AsaneRedakteur
#1»… aber etwas fehlt.«
[Bertold Brecht: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny]
Zunächst macht diese Staffel einen seltsamen Eindruck, als ob irgendetwas Essentielles fehlen würde. Es ist schwer zu fassen, und zuweilen stellt sich der Eindruck ein, man ginge hier mit einer gehörigen Portion Routine ans Werk. Denn rein äußerlich ist in dieser Staffel alles wie gehabt: deutsch inspiriertes Isekai mit italienischem Renaissance-Flair, gewagte Architektur im robusten Brutalo-Stil, sittsames Volk und rustikales Handwerk, Sowie dünkelhafte Adlige und eine Kirche, die beide bedenklich viel Macht haben. Und mittendrin Main*, die mit ihrer Aura alles in Verzückung versetzt und damit Atmosphäre generiert wie nix Gutes.
Sogar die Musik ist sich gleich geblieben, kommt mir aber nicht mehr so sehr wie ein Griff ins Klo vor, die Auswahl zu bestimmten Szenen betreffend. Was auch damit zusammenhängen mag, daß man jetzt viel in Adelskreisen zugange ist, wo man dann standesgemäß auf barocke Cembaloklänge zurückgreift, wie man das in anderen Animes ja auch macht.
Die Serienkomposition wirkt irgendwie … – nicht direkt lieblos, aber doch sehr nach Schema F. Der Wechsel von heiterem Alltagsleben und dramatischen Entwicklungen prägt zwar auch hier die Serie, kommt mir aber seltsam uninspiriert vor, ohne das genauer benennen zu können. Das liegt nicht nur daran, daß es weniger Alltag mit Main gibt, sondern daß alles Wesentliche schon etabliert ist. Ihr Kennenlernen der Welt, ihre soziale Vernetzung, ihre Erfindungen und Tüfteleien und ihr Leben im Dienst und Schutz der Kirche. Vielleicht hat man auch deswegen sehr oft den Eindruck, egal welche Gefahren von einflussreichen Adligen und ihren Intrigen auch drohen, Main wird immer heil aus der Sache rauskommen und alles wird gut. Das Glück ist ihr hold und sie hat das Schicksal auf ihrer Seite. Dafür sorgt vor allem, neben Ferdinand, ein Tunichtgut namens Sylvester [2. von rechts]. Ein dreister Kerl, der sich unverschämtes, jungenhaftes Auftreten leisten kann und am Ende für viel Überraschung und offene Mäuler sorgt.
Als thematische Konstante hat man – neben Mains Erfindungen und deren Produktion in ihrer Manufaktur – immer das aus ihrer Obsession für Bücher hervorgegangene Projekt des Buchdrucks. Die Vor- und Nachteile dieses Thema betreffend, vor allem in sozialer und politischer Hinsicht, werden präzise benannt. Daß der hellsichtige Ferdinand da fast schon prophetische Worte findet, ist natürlich etwas idealisiert und läuft unter "was wir heute wieder gelernt haben". Einige Details kommen dem Zuschauer da allerdings etwas befremdlich vor, so zum Beispiel daß sie ihren Lieblingsschmied (Name vergessen) mit der Herstellung der Lettern beauftragt und ihm dabei einschärft, daß alle genau gleich und passgenau gearbeitet sein müssen. Äh, hör mal, Main: die Dinger werden gegossen. Daher wird die Form immer die gleiche sein.
»Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert und mehr als das Blei in der Flinte das Blei im Setzkasten«
[Georg Christoph Lichtenberg]
Die einzelnen Folgen sind immer noch viel zu schnell vorüber. Das ist ein gutes Zeichen. Ein weniger gutes: Es gibt auch hier viel zu viele Chibis. Das stört den Fluss der Erzählung. Obwohl, zugegeben: es ist ein gutes Mittel, um offen gebliebene Fragen im fiktiven Dialog von Ferdinand und Main anzusprechen und so über Bande dem inhärenten Bildungsauftrag nachzukommen.
