PennV.I.P.
#1- Setting
- Handlung
- Figuren
- Musik
- Animation
»Lasset dort, wo die Liebe hinfällt, Familien entstehen. Dort, wo keine Liebe ist, möge die Familie unbedingt entzweit werden. Nur wenn diese Freiheit gestattet wird, kann das Leben von Mann und Frau aus diesem abstoßenden Trug [der lieblosen Ehe] befreit werden. Von der Freiheit der Liebe zur Freiheit der Ehe!«
Die nur dreizehn Jahre andauernde Taishō-Zeit von 1913 bis 1926 markierte die kürzeste Regentschaft eines Kaisers in der japanischen Neuzeit. Ein halbes Jahrhundert nach Beginn der Meiji-Restauration hielt der vielschichtige gesellschaftliche Umbruch, der das Land nach der Öffnung seiner Außengrenzen erfasst hatte, auch während dieser Regierungsperiode an. Die Meiji-Verfassung von 1890 hatte sich in vielerlei Hinsicht an westlichen Vorbildern orientiert und etablierte eine semi-konstitutionelle Monarchie mit Zweikammersystem, während die zersplitterte Aristokratie reformiert wurde – beide Umstände prägten das politische und gesellschaftliche Bild der folgenden Jahre. Dass unterdessen Industrialisierung und technologischer Fortschritt in Japan Einzug gehalten hatten, äußerte sich für den Rest der Welt im japanischen Exportboom während des Ersten Weltkriegs. Im Inland stachen die zunehmende Verbreitung des Automobils und der Ausbau des innerstädtischen und nationalen Schienennetzes hervor – letzterer verdeutlicht durch die Eröffnung des neuen Tokyoter Bahnhofs im Jahr 1914. Politisch war die Taishō-Zeit gezeichnet von kurzlebigen Regierungskabinetten, Skandalen und der Ermordung des ersten bürgerlichen Premierministers. Der industrielle Aufschwung des Landes zu Beginn des Jahrhunderts zog die Bildung eines Proletariats nach sich, in welchem Forderungen einer jungen, westlich geprägten Generation von Intellektuellen nach allgemeinem (Männer-)Wahlrecht, sozialer Absicherung und Arbeiterschutz auf fruchtbaren Boden stießen. In der Taishō-Zeit erstarkte zudem die japanische Frauenbewegung, die die per Verfassung festgeschriebene Ungleichheit von Mann und Frau und die finanzielle, politische und eheliche Abhängigkeit der Frau scharf kritisierte. In die Depression stürzte die Regentschaft im September 1923 mit dem Großen Kantō-Erdbeben, welches die Region um die Hauptstadt Tokyo verwüstete, großflächige Brände verursachte, mehrere hunderttausend Opfer forderte und Produktionsanlagen zerstörte.
Warum nun dieser kurze Ausflug in die japanischen Geschichtsbücher zu Beginn einer Rezension, die sich mit einem Liebesdrama beschäftigt? Die Antwort: Die Handlung von »Kasei Yakyoku« steht ganz im Zeichen der Zeit, in der sie angesiedelt ist. Verfolgt werden die turbulenten Beziehungen zwischen der jungen Adelstochter Hashō Akiko, ihrem auf den Tag gleichaltrigen Zimmermädchen Uchida Sara und dem charismatischen Yakuza-Emporkömmling Itō Takao, kurz Taka, die ab Mai 1923 ihren Lauf nehmen. In den Tagen nach dem zwanzigsten Geburtstag der beiden Frauen werden sie bei einer Spazierfahrt durch den Tokyoter Stadtteil Ginza von drei Schurken bedrängt. Taka und Saras Bruder Jun’ichirō, die in einer nahegelegenen Bar mit Billardspiel ihre Zeit vertreiben, hören den Aufruhr und kommen Akiko und Sara zu Hilfe. Akiko ist fasziniert von Takas Freigeistigkeit und Wagemut, beneidet ihn gar darum. Als Tochter eines Markgrafen ist sie gesellschaftlich zwar höhergestellt, aber dennoch wie eingesperrt durch soziale Normen und familiäre Erwartungen. Selbst ihr zukünftiger Ehepartner steht mit dem Adelssohn Saionji Kiyokuni bereits fest. Während der Vorbereitungen für eine ihrer Partys in der Zweitvilla der Familie schmiedet sie dann einen Plan: Gelänge es ihr, Kiyokuni trotz des Standesunterschieds mit Sara zu verkuppeln, würde das ihr selbst die Freiheit verschaffen, Taka näherzukommen. Doch Akikos Ränke gehen nicht auf: Kiyokuni weist Sara ebenso ab, wie Akiko von Taka versetzt wird, und Sara beschließt, ihr Dasein als Zimmermädchen hinter sich zu lassen.
