Um eine oberflächliche Ahnung von der Story zu haben, bedarf es nur etwas Isekai-Erfahrung. Der Protagonist, Yuusuke Yotsuya, wird in eine alternative Welt transportiert. (Danke, Captain Obvious.) Doch er ist nicht alleine. An seiner Seite stehen seine Klassenkameradinnen Iu Shindo und Kusue Hakozaki. Während den beiden Mädchen die Rollen der Magierin und der Kriegerin aufgedrängt werden, muss sich Yuusuke damit abfinden, ein gewöhnlicher Bauer zu sein. Ihn hat es also schlimmer erwischt als Naofumi Iwatani, der in seiner Rolle als »Held des Schildes« nicht ernst genommen wird. In Form des Game Master gibt es für die drei Schüler, die sich den Titel »Held« erst noch verdienen müssen, bereits zu Beginn eine große Hilfestellung. Er beauftragt sie mit Quests, die sie zu erfüllen haben. Schließen sie diese erfolgreich ab, dürfen sie ihm eine Frage stellen. Dadurch kommt man dem Mysterium zwar Schritt für Schritt näher, jedoch wirkt diese Herangehensweise etwas banal und mit der Zeit auch etwas repetitiv. Dasselbe Problem tritt auf, sobald der Game Master erklärt, dass nach jeder erfolgreicher Mission ein neuer Spieler dazukommt. Als Zuseher wartet man eigentlich nur darauf, dass eine Quest angekündigt und abgeschlossen wird und im Anschluss ein neuer Spieler dazukommt.
Da das Wort »Quest« gefallen ist, könnte man nun darauf schließen, dass es sich bei diesem Isekai um einen der vielen Vertreter handelt, die sich konzeptionell an Videospiele anlehnen. Und genau das macht diese Serie, nur mit dem Unterschied, dass – im Gegensatz zu beispielsweise »Sword Art Online« oder »Log Horizon« – noch nicht klar ist, was diese alternative Welt nun wirklich ist. Dieses Geheimnis und viele originelle Einfälle des Autors machen den Reiz dieses Anime aus. Obwohl man viele für Videospiele typische Elemente zu sehen bekommt – beispielsweise Status-Anzeigen oder eine Landkarte, die nach und nach aufgedeckt wird, sobald man das Gebiet abgrast –, besteht dennoch die Möglichkeit, dass die fremde Welt und die darin wohnenden Lebewesen real sind. Die Frage nach dem wahren Wesen dieser Welt gewinnt für die Protagonisten erst dann an Bedeutung, wenn es zu Kämpfen gegen Menschen kommt. Wenn man feindlich gesinnte Goblins abschlachtet, wird man eher weniger von Gewissensbissen gequält. Wenn es jedoch darum geht, einen Menschen zu ermorden, fängt man aber an, nachzudenken.
Obwohl viele Dinge, die hier gezeigt werden, wie ein Aufguss von bereits Gesehenem wirken, punktet der Anime mit so einigen Ideen, die ich in dieser Form noch nicht gesehen habe. Die Job-Klasse der Protagonisten ist nicht in Stein gemeißelt. Dreht der Game Master das Job Roulette, kann der Job gewechselt werden. Sogar ein für Videospiele ungewöhnlicher Job wie ein Koch ist hier möglich. Welchen Job man hat, ist auch insofern wichtig, als es darum geht, welche Gegenstände – also Items – man in die Hände nehmen kann. Der Bauer Yuusuke kann beispielsweise kein Schwert in die Hand nehmen, weshalb er sich mit einer Hacke wehren muss. Die Log Points speichern vergangene Ereignisse, welche man ansehen kann wie ein Video, das in die Luft projiziert wird. Besonders weird sind Blutkanister, deren Inhalt ein Spieler mit Heilkräften absorbieren muss, um die HP (Health Points) anderer Spieler wieder aufzufüllen. Die angesprochenen Quests, welche die Helden ununterbrochen abzuschließen versuchen, halten die Spannung fortwährend aufrecht – auch aufgrund des Zeitlimits. Oft zeigt sich der Anime etwas ernster, wenn es um das Kämpfen und das Sterben geht. Angriffe gegen Menschen senken die EXP (Experience Points) in der Status-Anzeige. Auch die Frage, was passiert, wenn man einen Menschen tötet, trägt zur Spannung bei. (Die Auflösung hat aber zumindest mich etwas enttäuscht, weil ich gehofft hatte, dass der Anime hier etwas kompromissloser und unbarmherziger vorgeht.) Sterben die Protagonisten, hat dies zur Folge, dass sie nach 30 Sekunden wiederbelebt werden. Nicht nur diese Idee selbst, sondern auch dass es zu unerwünschten Nebeneffekten kommen kann, ähnelt dem Konzept aus »Log Horizon«. Grundsätzlich wird man an jenem Ort wiederbelebt, an dem man gestorben ist. Befindet man sich zum Zeitpunkt des Todes jedoch in einer lebensbedrohlichen Umgebung – z.B. unter Wasser oder im Magen eines Monsters –, wird man nicht wiederbelebt, da man danach sofort wieder sterben würde. Trifft dieser Umstand auf alle Protagonisten zu, sterben diese auch in der realen Welt. Was diesen Isekai aber von so vielen anderen abhebt, ist, dass den Protagonisten die Möglichkeit gegeben wird, nach erfolgreicher Beendigung einer Quest in die reale Welt zurückzukehren. Ein Unikum stellt diese Idee jedoch nicht dar, kommt sie doch beispielsweise in »Gantz« in ähnlicher Weise vor. Besonders interessant ist jedoch, dass sich der Status, den man in der anderen Welt besitzt, auf die körperlichen Fähigkeiten in der realen Welt auswirkt. Jedoch wurde das Potential dieses Konzepts zumindest in dieser ersten Staffel noch nicht vollständig ausgeschöpft.