Wenn Computer ins Spiel kommt, tut der Anime einiges dafür, spektakulär dazustehen; sobald es aber um komplexere Sachen geht, z.B. um Bewegungen, die Handarbeit erfordern, sieht man sich oftmals mit inakzeptablen Herausforderungen konfrontiert, die möglichst trickreich umgangen oder von vornherein gemieden werden. Damit wird letzten Endes leider nur das typische Isekai-Standardniveau erreicht. Feiglinge! Das Opening zeigt ja, daß sie es können! Das schlägt sich auch nieder bei diesen immer noch unglaublich fantastischen Fachwerkkonstruktionen von statisch zweifelhaftem Wert, und bei diesen glänzenden, aalglatten Oberflächen bei Holz. Das ist zumindest für meinen Geschmack einen Tick zu steril und zu unpersönlich.
Wettgemacht wird das durch den überraschenden Umstand, daß es hier durchaus sehr real und handfest zugeht. Es sind Tote zu beklagen. Auch wenn diese nicht gezeigt werden, rechnet man nicht unbedingt damit. Genau so rechnet man nicht damit, daß es auch mal einigen hochgestellten Persönlichkeiten buchstäblich an den Kragen geht. Manche der Edelschurken machen ja den Eindruck, als seien sie direkt der italienischen Hochrenaissance entsprungen – fehlt eigentlich nur noch das legendäre Gift der Borgia [WP].
Zum Abschluss noch ein Wort zu meinen Liebling dieser Staffel und damit zu einem unerwartet vielseitigen Charakter: Jemand sollte Delia [Bildmitte] mal die Ohren langziehen, und zwar gehörig. Will von den absolut falschen Saftsäcken gelobt werden, strebt als Karriereziel "Konkubine" an, ist selbstsüchtig, eingebildet, launenhaft und überheblich (nur so als best-of) – und immer drauf und dran ihre Herrin, Main, die sie aus dem Waisenhaus erlöst hat, zu hintergehen. Auf der anderen Seite ist sie verlässlich, hat ein gutes Herz und kann gut mit Kindern. (1:0 für Delia gegen Main, die mit ihrem Brüderchen ja nicht das ganz große Los gezogen hat.)
Jeder hat so seinen kleinen Tick. Bei Main ist es das ironisch-verspielte Zurückziehen, wenn sie ertappt worden ist, bei Delia das verlegen-selbstverliebte Zwirbeln der Haare, wenn sie kurz davor ist zu schmollen oder sich generell unsicher fühlt. Das ist schön beobachtet und verleiht diesem Anime diese spezielle Natürlichkeit und Wärme, wofür ich ihm viel von dem oben angesprochenen Schnickschnack verzeihe. Ja, Delia ist eine wirklich interessante, durchaus vielschichtige Figur. Und die Strafe,
Auch wenn es immer wieder so scheint – »Honzuki« ist kein Heile-Welt-Anime. Für umsonst gibt es nichts, und für Mains Schutz ist es nötig, sie in der Welt der Kirche und im Hochadel zu etablieren. Das war schon lange absehbar. Aber diese Sicherheit hat ihren Preis, einen sehr schmerzlichen Preis. Daß der Anime diesen Einschnitt weder Main noch dem Zuschauer erspart, ist etwas, was ich sehr schätze an der Welt des aufstrebenden Bücherwurms.
Der Epilog nach dem Ending zeigt noch einmal, wie alle mit dieser Veränderung umgehen müssen und wie Main in die Welt des Adels eingeführt wird. Und überdeutlich steht diesem Ende ins Gesicht geschrieben:
"Kauft die Leichtnovelle!! Erst wenn wir genug verkauft haben, können wir über eine 4. Staffel nachdenken!"