Der Anime adaptiert das in neun Bänden abgeschlossene Opus Magnum gleichen Namens aus der Feder der japanischen Mangaka Hirata Makiko, das von 1984 bis 1988 im an junge Frauen gerichteten Magazin »May« erschien. »Kasei Yakyoku« fügt sich ein in einen Kanon an Werken, die Hirata ab ihrem Debüt 1967 bis in die späten Achtzigerjahre in verschiedenen Shōjo-Magazinen veröffentlichte. Die Anime-Umsetzung geschah unter der Federführung des Regisseurs Dezaki Osamu, Mitbegründer des Animatiosstudios Madhouse, allerdings unter der Schirmherrschaft des Studios Magic Bus, das von Dezakis Bruder Satoshi gegründet worden war. Dezaki, der für Titel wie »Ashita no Joe«, »Ace o Nerae!« oder »Versailles no Bara« Regie führte, war ein wichtiger Anime-Regisseur der Siebziger und Achtziger. Sein unverkennbarer Stil, der sich unter anderem durch kunstvolle Standbilder in Schlüsselszenen auszeichnete und von Kollegen »Dezaki-Inszenierung« getauft wurde, findet sich auch in »Kasei Yakyoku« wieder. Für Figurendesign und Animationsregie arbeitete Dezaki hier wie auch in vielen seiner anderen Werke mit Sugino Akio zusammen. Die technische Umsetzung des Titels fällt solide aus, mit einem dezenten Soundtrack und einer Titelmelodie, die im Gedächtnis bleibt. Die Animationen reichen – wohl auch aufgrund der finanziellen Beschränkungen von OVA-Produktionen – natürlich nicht an die Qualität teurerer Kinoproduktionen der Achtziger heran, sind aber vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit nicht unansehnlich.
Viel eher läd ohnehin die Handlung und die Figurenkonstellation, die selbige konstruiert, zur näheren Betrachtung durch das Publikum ein. Als Adaption eines Manga, der als primäre Leserschaft junge Frauen erreichen wollte, ist es nicht unüblich, dass in »Kasei Yakyoku« zwei weibliche Figuren im Vordergrund stehen. Hashō Akiko und Uchida Sara sind zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts am selben Tag geboren. Im Alter von zwanzig Jahren sind beide der an Fahrt gewinnenden Frauenbewegung in Japan wohlgesonnen und träumen davon, auf eigenen Beinen zu stehen und sich von männlicher Vormundschaft zu befreien. Man zitiert den japanischen Sozialisten Arishima Takeo, wie er in seinem Traktat über die Liebe eine Abkehr von der Zweckehe fordert, in deren Arrangement der weibliche Partner in aller Regel kein Mitspracherecht besaß. Sowohl Akiko als auch Sara wünschen sich, ihren Partner fürs Leben in freier, selbstbestimmter Entscheidung ohne familiäre oder gesellschaftliche Bevormundung wählen zu können. Betrachtet man das Duo so auf einer ihrer Spazierfahrten, könnte der Schluss fallen, sie seien sich auch darüber hinaus ähnlich. Abseits ihrer freiheitlichen Bestrebungen sind die beiden jedoch so grundverschieden, wie es in der Taishō-Zeit nur möglich scheint: Akiko ist die Tochter eines Markgrafen und damit von gesellschaftlichem Stand, der nur durch die fünf höchsten Adelsfamilien