Wenn ich das Stichwort „Gottkandidaten“ in den Raum werfe, was kommt euch da zuerst in den Sinn? Vielleicht
Mirai Nikki? Oder Ōba Tsugumis und Obata Takeshis – den Erschaffern von
Death Note und
Bakuman – neuester Manga
Platinum End? Wenn ja, dann sind diese Werke zu Recht in euren Köpfen aufgepoppt, haben diese doch sowohl eine gewisse Klasse als auch eine große Fangemeinde. Mit The Law of Ueki fällt ein weiterer Anime in diese Kategorie, der – sowohl im Vergleich zu oben genannten Werken als auch generell – leider ein stiefmütterliches Dasein fristet. Ich will den Anime nicht als verkanntes Meisterwerk anpreisen. Ja, er hat einige Makel. Ist er dennoch empfehlenswert? Auch ja! Und das liegt vor allem an den unglaublich sympathischen Charakteren und den irrwitzigen Fähigkeiten und Kämpfen.
Wenn gleich zu Beginn aus dem Auto eines
Bösewichts ein riesiger Bohrer ausfährt, weiß man ungefähr, in welche Richtung sich der Anime bewegt. Hier wird viel mehr Wert auf Comedy gelegt als in den meisten anderen Fighting Shounen. Vielleicht ist es sogar dem großen Comedy-Anteil – der teilweise übrigens großartig ist – geschuldet, dass ich bei der Umsetzung des Anime das Gefühl hatte, dass hier versucht wurde, vor allem Kinder und Jugendliche als Zielgruppe anzusprechen. Ich habe zwar nur den Manga von der Fortsetzung,
The Law of Ueki Plus, gelesen, jedoch habe ich dort dieses Gefühl nicht bekommen.
Die Handlung ist schnell erklärt. Wortwörtlich. Gleich in der ersten Folge wird die Story – 100 Kandidaten für den Posten Gottes erwählen Schüler, denen sie eine ihrer Fähigkeit überlassen, mit der Absicht, zum neuen Gott auserkoren zu werden, sofern der ausgewählte Schüler in einem Kampfturnier triumphiert – in Windeseile erklärt, sodass keine Fragen mehr übrigbleiben.
Ich hatte schon die Befürchtung, dass dieses schnelle Storytelling die ganzen 51 Folgen so weitergeht. Glücklicherweise wurde dieses rasche Tempo anscheinend nur deshalb gewählt, um bald zum Punkt kommen zu können: die Kämpfe. Doch bereits hier taucht einer der angesprochenen Makel auf: die Eintönigkeit. Die Kämpfe nehmen den Hauptteil der Laufzeit ein und es gibt kaum Entwicklung bezüglich Story oder Charaktere. Erst nach ungefähr zehn Folgen gibt es den ersten wirklich interessanten Twist. Denkt man aber, dass es danach abwechslungsreicher vonstattengeht, hat man sich getäuscht. Für die nächsten ca. sieben Folgen stehen wieder nur rein die Kämpfe im Mittelpunkt. Danach gibt es zwar wieder eine kleine Entwicklung in der Story, aber das Schema wiederholt sich. Um dieser Eintönigkeit zu entgehen, werden jedoch ab hier die Regeln immer wieder mit neuen Ideen aufgepeppt. Spätestens in den weiteren Turnierrunden, die zur Halbzeit des Anime beginnen, wird die Serie immer interessanter. Aufgrund der neuen Regeln, den vielen Teilnehmern und den bis hierhin immer weiterentwickelten Fähigkeiten kann man aus einem riesigen Arsenal an kreativen Kämpfen schöpfen. Die Folgen vergehen wie im Flug, was immer ein gutes Zeichen ist.
Was ist eigentlich für einen Fighting Shounen besonders wichtig? Klar, die Fähigkeiten und Attacken natürlich. Ich weiß noch, als ein Freund und ich damals die Fusion aus
Dragon Ball Z nachgestellt haben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hier nicht der Einzige bin, der schon einmal die Kamehameha-Pose inklusive dem dazugehörigen Ausruf gemacht hat. Hat The Law of Ueki ebenfalls so coole Techniken und Namen, die heute wohl schon zum Japanischen Kulturgut zählen, zu bieten? Coole Techniken: ja. Namen: nein. Wenn eine Attacke ausgeführt wird, wird nicht der Name der Technik gerufen, sondern die Erklärung davon.