[Bertold Brecht: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny]
Zunächst macht diese Staffel einen seltsamen Eindruck, als ob irgendetwas Essentielles fehlen würde. Es ist schwer zu fassen, und zuweilen stellt sich der Eindruck ein, man ginge hier mit einer gehörigen Portion Routine ans Werk. Denn rein äußerlich ist in dieser Staffel alles wie gehabt: deutsch inspiriertes Isekai mit italienischem Renaissance-Flair, gewagte Architektur im robusten Brutalo-Stil, sittsames Volk und rustikales Handwerk, Sowie dünkelhafte Adlige und eine Kirche, die beide bedenklich viel Macht haben. Und mittendrin Main*, die mit ihrer Aura alles in Verzückung versetzt und damit Atmosphäre generiert wie nix Gutes.
*
Zur Transskripition siehe Staffel 1. Besonders die Szene, als Main zum ersten Mal ihren Namen schreibt:
Die Serienkomposition wirkt irgendwie … – nicht direkt lieblos, aber doch sehr nach Schema F. Der Wechsel von heiterem Alltagsleben und dramatischen Entwicklungen prägt zwar auch hier die Serie, kommt mir aber seltsam uninspiriert vor, ohne das genauer benennen zu können. Das liegt nicht nur daran, daß es weniger Alltag mit Main gibt, sondern daß alles Wesentliche schon etabliert ist. Ihr Kennenlernen der Welt, ihre soziale Vernetzung, ihre Erfindungen und Tüfteleien und ihr Leben im Dienst und Schutz der Kirche. Vielleicht hat man auch deswegen sehr oft den Eindruck, egal welche Gefahren von einflussreichen Adligen und ihren Intrigen auch drohen, Main wird immer heil aus der Sache rauskommen und alles wird gut. Das Glück ist ihr hold und sie hat das Schicksal auf ihrer Seite. Dafür sorgt vor allem, neben Ferdinand, ein Tunichtgut namens Sylvester [2. von rechts]. Ein dreister Kerl, der sich unverschämtes, jungenhaftes Auftreten leisten kann und am Ende für viel Überraschung und offene Mäuler sorgt.
Als thematische Konstante hat man – neben Mains Erfindungen und deren Produktion in ihrer Manufaktur – immer das aus ihrer Obsession für Bücher hervorgegangene Projekt des Buchdrucks. Die Vor- und Nachteile dieses Thema betreffend, vor allem in sozialer und politischer Hinsicht, werden präzise benannt. Daß der hellsichtige Ferdinand da fast schon prophetische Worte findet, ist natürlich etwas idealisiert und läuft unter "was wir heute wieder gelernt haben". Einige Details kommen dem Zuschauer da allerdings etwas befremdlich vor, so zum Beispiel daß sie ihren Lieblingsschmied (Name vergessen) mit der Herstellung der Lettern beauftragt und ihm dabei einschärft, daß alle genau gleich und passgenau gearbeitet sein müssen. Äh, hör mal, Main: die Dinger werden gegossen. Daher wird die Form immer die gleiche sein.
»Mehr als das Gold hat das Blei die Welt verändert und mehr als das Blei in der Flinte das Blei im Setzkasten«
[Georg Christoph Lichtenberg]
Die einzelnen Folgen sind immer noch viel zu schnell vorüber. Das ist ein gutes Zeichen. Ein weniger gutes: Es gibt auch hier viel zu viele Chibis. Das stört den Fluss der Erzählung. Obwohl, zugegeben: es ist ein gutes Mittel, um offen gebliebene Fragen im fiktiven Dialog von Ferdinand und Main anzusprechen und so über Bande dem inhärenten Bildungsauftrag nachzukommen.
Wenn Computer ins Spiel kommt, tut der Anime einiges dafür, spektakulär dazustehen; sobald es aber um komplexere Sachen geht, z.B. um Bewegungen, die Handarbeit erfordern, sieht man sich oftmals mit inakzeptablen Herausforderungen konfrontiert, die möglichst trickreich umgangen oder von vornherein gemieden werden. Damit wird letzten Endes leider nur das typische Isekai-Standardniveau erreicht. Feiglinge! Das Opening zeigt ja, daß sie es können! Das schlägt sich auch nieder bei diesen immer noch unglaublich fantastischen Fachwerkkonstruktionen von statisch zweifelhaftem Wert, und bei diesen glänzenden, aalglatten Oberflächen bei Holz. Das ist zumindest für meinen Geschmack einen Tick zu steril und zu unpersönlich.