des Landes und den kaiserlichen Hof übertroffen wurde. Hingegen stammt Sara – die als Zimmermädchen Akikos arbeitet – aus niedrigsten Verhältnissen und lebt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in ärmlicher Behausung fernab des westlich inspirierten Prunks, den Akiko ihr Zuhause nennt. Akiko ist zwar davon überzeugt, dass Sara ihre Freundin ist und lädt Sara so des Öfteren zu Spazierfahrten ein, schenkt ihr teure Kleider oder lässt sie teilhaben an den Feiern, die sie veranstaltet. Gleichzeitig genießt sie aber auch ihre Privilegien als Adelige und nutzt diese voll aus. Ein Machtgefälle zwischen den beiden ist sehr deutlich spürbar: So lädt Akiko sich selbst bei Saras Familie zur Übernachtung ein oder schickt Sara los, um ihre Avancen in Briefform persönlich zu überbringen – als ihre Untergebene kann sich Sara diesen »Freundschaftsdiensten« nicht entziehen. Nicht nur Sara hält ihre Arbeitgeberin deshalb für ein »weltfremdes Fräulein«, dass von dem Leben außerhalb ihrer Residenz keine Ahnung hat.
Akiko leidet indes unter den Erwartungen ihrer Familie. Als sie sich an ihrer Geburtstagsfeier in einem aufreizenden Kleid mit Federboa statt im Kimono präsentiert, ist ihre Mutter außerordentlich empört. Zudem macht ihr die bevorstehende, von ihren Eltern eingefädelte Heirat mit Kiyokuni zu schaffen, einem Adelssohn gleichen Standes, dessen vorsichtiger Konformität sie nichts abgewinnen kann. Als mit Taka erstmals ein Mann ihr Interesse weckt, setzt sie ihren Vorstellungen folgend alles daran, diesem näher zu kommen. Dass sie ihre »Freundschaft« mit Sara aufs Spiel setzt, als sie versucht, Sara mit Kiyokuni zu verkuppeln, um sich aus ihrer Verlobung zu befreien, kommt ihr dabei offensichtlich nicht in den Sinn. Doch sie verwehrt Sara durch ihre Bevormundung die freie Wahl eines Partners, nach der sie selbst in diesem Moment strebt. Zynisch muss es vor diesem Hintergrund klingen, als sie Sara noch mittelt, dass eine Nacht mit Kiyokuni Saras Chance sei, reich zu heiraten und im selben Atemzug nochmals Arishimas Forderung nach freier Ehe und Heirat zitiert. Sara erkennt schließlich, dass sie im Hause Hashō ihre Freiheit nicht finden wird und legt ihre Tätigkeit nieder, während Taka auf die Annäherungsversuche der Adelstochter nicht eingeht. Akiko verfällt über die doppelte Abweisung in tiefe Depression, aus der sie lange nur ihr ungestilltes Verlangen nach Taka hervorholt. Indes versucht Sara, auf eigenen Beinen zu stehen und für den Unterhalt ihrer Familie zu sorgen. Ohne den Schutz, den der Stand ihres vorherigen Arbeitsplatzes bot, stellt sie jedoch bald fest, dass sie als Frau trotz aufkeimender emanzipatorischer Bestrebungen der Zeit wieder und wieder auf (männliche) Hilfe angewiesen ist, um aus brenzligen Situationen unbeschadet hervorzugehen. Ausgerechnet Taka, den sie im Gegensatz zu Akiko verabscheut, erscheint dabei ein ums andere Mal zu ihrer Rettung.