Auch die Charaktere sind keine Stangenware und warten mit mehr oder minder originellen Persönlichkeitsmerkmalen auf. Vor allem der Hauptcharakter sticht hier deutlich hervor. Dieser scheint misanthropisch und soziopathisch veranlagt zu sein, jedoch wird bereits zu Beginn angedeutet, dass diese für einen Protagonisten untypisch negativen Züge nur das Resultat seines Frustes und seiner Verbitterung sind. Im Laufe der Zeit macht er einen Wandel durch, der mir etwas zu schnell ging und der mich hat glauben lassen, dass das Konzept des Antihelden nicht konsequent durchgezogen wurde. Seine vor allem am Anfang gezeigten menschenverachtenden Wesenszüge blitzen jedoch vor allem am Ende wieder auf, was den Zuseher gespannt auf seine Charakterentwicklung in der bereits angekündigten zweiten Staffel macht.
Auf ganz untypische Weise ist Yuusuke der love interest der modelnden Iu. Diese findet an ihm aus sehr vagen Gründen Gefallen. Sie hat ein Interesse an ihm entwickelt, da er einfach nur »anders« ist als alle anderen. Dabei werden vor allem die Hoffnungen und Träume von Zusehern angesprochen, die wie Yuusuke ebenfalls sozial unbeholfen sind. Bei einem Blick in ihre Vergangenheit wird deutlich, dass sie viel mehr als nur die potentielle zukünftige Partnerin des Protagonisten ist.
Kusue Hakozaki ist eigentlich viel zu friedliebend für die fremde Welt, in der man ab und zu fiese Kreaturen abschlachten muss. Psychisch belastet sie der Anblick der Monsterkadaver sehr, doch im Laufe der Geschichte kann sie an mentaler Stärke dazugewinnen.
Der schrägste Charakter von den bisherigen vier Spielern ist wohl Yuka Tokitate. Sie ist zu einem so großen Ausmaß von dem Game »WonSta« besessen, dass dadurch sogar ihr Verhalten beeinflusst wird, wodurch sie von allen Spielern für die verhältnismäßig meisten Comedy-Szenen sorgt. Der Anime erlaubt sich sogar einen kleinen Scherz, wenn man in der elften Episode das Opening von Yukas Liebling-Magical-Girl-Anime zu sehen bekommt und dieser sogar Yukas Handlungen nicht unwesentlich beeinflusst.
Obwohl das Wesen von Yuusuke darauf schließen lassen könnte, dass diese Serie in eine düstere Richtung geht, gibt es hier genug Comedy, welche die Stimmung etwas auflockert. Vor allem die ersten Kämpfe, die gezeigt haben, wie inkompetent die Protagonisten* doch sind, haben für einige Lacher gesorgt. Mit dem nur temporären Tod der Protagonisten gibt es sogar einen kleinen Running Gag, der sich durch die ganze Serie zieht. Die Kämpfe können aber auch durchaus hart und blutig werden. Etwas ernster wird die Serie auch dann, wenn etwas seriösere und ernstere Themen wie Politik, Krieg, Sklaverei und Religion angekratzt, aber nie besonders vertieft werden. Die Comedy und das Drama gehen Hand in Hand und wirken zu keinem Zeitpunkt deplatziert.
*Wer kann es ihnen verübeln? Immerhin haben sie keinen Kurs »Wie schlage ich mich in einer Videospielwelt durch?« gemacht.
Ähnlich wie bei »Shingeki no Kyojin« wird nach der ersten Hälfte des Anime ein Standbild eingeblendet, auf dem Informationen über die fremde Welt zu lesen sind. Etwas enttäuschend fand ich die Darstellung der vergangenen Ereignisse, welche die Log Points gezeigt haben. Diese wurden sehr minimalistisch und mit wenig Bewegung animiert. Durch den braun/grau-Stich sind diese Szenen nicht wirklich schön anzusehen.
Obwohl es hier so viele interessante und originelle Ideen gibt, lässt der Anime viel Potential liegen, indem er sich zu wenig Zeit nimmt und viel zu viele Geheimnisse viel zu schnell aufklärt, ohne dass der Zuseher mit neuen Geheimnissen bei der Stange gehalten wird. Bereits in der ersten Folge plaudert der Game Master aus dem Nähkästchen und erzählt, dass er aus der Zukunft stammt und dass es der Wunsch einer zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Person war, dass Iu in die fremde Welt transferiert wurde. Und bereits in der zweiten Folge verrät der Game Master, was passiert, wenn alle zehn Spieler versammelt sind. Dabei gewährt er den Protagonisten einen Blick in die Zukunft. Ausgerechnet dieses Geheimnis hätte man besser weitaus später lüften sollen. Was genau die fremde Welt nun wirklich ist, plauderte der Game Master auch ziemlich früh aus. Nach dieser ersten Staffel wurden so viele Geheimnisse gelüftet, dass man sich auf die zweite Staffel zwar freuen kann, auf die man aufgrund der fehlenden Spannung jedoch nicht sehnsüchtig wartet.
Die zweite Staffel wird dann zeigen, ob sich das frühe Lüften der Geheimnisse wirklich negativ auf den weiteren Verlauf auswirkt und ob das Konzept des misanthropischen Protagonisten funktioniert. Meistens wird darüber geredet, wie gut oder schlecht die Handlung, die Charaktere oder die Animationen sind. Doch oft scheitert ein Anime an einer nicht optimalen Umsetzung oder an verschwendetem Potential.
Kommentare
Gedroppt nach der ersten Folge.