Ueki Kōsuke – der Hauptcharakter der Serie – hat die Fähigkeit, Müll in Bäume zu verwandeln. Wendet er diese Fähigkeit an, ruft er also: „Die Fähigkeit, Müll in Bäume zu verwandeln!“ Für den Schulhof wohl eher ungeeignet, wenn man zu den hippen Kids dazugehören möchte. Dabei sind die Fähigkeiten selbst meist ziemlich kreativ, andere wohl eher ulkig. Man darf aber nicht auf übertriebene Planet-Buster-Attacken hoffen. Ist der Anwender jedoch gut trainiert, kann er auf Level 2 aufsteigen und seine Fähigkeit auf noch effektivere Weise nutzen.
Was die Kämpfe zu einer taktisch geprägten Schlacht werden lassen, sind die Einschränkungen der Fähigkeiten. Man kann diese also nicht immer und überall benutzen. Der Anwender muss sein Köpfchen anstrengen, um sowohl die Nachteile seiner Einschränkung am besten zu umgehen als auch diese vor seinem Gegner so gut wie möglich geheim zu halten. Auf der anderen Seite muss der Kontrahent durch genaues Beobachten eben jene Einschränkung herausfinden und, sollte ihm dies gelingen, sich eine Strategie überlegen, wie er den Gegner davon abhalten kann, seine Fähigkeit einzusetzen oder zumindest deren Effektivität zu vermindern.
Abgesehen von den Fähigkeiten, die die Gottkandidaten ihren Schülern geben, wird der Katalog der Attacken im Verlauf der Serie durch weitere Techniken wesentlich umfangreicher, spannender und wohl mit keinem anderen Anime vergleichbar. Hierzu zählen unter anderem die „Heiligen Waffen“, die aber nur von Himmelswesen eingesetzt werden können. Der Erhalt dieser Waffen, die von Stufe 1 bis Stufe 10 reichen, kann auf unterschiedlichste Weise erlangt werden. Entweder nimmt man den einfachen und langen oder den schwierigen und kurzen Weg. Gelegentliche Animezuschauer wissen bereits im Vorfeld, für welche Variante sich Ueki entscheidet. Diese Waffen sind nicht personengebunden, weshalb jedes Himmelswesen dieselben Waffen besitzen kann. Die Fähigkeiten inklusive des Level 2 lassen sich jedoch mit den Heiligen Waffen kombinieren, wodurch diese bei jedem Heiligen Wesen einen eigenen, persönlichen Touch bekommen.
Ein weiteres Unikum stellen die sogenannten „Zai“ dar. Diese sind die Talente eines Menschen und müssen sich nicht immer auf das Kämpfen beziehen. So gibt es z.B. sowohl Talente für Martial Arts als auch ein Talent fürs Tanzen, fürs Lernen oder für Sarkasmus. Wird ein Turnierkampf gewonnen, bekommt man Zai. Greift man aber mit seiner Fähigkeit eine unbeteiligte Person an, verliert man welche. Die Relevanz der Zai ist jedoch etwas willkürlich gestaltet. Wird der Fokus in einer Folge auf die Zai gelegt – mit praktischer Anwendung davon und der Erwähnung, dass jemand mit vielen Zai gegen jemanden mit wenig Zai nicht gewinnen kann –, spielen diese in der nächsten Folge überhaupt keine Rolle. In der zweiten Hälfte der Serie kommen sie – mit einer einzigen Ausnahme – gar nicht mehr vor, was ich etwas schade finde.
Und wenn das nicht schon genug wäre, trifft Ueki zudem noch auf einen
Turnierteilnehmer, der ihm beibringt, sich nicht nur auf seine übernatürlichen Fähigkeiten zu verlassen, sondern auch seinen Körper trainieren zu müssen.
Was aber das Erlernen all der aufgezählten Fähigkeiten und Techniken betrifft, hat man sich leider das Tempo der ersten Episode zum Vorbild genommen. Es ist keine Seltenheit, dass Ueki innerhalb einer Folge mehrere neue Techniken lernt. Rekordverdächtig sind sechs Upgrades, die er sich in nur fünf Folgen – den Episoden 13 bis 17 – aneignet. Außerdem kommt es vor, dass er Off-Screen Techniken lernt, die er erst später einsetzt. Wäre man hier intensiver darauf eingegangen und hätte man sich mehr Zeit gelassen, hätte das dem Abwechslungsreichtum der Serie gutgetan.
Das Herzstück des Anime sind die Charaktere. Plätschern diese am Anfang noch etwas seicht dahin, verwässert sich dieser Eindruck von Folge zu Folge.