Besagter Yakuza-Jüngling ist unterdessen noch die männliche Figur, die am ehesten eine charakterliche Entwicklung durchmacht und im späteren Verlauf des Titels sogar ihr Verhalten gegenüber Frauen ansatzweise kritisch reflektiert. Die meiste Zeit allerdings ist er zu sehen beim Billardspiel oder in Keilereien mit verfeindeten Gruppen, während er coole Sprüche klopft. Dass sich bereits Gefühle in ihm regen, die nicht der Tochter seines Bosses gelten, der er versprochen wurde, will er lange Zeit nicht wahrhaben. Neben Taka erscheinen die restlichen Figuren nur noch als blasse Statisten. Selbst Kiyokuni, der zumindest seine Gefühle offen äußert, ist über große Teile der Handlung hinweg bloßes Beiwerk und Opfer des romantischen Bermudadreiecks, dass sich zwischen Akiko, Sara und Taka auftut.
Was also bietet »Kasei Yakyoku« dem Publikum? Hervorzuheben ist klar die Diskrepanz zwischen den Figuren Akiko und Sara, ihr komplementärer Stand und ihre unterschiedlichen Herangehensweisen an die Liebe. Trotz ihrer gesellschaftlichen Vorzüge ist es am Ende nicht Akiko, sondern Sara, die zumindest zeitweise darüber ihr Glück findet. Während die vierteilige OVA auf das Große Kantō-Erdbeben als Zäsur hinarbeitet und dieses schließlich erreicht, ist ihr größtes Manko, dass die Manga-Vorlage letztendlich nicht bis zum Schluss adaptiert wurde. Wie die Beziehungen zwischen Akiko, Sara, Taka und dem später doch weiter ins Bild rückenden Kiyokuni zu Ende gehen, bleibt dem Zuschauer unbekannt. Trotzdem überzeugt der Titel mit seiner Darstellung des weiblichen Strebens nach selbstbestimmter Liebe im Japan der Zwanzigerjahre und liefert auch darüber hinaus einen spannenden Einblick in Alltagsleben und Gesellschaftsstrukturen zu dieser Zeit.
Arishima Takeo in »Oshimi naku Ai wa Ubau« (1920)
Die nur dreizehn Jahre andauernde Taishō-Zeit von 1913 bis 1926 markierte die kürzeste Regentschaft eines Kaisers in der japanischen Neuzeit. Ein halbes Jahrhundert nach Beginn der Meiji-Restauration hielt der vielschichtige gesellschaftliche Umbruch, der das Land nach der Öffnung seiner Außengrenzen erfasst hatte, auch während dieser Regierungsperiode an. Die Meiji-Verfassung von 1890 hatte sich in vielerlei Hinsicht an westlichen Vorbildern orientiert und etablierte eine semi-konstitutionelle Monarchie mit Zweikammersystem, während die zersplitterte Aristokratie reformiert wurde – beide Umstände prägten das politische und gesellschaftliche Bild der folgenden Jahre. Dass unterdessen Industrialisierung und technologischer Fortschritt in Japan Einzug gehalten hatten, äußerte sich für den Rest der Welt im japanischen Exportboom während des Ersten Weltkriegs. Im Inland stachen die zunehmende Verbreitung des Automobils und der Ausbau des innerstädtischen und nationalen Schienennetzes hervor – letzterer verdeutlicht durch die Eröffnung des neuen Tokyoter Bahnhofs im Jahr 1914. Politisch war die Taishō-Zeit gezeichnet von kurzlebigen Regierungskabinetten, Skandalen und der Ermordung des ersten bürgerlichen Premierministers. Der industrielle Aufschwung des Landes zu Beginn des Jahrhunderts zog die Bildung eines Proletariats nach sich, in welchem Forderungen einer jungen, westlich geprägten Generation von Intellektuellen nach allgemeinem (Männer-)Wahlrecht, sozialer Absicherung und Arbeiterschutz auf fruchtbaren Boden stießen. In der Taishō-Zeit erstarkte zudem die japanische Frauenbewegung, die die per Verfassung festgeschriebene Ungleichheit von Mann und Frau und die finanzielle, politische und eheliche Abhängigkeit der Frau scharf kritisierte. In die Depression stürzte die Regentschaft im September 1923 mit dem Großen Kantō-Erdbeben, welches die Region um die Hauptstadt Tokyo verwüstete, großflächige Brände verursachte, mehrere hunderttausend Opfer forderte und Produktionsanlagen zerstörte.
