Für gewöhnlich begleitet man den kleinen Conan bei seinen Schnüffeleien und seiner Aufklärungsarbeit. Wird der Täter eingeblendet, wird dieser als schwarze Figur dargestellt, um ja nicht zu spoilern. In diesem Anime dreht man den Spieß um und verfolgt die schwarze Figur, Makoto Hanzawa, beim Verbrechen begehen. Zumindest versucht Hanzawa das. Obwohl er manchmal das Verlangen hat, ein paar Nervensägen umzubringen (jeder kennt das), hat er es auf nur eine einzige Person abgesehen. Wer diese Person ist, erfährt man erst etwas später. Jedoch ist Hanzawa oft mehr Opfer als Täter. Man versteht ihn, kann sich in ihn hineinversetzen und leidet mit ihm, und bald ist er einem so sympathisch, dass man ihm einfach den Kill gönnt. Ganbare, Hanzawa, töte deine Zielperson, warum auch immer du das tun willst! Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Hanzawa, der zum Verbrechen begehen nach Beika gekommen ist, selbst anfängt, Verbrecher zu hassen oder zu fürchten. Durch die charakteristische Eigenart der Hauptserie, Verbrecher als schwarze Gestalten darzustellen, besitzt die Comedy die Möglichkeit, sich besonders kreativ zu entfalten. Man weiß ja, dass Hanzawa nicht wirklich ein schwarzer Nackedei ist, aber nur durch diese Darstellung sind Gags wie dieser oder dieser hier möglich.
Zuerst reist Hanzawa nach Beika, denn dort hält sich seine Zielperson auf. Beika ist ein fiktiver Stadtteil von Tokio. Es ist wie ein von der wahren Welt abgeschotteter Ort, der seine ganz eigenen Regeln besitzt. Die oberste Regel lautet: Morde passieren immer und überall, und wenn ein Mordfall gelöst ist, wird schon gleich die nächste Leiche gefunden. Da ist es nicht ungewöhnlich, dass in beinahe jeder Wohnung bereits ein Mord passiert ist. Für die einen gestaltet sich die Wohnungssuche deshalb sehr einfach, da diese Wohnungen im Preis heruntergesetzt sind. Für Hanzawa – Wannabe-Mörder und Hosenkacker zugleich – ist es ein schier unmögliches Unterfangen, eine billige und mordfreie Wohnung zu finden. Der Anime stellt Fragen, die man sich vielleicht selbst nie gestellt hat, obwohl sie offensichtlich sind, z. B.: Warum wird Japans Bevölkerung nicht geringer, wenn dauernd Morde passieren? Es scheint so, als würde ein neuer Mensch in Beika materialisiert werden, sobald ein anderer ins Gras beißt, fast so wie bei einem Videospiel, bei dem man reinkarniert wird, sobald man stirbt. Doch warum gerade Beika? Und wie ist das alles möglich? Es wird die Vermutung in den Raum geworfen, ein Shinigami könnte dahinterstecken …
Jeder kriegt hier sein Fett weg, davon wird natürlich auch nicht der bebrillte Hauptcharakter verschont. Conans Mordriecher hat scheinbar ein Upgrade bekommen. Passiert ein Mord, taucht er instant auf und haut den Mörder mit seinem Signature Move auf die Matte. Den Verbrechern in spe scheint eine Art Gesetzesbrecher-Aura anzuhaften (Psycho-Pass 2.0?), denn Conan und Heiji beäugen diese mit suspekten Blicken, so als seien sie in der Lage, die schwarze Ganzkörpertunke zu sehen und richtig zu interpretieren.
Kogorou Mouri darf da natürlich auch nicht fehlen, ist er doch schon bei der Hauptserie für Comic Relief der fremdschämigsten Sorte zuständig. Dabei parodiert man nicht nur, man gibt dem Zuseher zu denken. Wenn Kogorou schon x-mal ein Narkosemittel verabreicht wurde (man schaue sich nur mal den Boden von Beika an), hätte das nicht schon längst zu Immunität führen sollen? Auch Kogorous Tochter Ran wird durch den Kakao gezogen. Steht ein ahoge für grenzenlose Dummheit, bedeutet Rans Betonzipfel wohl maximale Power.
Bei den Fällen selbst hat sich in den letzten Jahren ein Schema entwickelt, das man ebenfalls veralbert: ein Toter und drei Hauptverdächtige. Für mehr Verdächtige ist leider keine Zeit. Echte Polizeiarbeit wäre auch viel einfacher, wenn es immer nur genau drei Verdächtige geben würde. Eine ernsthafte Fallaufklärung darf man jedoch nicht erwarten, denn für mehr als Bla Bla ist in 9 Minuten pro Folge (inkl. OP und ED) kein Platz.
An jeder Straßenecke lauern Verrückte – bei Komödien ist das nichts Außergewöhnliches. Versucht man, einen tieferen Blick in die Charaktere zu werfen, kommt man nicht an eine etwas dunklere Interpretation ihres merkwürdigen Verhaltens vorbei. Man stelle sich nur mal vor, in einer Stadt, in der ein Mord auf den anderen folgt, zu wohnen. Die Stadt zu verlassen, ist zwecklos – immerhin ist man ein unersetzbarer Teil des Casts. Das ist auch der Grund, weshalb man im Gegensatz zu den Komparsen nicht sterben kann und auch nicht darf. Die Zeit scheint nach beinahe 30 Jahren stillzustehen. Wie reagiert die Psyche darauf? Professor Agasa scheint resigniert zu haben. Man muss sich nur einreden, dass alles in Ordnung sei, dann ist es das auch. Morde passieren und Täter werden geschnappt. Diese beiden Vorgänge wiederholen sich Tag für Tag, aber die Welt dreht sich weiter. Ran wiederum macht gute Miene zum bösen Spiel, merkt jedoch gleichzeitig an, dass sie sehr wohl weiß, dass ihre Welt mit Mördern gefüllt ist, wenn möglich aber nicht dazugehören will. In diesen Momenten versprüht der Anime »Twilight Zone«-Vibes.
Technisch zeigt man sich sehr minimalistisch. Sind Hintergründe nicht zwingend notwendig, existieren diese auch nicht. Für Belangloses wird keine Farbe verschwendet. Im Vergleich zum Zeichenstil der Hauptserie gibt man sich hier etwas runder. Kurioserweise sieht Conan ausgerechnet durch diesen weniger spitzen Zeichenstil bedeutend grusliger aus. Entweder das oder der Anime schafft es, dass sich der Zuseher so gut in Hanzawa hineinversetzen kann, dass einem beim Anblick der Hüter des Gesetzes Angstschweiß aus den Poren tritt.
Auf ein Comedy-Spin-Off wie »Meitantei Conan: Hannin no Hanzawa-san« hat man als Fan der Hauptserie sehnsüchtig gewartet. Selber weiß man, dass es unzählige Möglichkeiten gibt, Conan und seine Freunde so richtig auf die Schippe zu nehmen, und endlich kann man diese Möglichkeiten, die bisher nur als Versatzstücke im Hirn herumgespukt sind, in Form von zündenden Gags in einem Parodie-Anime sehen. Für eine Comedy-Serie ist es die größte Ehre, wenn man als Zuseher sagen kann: »I lol‘d.«
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