Diese Staffel beginnt mit dem »A Scandal in the British Empire«-Arc, der mit »Ein Skandal in Böhmen« auf der allerersten von Sir Arthur Conan Doyle veröffentlichten Holmes-Kurzgeschichte basiert. Mit Irene Adler wird eine ganz besonders interessante handelnde Figur eingeführt, die kaum mit der Romanvorlage zu vergleichen ist und im weiteren Verlauf des Animes zu einem wichtigen Nebencharakter wird. Der Fall selbst hat sogar für Königin Victoria oberste Priorität. Man merkt: Es wird noch ernster als in der ersten Staffel.
Mit dem »The Phantom of Whitechapel«-Arc legt man die Holmes-Bücher kurz beiseite und widmet sich mit einem skrupellosen Verbrecher der entgegengesetzten Seite des Krimi-Spektrums: Jack the Ripper. Englands vermutlich berühmtester Detektiv und Englands vermutlich berühmt-berüchtigtster Mörder eignen sich hervorragend für ein Crossover, das es bereits im Film »Sherlock Holmes’ größter Fall« zu sehen gab. Doch auch in der Anime-Welt ist dieses Zusammentreffen keine Neuheit. Im Film »Meitantei Conan: Baker Street no Bourei« trifft der kleine Conan auf gleich beide dieser Figuren. Sobald der Fall des Prostituiertenmörders abgeschlossen ist, entwickelt sich ein neuer Fall, der aus den Ereignissen des vorherigen entstanden ist und auf gar nichts basiert … außer vielleicht auf den Ideen von Mangaka Ryousuke Takeuchi.
Mit der Einzelepisode »The Merchant of London« gibt es eine Geschichte, die ebenfalls auf etwas basiert, nämlich auf »Der Kaufmann von Venedig« von William Shakespeare. Ein weiteres Mal sieht man William und Louis, als sie vor vielen Jahren noch im Waisenhaus gelebt haben. In dieser Episode bekommt man wieder die etwas härtere Seite des Animes zu sehen, die jedoch eher psychischer als physischer Natur ist.
Sowohl psychisch als auch physisch hart wird es im »The White Knight of London«-Arc. Dieser beginnt mit den innovativen und selbstlosen Plänen des beherzten Idealisten und Abgeordneten Adam Whiteley. Die ermutigende Atmosphäre lässt die Aussicht auf eine bessere Zukunft zu. Adam ist ein wahrer Sympathieträger. Dass ausgerechnet er so viel durchmachen muss, lässt die Geschichte noch tragischer wirken.
Enttäuschend ist die Einzelepisode »The Sign of Mary«, welche auf dem zweiten Holmes Roman »Das Zeichen der Vier« basiert. Im Gegensatz zum »A Study in 'S'«-Arc aus der ersten Staffel, der auf dem ersten Holmes-Roman »Eine Studie in Scharlachrot« basiert und viele kreative Einfälle besitzt, ist dieser Arc fast schon eine Eins-zu-eins-Adaption der Romanvorlage. Im Manga umfasst dieser Arc vier Chapter zu je ≈ 50 Seiten. Im Anime wurde so viel Inhalt aus dem Manga gestrichen, dass die Geschichte zwar noch irgendwie funktioniert, aber jede Menge interessante Szenen, Informationen und Hintergründe fehlen. Das Zerhackstückeln dieses wunderbaren Arcs ist wohl der Grund, weshalb ich diese Staffel nicht höher bewertet habe.
Die Einzelepisode »The Two Criminals« ist ein kleines Highlight kurz vor dem Ende dieser Staffel. Sie widmet sich der Beziehung zwischen Moriarty und Holmes, aber auch dem größten Arschloch dieses Animes: Charles Assholus Milverton [sic]. Über den Inhalt möchte ich keine weiteren Worte verlieren. Außer vielleicht: »Muss« man gesehen haben.
Seinen krönenden Abschluss findet der Anime mit dem Zweiteiler »The Final Problem«, der auf der Holmes-Kurzgeschichte »Das letzte Problem« basiert. Diese ist die einzige der insgesamt 56 Kurzgeschichten – man glaubt es kaum –, in der Moriarty einen Auftritt hat. In fünf weiteren Kurzgeschichten und im vierten und letzten Roman »Das Tal des Grauens« wird er lediglich erwähnt. In diesen beiden Episoden geht es nicht ganz so rustikal zu wie im Roman. Der Actionpegel wird bis an die Spitze getrieben, was der Geschichte – trotz des Settings im späten 19. Jahrhundert – einen modernen Anstrich gibt.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich es etwas schade finde, dass ein paar hervorragende Arcs aus dem Manga, die auch in Anime-Form eine gute Figur abgegeben hätten, ausgelassen wurden. Der Charakter-Arc um Sebastian Moran hätte ihm noch mehr Tiefe verliehen. An Tiefe fehlt es auch Von Herder, da jener Arc, in dem er im Manga seinen Erstauftritt hat, ebenfalls nicht animiert wurde, weshalb er bei seinem plötzlichen Auftreten in Episode 5 wie ein Fremdkörper wirkt. Einerseits finde ich es zwar auch schade, dass der auf dem dritten Holmes-Roman »Der Hund der Baskervilles« basierende Arc »The Hunting of the Baskervilles« nicht umgesetzt wurde, weil wir somit eine Umsetzung von allen Holmes-Romanen bekommen hätten, aber andererseits ist dieser Arc grauenhaft, da er – bis auf die Namen – keinerlei Bezug zur Romanvorlage nimmt und ein einziges, stumpfes Gemetzel ist.
Insgesamt ist diese Staffel vielleicht sogar noch einen Tick bessere als die erste. Hat Letztere noch einen teilweise episodischen Aufbau gehabt, ist hier nur mehr ein Hauch davon zu spüren. Quasi alle halbwegs wichtigen Charaktere und auch die Fälle selbst sind miteinander verbunden. Die Welt von »Moriary the Patriot«, die hier fast ausschließlich das vernebelte und atmosphärisch dichte London ist, erweitert sich, wird jedoch zu keiner Stelle unnötig kompliziert. Toller Anime. Und jetzt schnappt euch die Holmes-Romane!
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Lg eli