Warum nun dieser kurze Ausflug in die japanischen Geschichtsbücher zu Beginn einer Rezension, die sich mit einem Liebesdrama beschäftigt? Die Antwort: Die Handlung von »Kasei Yakyoku« steht ganz im Zeichen der Zeit, in der sie angesiedelt ist. Verfolgt werden die turbulenten Beziehungen zwischen der jungen Adelstochter Hashō Akiko, ihrem auf den Tag gleichaltrigen Zimmermädchen Uchida Sara und dem charismatischen Yakuza-Emporkömmling Itō Takao, kurz Taka, die ab Mai 1923 ihren Lauf nehmen. In den Tagen nach dem zwanzigsten Geburtstag der beiden Frauen werden sie bei einer Spazierfahrt durch den Tokyoter Stadtteil Ginza von drei Schurken bedrängt. Taka und Saras Bruder Jun’ichirō, die in einer nahegelegenen Bar mit Billardspiel ihre Zeit vertreiben, hören den Aufruhr und kommen Akiko und Sara zu Hilfe. Akiko ist fasziniert von Takas Freigeistigkeit und Wagemut, beneidet ihn gar darum. Als Tochter eines Markgrafen ist sie gesellschaftlich zwar höhergestellt, aber dennoch wie eingesperrt durch soziale Normen und familiäre Erwartungen. Selbst ihr zukünftiger Ehepartner steht mit dem Adelssohn Saionji Kiyokuni bereits fest. Während der Vorbereitungen für eine ihrer Partys in der Zweitvilla der Familie schmiedet sie dann einen Plan: Gelänge es ihr, Kiyokuni trotz des Standesunterschieds mit Sara zu verkuppeln, würde das ihr selbst die Freiheit verschaffen, Taka näherzukommen. Doch Akikos Ränke gehen nicht auf: Kiyokuni weist Sara ebenso ab, wie Akiko von Taka versetzt wird, und Sara beschließt, ihr Dasein als Zimmermädchen hinter sich zu lassen.
Der Anime adaptiert das in neun Bänden abgeschlossene Opus Magnum gleichen Namens aus der Feder der japanischen Mangaka Hirata Makiko, das von 1984 bis 1988 im an junge Frauen gerichteten Magazin »May« erschien. »Kasei Yakyoku« fügt sich ein in einen Kanon an Werken, die Hirata ab ihrem Debüt 1967 bis in die späten Achtzigerjahre in verschiedenen Shōjo-Magazinen veröffentlichte. Die Anime-Umsetzung geschah unter der Federführung des Regisseurs Dezaki Osamu, Mitbegründer des Animatiosstudios Madhouse, allerdings unter der Schirmherrschaft des Studios Magic Bus, das von Dezakis Bruder Satoshi gegründet worden war. Dezaki, der für Titel wie »Ashita no Joe«, »Ace o Nerae!« oder »Versailles no Bara« Regie führte, war ein wichtiger Anime-Regisseur der Siebziger und Achtziger. Sein unverkennbarer Stil, der sich unter anderem durch kunstvolle Standbilder in Schlüsselszenen auszeichnete und von Kollegen »Dezaki-Inszenierung« getauft wurde, findet sich auch in »Kasei Yakyoku« wieder. Für Figurendesign und Animationsregie arbeitete Dezaki hier wie auch in vielen seiner anderen Werke mit Sugino Akio zusammen. Die technische Umsetzung des Titels fällt solide aus, mit einem dezenten Soundtrack und einer Titelmelodie, die im Gedächtnis bleibt. Die Animationen reichen – wohl auch aufgrund der finanziellen Beschränkungen von OVA-Produktionen – natürlich nicht an die Qualität teurerer Kinoproduktionen der Achtziger heran, sind aber vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit nicht unansehnlich.
