AsaneRedakteur
#1Wenn Götter und Menschen sich begegnen, kann viel Unerwartetes passieren. Etwas Neues aber eher selten. Schon früh wird das gezeigt, zum Beispiel am Amulett der verstorbenen Mutter, und früh wabern dunkle Schwaden des Numiosen durch den Film, die sich irgendeiner Schwäche der Heldin bemächtigen, um dann ihr Unheil anzurichten. Diese Schwäche ist, wie sich am Ende zeigt, mentaler Natur und, allgemein gesprochen, Ausdruck einer gewissen Geisteshaltung, die allmählich überhand nimmt. Dem stemmt sich Kanna entgegen, damit am Ende alles gut wird – und daß alles gut wird, daran gibt es von Anfang an keinen Zweifel. Der Aufbau des Film, die Charaktere, die Dialoge, die Bildsprache: alle geben deutliche Zeichen, daß es nur so sein kann.
Soviel also zum Pädagogischen. Wie es einem ordentlichen Film auch gut zu Gesicht steht, der "für die ganze Familie" konzipiert ist. Am Ende wird natürlich – für die Kleinen vor dem Fernseher und überhaupt fürs Gemüt – noch richtig dick aufgetragen, und man bemüht als Verstärker für Message und Emotion noch einige Insertsongs, die mit zeitgemäß gefühliger dünner Stimme noch etwas Sanso-weiche Wohlfühlwelt drüberkippt.
Kanna heißt das muntere Mädchen, das hier durch den Film rennt, eine tomboyisch veranlagte Sechstklässlerin, die ein knappes Jahr zuvor ihre Mutter verloren hat. Wie alle Mädchen in Anime-Filmen gibt auch sie sich die Schuld an diesem unglücklichen Ereignis, hegt zuweilen einen kleinen Groll gegen sich und die Welt im Herzen, und wohlmeinenden Rückfragen begegnet sie mit einem schlecht gelogenen "Daijoubu!". Als Protagonistin dieses Filmes besetzt sie den für Protagonisten reservierten Platz im Klassenzimmer (Links im Bild stehend), was späterhin etwas irritiert, da sie dem Status, den der Platz signalisiert, nicht wirklich gerecht wird.
Der jährliche Schulmarathon steht an, und Kanna unternimmt alles mögliche, um sich davor zu drücken. Nicht daß sie eine schlechte Sportlerin wäre – das Gegenteil ist der Fall –, aber sie hat äußerst ungute Erinnerungen daran, weil es direkt mit jenem unheilvollen Ereignis im Jahr zuvor verbunden ist. Hals über Kopf flieht sie durch den Regen zu einem gewissen Schrein und streift sich dort, mehr aus sentimentaler Neigung als aus berechnender Absicht, das Amulett ihrer Mutter über.
Und es ist so, wie es immer ist in solchen Filmen: Die Welt steht still und plötzlich können alle Tiere reden. Und gleich sehr viel. Zudem outen sie sich natürlich alle als göttliche Wesen (oder Boten) und erzählen mit ziemlich viel Text, was nun Kannas Aufgabe sein wird und wie sie außerdem ihre Mutter wiedersehen kann.
Hier beginnt nun das Abenteuer und über Strecken, leider, auch die Langeweile. Alles ist nun deutlich auf Kinder zugeschnitten, was schon anderweitig und völlig zurecht angemeckert worden ist: man muss eine lange Reise unternehmen inmitten des äußerlich verlangsamten Weltenlaufs, das Sammeln gestaltet sich als anspruchslose Schnitzeljagd, man trifft unterschiedlichste Götter bei ihren Schreinen (nur einer verweigert sich anfänglich Kannas Wunsch, damit er mit allerhand Weisheiten um die Ecke kommen kann), der auftauchende Böse ist plötzlich doch nicht ganz so böse, – und wenn mehrmals nachdrücklich betont wird, man solle aufpassen, daß etwas nicht gestohlen wird, was genau passiert dann wohl?
Man muss das nicht weiter vertiefen. Im übrigen hat oben erwähnter Klassenraum natürlich auch eine Art Plotdevice auf Lager, denn rein zufällig erzählt der Lehrer gerade einiges über die historisch-kulturelle Bedeutung der Monate, speziell über die Versammlung der Götter im Herbst, dem Kamiarizuki also. Praktisch all das, was Kanna auf ihrer Reise dann auch gut gebrauchen kann.
Wendet man sich aber dem Künstlerischen zu, erlebt man einen Film auf hohem Niveau, mit mehr Licht als Schatten. Das schließt metaphorische und andere zeichenhafte Momente mit ein. Licht sind die Momente einer glücklichen Kindheit mit der Mutter, und je mehr dunkle Schicksalsmomente Raum bekommen, desto matter und eintöniger werden die Farben.