Wettgemacht wird das durch den überraschenden Umstand, daß es hier durchaus sehr real und handfest zugeht. Es sind Tote zu beklagen. Auch wenn diese nicht gezeigt werden, rechnet man nicht unbedingt damit. Genau so rechnet man nicht damit, daß es auch mal einigen hochgestellten Persönlichkeiten buchstäblich an den Kragen geht. Manche der Edelschurken machen ja den Eindruck, als seien sie direkt der italienischen Hochrenaissance entsprungen – fehlt eigentlich nur noch das legendäre Gift der Borgia [WP].
Zum Abschluss noch ein Wort zu meinen Liebling dieser Staffel und damit zu einem unerwartet vielseitigen Charakter: Jemand sollte Delia [Bildmitte] mal die Ohren langziehen, und zwar gehörig. Will von den absolut falschen Saftsäcken gelobt werden, strebt als Karriereziel "Konkubine" an, ist selbstsüchtig, eingebildet, launenhaft und überheblich (nur so als best-of) – und immer drauf und dran ihre Herrin, Main, die sie aus dem Waisenhaus erlöst hat, zu hintergehen. Auf der anderen Seite ist sie verlässlich, hat ein gutes Herz und kann gut mit Kindern. (1:0 für Delia gegen Main, die mit ihrem Brüderchen ja nicht das ganz große Los gezogen hat.)
Jeder hat so seinen kleinen Tick. Bei Main ist es das ironisch-verspielte Zurückziehen, wenn sie ertappt worden ist, bei Delia das verlegen-selbstverliebte Zwirbeln der Haare, wenn sie kurz davor ist zu schmollen oder sich generell unsicher fühlt. Das ist schön beobachtet und verleiht diesem Anime diese spezielle Natürlichkeit und Wärme, wofür ich ihm viel von dem oben angesprochenen Schnickschnack verzeihe. Ja, Delia ist eine wirklich interessante, durchaus vielschichtige Figur. Und die Strafe,
die sie von Main nach Aufdeckung der Verschwörung auferlegt bekommt, ist einerseits typisch für Main als auch langfristig zum Besten für Delia: Einerseits wird sie gezwungen, sich mit ihren Ängsten, ja, ihrem Trauma auseinanderzusetzen, andererseits kann sie hier verwirklichen, was ihr ganz offensichtlich sehr gut liegt und worin sie eine Art Naturtalent zu sein scheint: der Umgang mit kleinen Kindern.
Auch wenn es immer wieder so scheint – »Honzuki« ist kein Heile-Welt-Anime. Für umsonst gibt es nichts, und für Mains Schutz ist es nötig, sie in der Welt der Kirche und im Hochadel zu etablieren. Das war schon lange absehbar. Aber diese Sicherheit hat ihren Preis, einen sehr schmerzlichen Preis. Daß der Anime diesen Einschnitt weder Main noch dem Zuschauer erspart, ist etwas, was ich sehr schätze an der Welt des aufstrebenden Bücherwurms.
Der Epilog nach dem Ending zeigt noch einmal, wie alle mit dieser Veränderung umgehen müssen und wie Main in die Welt des Adels eingeführt wird. Und überdeutlich steht diesem Ende ins Gesicht geschrieben:
"Kauft die Leichtnovelle!! Erst wenn wir genug verkauft haben, können wir über eine 4. Staffel nachdenken!"
Beitrag wurde zuletzt am 13.04.2024 22:20 geändert.
Kommentare
"Wenn ihr wissen wollt, wie es mit Myne und ihren Freuden weitergeht, lest bitte die Light Novel! Vielen Dank für eure Unterstützung von Ascendance of a bookworm"
Das heißt wohl, dasses keine 4, Staffel geben wird?
Ein großer Fan bin ich der Illustrationen zum Abschluss. Solltet ihr diese suchen, ich habe ein Album angelegt mit allen seit Staffel 1:
https://imgur.com/a/5PPzeZm