Viel eher läd ohnehin die Handlung und die Figurenkonstellation, die selbige konstruiert, zur näheren Betrachtung durch das Publikum ein. Als Adaption eines Manga, der als primäre Leserschaft junge Frauen erreichen wollte, ist es nicht unüblich, dass in »Kasei Yakyoku« zwei weibliche Figuren im Vordergrund stehen. Hashō Akiko und Uchida Sara sind zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts am selben Tag geboren. Im Alter von zwanzig Jahren sind beide der an Fahrt gewinnenden Frauenbewegung in Japan wohlgesonnen und träumen davon, auf eigenen Beinen zu stehen und sich von männlicher Vormundschaft zu befreien. Man zitiert den japanischen Sozialisten Arishima Takeo, wie er in seinem Traktat über die Liebe eine Abkehr von der Zweckehe fordert, in deren Arrangement der weibliche Partner in aller Regel kein Mitspracherecht besaß. Sowohl Akiko als auch Sara wünschen sich, ihren Partner fürs Leben in freier, selbstbestimmter Entscheidung ohne familiäre oder gesellschaftliche Bevormundung wählen zu können. Betrachtet man das Duo so auf einer ihrer Spazierfahrten, könnte der Schluss fallen, sie seien sich auch darüber hinaus ähnlich. Abseits ihrer freiheitlichen Bestrebungen sind die beiden jedoch so grundverschieden, wie es in der Taishō-Zeit nur möglich scheint: Akiko ist die Tochter eines Markgrafen und damit von gesellschaftlichem Stand, der nur durch die fünf höchsten Adelsfamilien des Landes und den kaiserlichen Hof übertroffen wurde. Hingegen stammt Sara – die als Zimmermädchen Akikos arbeitet – aus niedrigsten Verhältnissen und lebt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in ärmlicher Behausung fernab des westlich inspirierten Prunks, den Akiko ihr Zuhause nennt. Akiko ist zwar davon überzeugt, dass Sara ihre Freundin ist und lädt Sara so des Öfteren zu Spazierfahrten ein, schenkt ihr teure Kleider oder lässt sie teilhaben an den Feiern, die sie veranstaltet. Gleichzeitig genießt sie aber auch ihre Privilegien als Adelige und nutzt diese voll aus. Ein Machtgefälle zwischen den beiden ist sehr deutlich spürbar: So lädt Akiko sich selbst bei Saras Familie zur Übernachtung ein oder schickt Sara los, um ihre Avancen in Briefform persönlich zu überbringen – als ihre Untergebene kann sich Sara diesen »Freundschaftsdiensten« nicht entziehen. Nicht nur Sara hält ihre Arbeitgeberin deshalb für ein »weltfremdes Fräulein«, dass von dem Leben außerhalb ihrer Residenz keine Ahnung hat.