Die Hintergründe sind generell fantastisch und heben sich ab gegen das etwas knubbelige Charakterdesign, das stellenweise ausgesprochen flächig ausfällt, gerade bei der Tier- und Götterwelt. Allerdings wird auch Wert gelegt auf eine gewisse Vielfalt der Charaktertypen, was bei Menschen deutlich besser überzeugt als bei Kami & Oni. Gerade die Kami und ihre Welt kommen recht Disney-mäßig daher. Man greift zu einfachen Formen und Farben, was vor allem während der Schrein-Rallye von Kanna und Co. auffällt, und die farbliche Gestaltung dieser Gottheiten lässt an die ähnlich einfach gestrickte Welt von Kamichu denken. Damit hat dieser Film überhaupt mehr Gemeinsamkeiten als mit dem unten auf der Seite empfohlenen »Chihiro«.
Erfreulich gut ausgefallen sind die Animationen im allgemeinen, vor allem sieht man endlich mal wieder schöne Laufbewegungen und optisch zufriedenstellendes Auf-die-Schnauze-Fallen. Nicht nur bildlich überzeugt der Animefilm, er besticht auch mit lebendigem Perspektivenwechsel und durchdachtem Schnitt. Natürlich kommt punktuell auch CGI zum Einsatz, aber nur an Stellen, wo's eh nicht so stört.
Ähnlich verhält es sich mit der Musik, die nach dem Motto "besser etwas zu wenig als zu viel" verfährt, aber auch nicht wesentlich tiefer geht. Sie signalisiert, wenn es heiter zugeht und wann man sich traurig fühlen soll, mehr ist da eigentlich nicht.
Abgesehen von dem kurzen Quest-artigen Part wählt man ein moderates Pacing, das vor allem Kannas Stimmungsumschwüngen den nötigen Raum lässt. Humoristisch bewegt man sich auf zurückhaltendem, bescheidenem Niveau, was der Glaubwürdigkeit der Personen sehr zu gute kommt. Den größten Eindruck hinterlassen hat aber Kanna selbst, bzw. ihre Sprecherin, die der Vielschichtigkeit des Charakters auf phänomenale Art Ausdruck verleiht und deren Unsicherheiten und das Gefühl des Unverstandenseins sehr eindrücklich nachfühlen lässt.
Das Ende des Films ist geprägt von Weisheiten und Botschaften, die das Leben bereichern und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft anprangern sollen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht vielleicht gar nicht mal so sehr die Reise zur Götterversammlung; sie gleicht letzten Endes mehr einer abenteuerlichen Reise durch das eigene Selbst. Mit dem Ziel, mit sich und der Welt ins Reine kommen.
Soviel also zum Pädagogischen. Wie es einem ordentlichen Film auch gut zu Gesicht steht, der "für die ganze Familie" konzipiert ist. Am Ende wird natürlich – für die Kleinen vor dem Fernseher und überhaupt fürs Gemüt – noch richtig dick aufgetragen, und man bemüht als Verstärker für Message und Emotion noch einige Insertsongs, die mit zeitgemäß gefühliger dünner Stimme noch etwas Sanso-weiche Wohlfühlwelt drüberkippt.
Kanna heißt das muntere Mädchen, das hier durch den Film rennt, eine tomboyisch veranlagte Sechstklässlerin, die ein knappes Jahr zuvor ihre Mutter verloren hat. Wie alle Mädchen in Anime-Filmen gibt auch sie sich die Schuld an diesem unglücklichen Ereignis, hegt zuweilen einen kleinen Groll gegen sich und die Welt im Herzen, und wohlmeinenden Rückfragen begegnet sie mit einem schlecht gelogenen "Daijoubu!". Als Protagonistin dieses Filmes besetzt sie den für Protagonisten reservierten Platz im Klassenzimmer (Links im Bild stehend), was späterhin etwas irritiert, da sie dem Status, den der Platz signalisiert, nicht wirklich gerecht wird.
Der jährliche Schulmarathon steht an, und Kanna unternimmt alles mögliche, um sich davor zu drücken. Nicht daß sie eine schlechte Sportlerin wäre – das Gegenteil ist der Fall –, aber sie hat äußerst ungute Erinnerungen daran, weil es direkt mit jenem unheilvollen Ereignis im Jahr zuvor verbunden ist. Hals über Kopf flieht sie durch den Regen zu einem gewissen Schrein und streift sich dort, mehr aus sentimentaler Neigung als aus berechnender Absicht, das Amulett ihrer Mutter über.
Und es ist so, wie es immer ist in solchen Filmen: Die Welt steht still und plötzlich können alle Tiere reden. Und gleich sehr viel. Zudem outen sie sich natürlich alle als göttliche Wesen (oder Boten) und erzählen mit ziemlich viel Text, was nun Kannas Aufgabe sein wird und wie sie außerdem ihre Mutter wiedersehen kann.