Ueki ist ein typischer Shounen-Held… oder auch irgendwie nicht. Er ist ziemlich unbekümmert. Wirft ihm z.B. jemand einen Gegenstand an den Kopf, setzt er, ohne sich umzudrehen oder sich Gedanken darüber zu machen, unbehelligt seinen Weg fort. Anders, wenn es um seine Freunde geht. Befinden sich diese in Gefahr, überschreitet er dank seiner starken Willenskraft Grenzen. Im alltäglichen Leben ist er vielleicht nicht die hellste Leuchte, in Kämpfen avanciert er aber aufgrund seiner Geniestreiche zum strahlenden Stern des Turniers. Wie die meisten Shounen-Protagonisten hat auch er einen ausgebildeten Sinn für Gerechtigkeit. Dieser ist ihm aber nicht angeboren. Er wurde von seinem Gottkandidaten
Kobayashi, den er sich als Vorbild genommen hat, geprägt. Was ihn aber sichtlich von anderen Protagonisten des Genres abgrenzt, sind die bereits erwähnten Zai. Am Anfang sieht man, welche Zai – also Talente – Ueki hat, wodurch es ein Leichtes ist, ihn kennenzulernen, ohne seine Worte und Taten interpretieren zu müssen. Er hat z.B. das Lernen- und das Laufen-Zai. Mit jedem Kampf kann es aber passieren, dass er entweder seine eigenen Zai verliert oder nicht angeborene Zai dazubekommt, was sein wirkliches Wesen etwas verfremdet. Da es sich hierbei aber nur um Talente und keine Charaktereigenschaften handelt, ist das nicht weiter schlimm. Sein Umgang mit verlorenen Zai zeigt aber seine unerschütterliche Willenskraft. Hat er z.B. sein Talent zum Laufen verloren, hört er nicht einfach damit auf, sondern trainiert noch mehr als vorher, nur um einen winzigen Fortschritt zu machen. Aber auch deshalb, weil er Spaß an der Sache hat. Durch die Zai entstehen oft die lustigsten Szenen des Anime, was Ueki noch sympathischer macht. Diese tauchen meist in Kombination mit dem zweiten Hauptcharakter auf:
Mori Ai.
Zu Beginn wird man von Ai förmlich überrumpelt. Sie ist sehr energiegeladen; ja, fast schon hyperaktiv. Aber statt einfach nur sinnlos Lärm zu machen, ist sie eigentlich ein sehr emotionales Mädchen, das ihre Gefühle – egal, in welche Richtung sie tendieren – offen und ehrlich zum Ausdruck bringt, sei es durch übertriebene Mimik oder Gestik. Sie sorgt – meist ungewollt – für viel Gelächter, hat aber auch Züge des „Straight Man“, wenn sie Ueki aufgrund seiner Blödheiten in ihrer temperamentvollen Art in die Schranken weisen muss.
Wenn ich jeden Charakter, der mir sympathisch ist, näher vorstellen würde, müsste ich ein Buch schreiben.
Fukuchi Tsubasa – der Mangaka dieses Werks – hat ein so gutes Gespür für das Entwickeln von Charakteren, dass mir sogar die Komparsen besser gefallen als die Hauptcharaktere manch anderer Anime. Auftauchende Freunde oder Feinde, die ich anfangs für potentielle Hauptcharaktere hielt, stellten sich leider nur als „Friend/Villain of the Week“ heraus. Vor allem von
B.J. und
Suzuki Sakura hätte ich gerne noch mehr gesehen.
Das Schöne an dem Anime ist seine Message. Der Hauptcharakter kann Müll in Bäume verwandeln. Noch offensichtlicher geht es ja wohl nicht, oder? Obgleich dem guten Willen, ein wichtiges Thema wie Umweltschutz anzusprechen, finde ich es dennoch schade, dass dieses – bis auf eine Szene am Schluss – nicht noch tiefergreifender behandelt wurde. Ich denke, so hätte der Anime längerfristig einen viel größeren Eindruck hinterlassen, wäre er dadurch wohl DER Umwelt-Fighting-Shounen schlechthin geworden (Memo an mich selbst: Copyright für einen Umwelt-Fighting-Shounen beantragen).
Wenn ich The Law of Ueki damals auf Pokito gesehen hätte, zusammen mit ähnlich linear aufgebauten Serien wie
Pokémon,
Digimon,
Monster Rancher oder
Flint Hammerhead, wäre ich wahrscheinlich jeden Tag nach der Schule vor der Glotze geklebt. Das Prädikat „Gut“ hat der Anime dennoch verdient. Die wenig komplexe, relativ vorhersehbare Story und die im Übermaß auftretenden Kämpfe werden durch ideenreiche und strategische Umsetzung Letzteres, kreative, abwechslungsreiche und lustige Fähigkeiten, charmante Charaktere und gut gemachte Comedy mehr als nur ausgeglichen.