übergab), passierte während des Duells etwas, das nochmals die anfängliche Anziehungskraft unterstreicht: als Utena dabei ist gegen Kyouichi zu verlieren, bekommt sie von Anthy das Schwert des Rosenprinzen überreicht … noch nie hatte jemand zuvor das Privileg gehabt. Interessant sind auch Utenas Beweggründe. In erster Linie entschied sie sich dazu ebenfalls ein Anwärter auf die Rosenbraut zu werden, weil sie die Art und Weise wie Anthy behandelt wurde vollends missbilligte. Anlässlich ihres Sieges möchte sich dann Anthy erkenntlich zeigen, indem sie die Nacht mit Utena verbringen möchte. Eine Art der Belohnung, die Utena zu weit geht, dennoch bleibt Anthys‚ Belohnungssytem‘ unentwegt ihren Gedanken haften. Utena ist unfähig sich aus Anthys Bann zu befreien und allmählich kommen sich die beiden Mädchen näher. Eine ganz besondere Schlüsselszene stellt der gemeinsame Tanz dar. Utena kann ihre Emotionen nicht zurückhalten und schüttet Anthy ihr Herzleid aus. Hier haben wir jetzt einen Wendepunkt – wir begeben uns nun auf die romantische Ebene. ‚Ich werde diejenige sein, die mit Dir die Sterne betrachtet.‘ Anthy zerstört das Bewässerungssystem ihres Gartens, sodass sie und Utena freie Sicht auf den Sternenhimmel haben. Utena ist berührt, Anthy streckt ihr ihre Hand entgegen und sie beginnen zu tanzen. Hier wirkt so viel Symbolik auf den Betrachter ein, dass diese Szene zu meinen Lieblingen gehört. Und wenn wir schon beim Thema eindringlicher Szenen sind, darf natürlich das ‚Autorennen‘ nicht fehlen. Utena möchte mit Anthy aus dieser Welt entfliehen. Utena die den Akt ‚der letzten Reinigung‘ vollzog und sich in ein Auto verwandelt. Das schöne hierbei ist, dass der Betrachter ganz individuell entscheiden kann, wie genau er nun das irrtümlich grotesk wirkende Spektakel interpretieren möchte. Für mich sollte dabei Folgendes gezeigt werden: Utena wird zu einem Auto, sie ist quasi der Antrieb, und Anthy übernimmt das Steuer. Gemeinsam wollen sie der Kindheit und/oder Wunschvorstellung einer heilen Welt entkommen und sich der Realität und/oder Erwachsensein stellen. Auf ihren Weg werden sie von anderen Fahrzeugen verfolgt und bedrängt. Diese stellen alle Sorgen und Altlasten aus der Vergangenheit dar, von dem es sich zu lösen gilt (unter anderem auch dank der Hilfe von Freunden). Den Höhepunkt bildet das Auftauchen der Akademie, Anthys illusionäre [Traum]Welt und Akio, der das letzte Hindernis bildet. Gleichwohl wie es Utena gelang alle Widerständen (zB der Verlust von Touga, die daraus resultierende verdrängte Erinnerung oder aber ihre unterdrückte Emanzipation*) zu überwinden, konnte sich auch Anthy aus der Gefangenschaft ihrer eigenen Sehnsüchte (ihren wahren Prinz zu finden, die Verbundenheit zu ihrem Bruder) lösen um sich damit ein freies Dasein zu schaffen. Eine Welt, in der es keine Straßen gibt, einer Welt, in der ein jeder sein Glückes Schmied ist und selbst bestimmt in welche Richtungen sein weiterer Lebensweg verlaufen soll.

* Ihr burschikoses Auftreten, doch sobald sie sich in einem Duell befindet, am Ende oder während des Tanzes ändert sich Utenas Äußeres und nimmt ‚femininere Züge‘ an. Allein dieser Verwandlungsprozess könnte intensiver diskutiert werden.

Der Diskussionsgehalt ist schier unendlich (es gäbe ja noch sil­hou­et­tie­rten Kommentatorinnen) und meine persönlichen Interpretationen an der kurzen Leine gehalten, weil ich ganze Seiten mit möglichen Analysen füllen könnte, aber gerade das macht den Charme des Films aus. Bislang habe ich mir auch noch nicht den Anime angeschaut, ich glaube um die Intension / die Rollenverteilung der Charaktere besser zu verstehen (gerade Kozue), werde ich mir wohl den Anime anschauen und dann nochmals den Film.