Hier beginnt nun das Abenteuer und über Strecken, leider, auch die Langeweile. Alles ist nun deutlich auf Kinder zugeschnitten, was schon anderweitig und völlig zurecht angemeckert worden ist: man muss eine lange Reise unternehmen inmitten des äußerlich verlangsamten Weltenlaufs, das Sammeln gestaltet sich als anspruchslose Schnitzeljagd, man trifft unterschiedlichste Götter bei ihren Schreinen (nur einer verweigert sich anfänglich Kannas Wunsch, damit er mit allerhand Weisheiten um die Ecke kommen kann), der auftauchende Böse ist plötzlich doch nicht ganz so böse, – und wenn mehrmals nachdrücklich betont wird, man solle aufpassen, daß etwas nicht gestohlen wird, was genau passiert dann wohl?
Man muss das nicht weiter vertiefen. Im übrigen hat oben erwähnter Klassenraum natürlich auch eine Art Plotdevice auf Lager, denn rein zufällig erzählt der Lehrer gerade einiges über die historisch-kulturelle Bedeutung der Monate, speziell über die Versammlung der Götter im Herbst, dem Kamiarizuki also. Praktisch all das, was Kanna auf ihrer Reise dann auch gut gebrauchen kann.
Wendet man sich aber dem Künstlerischen zu, erlebt man einen Film auf hohem Niveau, mit mehr Licht als Schatten. Das schließt metaphorische und andere zeichenhafte Momente mit ein. Licht sind die Momente einer glücklichen Kindheit mit der Mutter, und je mehr dunkle Schicksalsmomente Raum bekommen, desto matter und eintöniger werden die Farben.
Die Hintergründe sind generell fantastisch und heben sich ab gegen das etwas knubbelige Charakterdesign, das stellenweise ausgesprochen flächig ausfällt, gerade bei der Tier- und Götterwelt. Allerdings wird auch Wert gelegt auf eine gewisse Vielfalt der Charaktertypen, was bei Menschen deutlich besser überzeugt als bei Kami & Oni. Gerade die Kami und ihre Welt kommen recht Disney-mäßig daher. Man greift zu einfachen Formen und Farben, was vor allem während der Schrein-Rallye von Kanna und Co. auffällt, und die farbliche Gestaltung dieser Gottheiten lässt an die ähnlich einfach gestrickte Welt von Kamichu denken. Damit hat dieser Film überhaupt mehr Gemeinsamkeiten als mit dem unten auf der Seite empfohlenen »Chihiro«.
Erfreulich gut ausgefallen sind die Animationen im allgemeinen, vor allem sieht man endlich mal wieder schöne Laufbewegungen und optisch zufriedenstellendes Auf-die-Schnauze-Fallen. Nicht nur bildlich überzeugt der Animefilm, er besticht auch mit lebendigem Perspektivenwechsel und durchdachtem Schnitt. Natürlich kommt punktuell auch CGI zum Einsatz, aber nur an Stellen, wo's eh nicht so stört.
Ähnlich verhält es sich mit der Musik, die nach dem Motto "besser etwas zu wenig als zu viel" verfährt, aber auch nicht wesentlich tiefer geht. Sie signalisiert, wenn es heiter zugeht und wann man sich traurig fühlen soll, mehr ist da eigentlich nicht.
Abgesehen von dem kurzen Quest-artigen Part wählt man ein moderates Pacing, das vor allem Kannas Stimmungsumschwüngen den nötigen Raum lässt. Humoristisch bewegt man sich auf zurückhaltendem, bescheidenem Niveau, was der Glaubwürdigkeit der Personen sehr zu gute kommt. Den größten Eindruck hinterlassen hat aber Kanna selbst, bzw. ihre Sprecherin, die der Vielschichtigkeit des Charakters auf phänomenale Art Ausdruck verleiht und deren Unsicherheiten und das Gefühl des Unverstandenseins sehr eindrücklich nachfühlen lässt.
Das Ende des Films ist geprägt von Weisheiten und Botschaften, die das Leben bereichern und die Gleichgültigkeit der Gesellschaft anprangern sollen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht vielleicht gar nicht mal so sehr die Reise zur Götterversammlung; sie gleicht letzten Endes mehr einer abenteuerlichen Reise durch das eigene Selbst. Mit dem Ziel, mit sich und der Welt ins Reine kommen.
Beitrag wurde zuletzt am 19.05.2022 22:00 geändert.
Kommentare
Ich mag Filme, die in einer netten Geschichte auch noch ein bisschen „Bildungshintergrund“ hineinmogeln Hier lernt man ganz nebenbei, warum der Oktober in Japan meistens der „Monat ohne Götter“ ist - außer in der Region, wo sich die Götter zu ihrer jährlichen Konferenz (oder Party?) treffen, weshalb dort der selbe Monat natürlich „Monat mit Göttern“ heißt.
Der Film ist sehr unaufgeregt und ohne echten Spannungsbogen; eher ein Kinderfilm. Aber genau deshalb ist er zur Entspannung genau das richtige. Der Zeichenstil ist eher klassisch, wobei ich den Eindruck habe, dass die Figuren einen gewissen „Netflix-Stil“ zeigen, der schon in anderen Eigenproduktionen zu sehen war. Immerhin kein fürchterliches CGI, wie es neuerdings leider öfter zu finden ist.