Akiko leidet indes unter den Erwartungen ihrer Familie. Als sie sich an ihrer Geburtstagsfeier in einem aufreizenden Kleid mit Federboa statt im Kimono präsentiert, ist ihre Mutter außerordentlich empört. Zudem macht ihr die bevorstehende, von ihren Eltern eingefädelte Heirat mit Kiyokuni zu schaffen, einem Adelssohn gleichen Standes, dessen vorsichtiger Konformität sie nichts abgewinnen kann. Als mit Taka erstmals ein Mann ihr Interesse weckt, setzt sie ihren Vorstellungen folgend alles daran, diesem näher zu kommen. Dass sie ihre »Freundschaft« mit Sara aufs Spiel setzt, als sie versucht, Sara mit Kiyokuni zu verkuppeln, um sich aus ihrer Verlobung zu befreien, kommt ihr dabei offensichtlich nicht in den Sinn. Doch sie verwehrt Sara durch ihre Bevormundung die freie Wahl eines Partners, nach der sie selbst in diesem Moment strebt. Zynisch muss es vor diesem Hintergrund klingen, als sie Sara noch mittelt, dass eine Nacht mit Kiyokuni Saras Chance sei, reich zu heiraten und im selben Atemzug nochmals Arishimas Forderung nach freier Ehe und Heirat zitiert. Sara erkennt schließlich, dass sie im Hause Hashō ihre Freiheit nicht finden wird und legt ihre Tätigkeit nieder, während Taka auf die Annäherungsversuche der Adelstochter nicht eingeht. Akiko verfällt über die doppelte Abweisung in tiefe Depression, aus der sie lange nur ihr ungestilltes Verlangen nach Taka hervorholt. Indes versucht Sara, auf eigenen Beinen zu stehen und für den Unterhalt ihrer Familie zu sorgen. Ohne den Schutz, den der Stand ihres vorherigen Arbeitsplatzes bot, stellt sie jedoch bald fest, dass sie als Frau trotz aufkeimender emanzipatorischer Bestrebungen der Zeit wieder und wieder auf (männliche) Hilfe angewiesen ist, um aus brenzligen Situationen unbeschadet hervorzugehen. Ausgerechnet Taka, den sie im Gegensatz zu Akiko verabscheut, erscheint dabei ein ums andere Mal zu ihrer Rettung.
Besagter Yakuza-Jüngling ist unterdessen noch die männliche Figur, die am ehesten eine charakterliche Entwicklung durchmacht und im späteren Verlauf des Titels sogar ihr Verhalten gegenüber Frauen ansatzweise kritisch reflektiert. Die meiste Zeit allerdings ist er zu sehen beim Billardspiel oder in Keilereien mit verfeindeten Gruppen, während er coole Sprüche klopft. Dass sich bereits Gefühle in ihm regen, die nicht der Tochter seines Bosses gelten, der er versprochen wurde, will er lange Zeit nicht wahrhaben. Neben Taka erscheinen die restlichen Figuren nur noch als blasse Statisten. Selbst Kiyokuni, der zumindest seine Gefühle offen äußert, ist über große Teile der Handlung hinweg bloßes Beiwerk und Opfer des romantischen Bermudadreiecks, dass sich zwischen Akiko, Sara und Taka auftut.
Was also bietet »Kasei Yakyoku« dem Publikum? Hervorzuheben ist klar die Diskrepanz zwischen den Figuren Akiko und Sara, ihr komplementärer Stand und ihre unterschiedlichen Herangehensweisen an die Liebe. Trotz ihrer gesellschaftlichen Vorzüge ist es am Ende nicht Akiko, sondern Sara, die zumindest zeitweise darüber ihr Glück findet. Während die vierteilige OVA auf das Große Kantō-Erdbeben als Zäsur hinarbeitet und dieses schließlich erreicht, ist ihr größtes Manko, dass die Manga-Vorlage letztendlich nicht bis zum Schluss adaptiert wurde. Wie die Beziehungen zwischen Akiko, Sara, Taka und dem später doch weiter ins Bild rückenden Kiyokuni zu Ende gehen, bleibt dem Zuschauer unbekannt. Trotzdem überzeugt der Titel mit seiner Darstellung des weiblichen Strebens nach selbstbestimmter Liebe im Japan der Zwanzigerjahre und liefert auch darüber hinaus einen spannenden Einblick in Alltagsleben und Gesellschaftsstrukturen zu dieser Zeit.
Beitrag wurde zuletzt am 05.04.2023 01:00 geändert.
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