Die Manga-Vorlage gefällt mir meistens besser als die Anime-Adoption, was mehrere, offensichtliche Gründe hat: Mangas sind meistens abgeschlossen oder zumindest weiter fortgeschritten in der Story, zudem haben sie keine Filler (zählt man spontane Bonus-Chapter nicht dazu). In Animes wird oft Content aus dem Manga gestrichen, und falls er Gefahr läuft, den Manga einzuholen, wird die Geschichte in Zeitlupengeschwindigkeit weitererzählt. Bei »Fumetsu no Anata e« jedoch war ich froh, dass nur ein Teil des Mangas umgesetzt wurde. Was‽ Warum‽ Wittert der geneigte Leser dieser Rezension einen Widerspruch‽ Nein, nein, einfach weiterlesen, einfach weiterlesen …
Der Manga war für mich wie eine von einem hohen Punkt aus gestartete sinkende Kurve. Als ich den Sinkflug nicht länger mitmachen wollte, weil ich einen empfindlichen Magen habe, zog ich die Reißleine und beendete die Liebelei mit dem Manga, die nicht viel mehr als ein One-Night-Stand war. Mit diesen ganzen wild durcheinandergewürfelten Metaphern meine ich: Ich hab den Manga vorzeitig abgebrochen. Manga Interruptus.
Der Anime setzt somit viele jener Arcs um, die mir am besten gefallen haben, und die Umsetzung selbst hat mich auf positive Weise überrascht. Die Emotionalität erreicht bereits mit der ersten Folge ihren Höhepunkt. Die darauffolgenden Arcs besitzen auch ihre Qualitäten und erzählen die rührenden Schicksale jener Charaktere, auf die der Protagonist im Laufe seines langen, langen Lebens trifft … doch von Mal zu Mal muss man sich immer weniger Sorgen darüber machen, feuchte Augen zu bekommen.
Fushis Bekanntschaften nehmen vor allem zu Beginn die Rolle der Protagonisten ein, was den positiven Nebeneffekt hat, dass es einem leichtfällt, zu diesen eine Beziehung aufzubauen. Das hat aber auch einen storyrelevanten Grund: Der Protagonist ist eine Kugel. Nein, dieser Anime ist keine Nonsense-Komödie. Die Kugel ist die originale Gestalt des Hauptcharakters, der im weiteren Verlauf meistens in Gestalt eines Jungen zu sehen ist. Er wurde vom Beobachter auf die Erde geschickt, um eine bestimmte, anfangs noch sehr geheimnisvoll und kryptisch gehaltene Aufgabe zu erfüllen. Der Protagonist ist zuerst namenlos, wird später jedoch auf den Namen »Fushi« getauft. Hinterlässt jemand oder etwas einen emotionalen Eindruck bei ihm, kann er dessen Form annehmen. So ist die erste Form, die er annimmt, jene eines Steins. Wenn man als Kugel auf die Welt kommt, ist man von einem Stein natürlich sehr begeistert! Danach nimmt er die Form eines im Sterben liegenden Wolfes an. Der Tod hinterlässt jenen großen Eindruck – das Gefühl starker Trauer –, den es für die Aktivierung seiner Fähigkeit benötigt. So »sammelt« er die Gestalten dieser Wesen, welche er beliebig oft annehmen kann. Das ist das grundlegende Konzept dieses Animes.
Fast die gesamte erste Episode über sieht man Fushi als Wolf. Er kann nicht sprechen und man kann seine Gedanken nicht hören. Er weiß über das Geschehen genauso wenig Bescheid – wenn nicht sogar etwas weniger – als der Zuseher. Man begibt sich mit ihm auf eine Reise, gemeinsam die Welt zu entdecken und so die Idee dieses Animes zu ergründen und zu erfassen. Während Fushi das Geschehen rund um ihn herum genauso sehr beobachtet wie der Zuseher, steht ein namenloser Junge im Mittelpunkt, der die gesamte Episode auf seinen schmalen Schultern zu tragen hat, diese Aufgabe jedoch mehr als nur zufriedenstellend erfüllt. Mit Ausnahme des Beobachters, der den Zuseher in die Geschichte einführt, ist der Junge die einzige Person, die man in der ersten Episode sprechen hört. Er spricht zu Fushi, doch weil dieser weder verstehen noch antworten kann, merkt er irgendwann, dass er in Wahrheit immer nur mit sich selbst geredet hat.
Die nächsten Arcs verfolgen ein ähnliches Konzept, doch die Welt, der Cast und Fushi selbst wachsen. Nur die erste Episode hat diese beklemmende, klaustrophobische, trost- und hoffnungslose Atmosphäre, die man über die restlichen 19 Episoden vermutlich nicht reproduzieren kann. Doch das ist nicht weiter schlimm, taucht im nächsten Arc mit March doch ein kleines Mädchen auf, dessen Schicksal herzzerreißend ist. Ähnlich verhält es sich mit der tragischen Liebesgeschichte zwischen Gugu und Rean Cropp im darauffolgenden Arc. Doch hier kommen erstmals andere Elemente in das bis dahin noch sehr homogene Gefüge aus einer ruhigen Atmosphäre und einer bis zur ganz großen Tragik heranwachsenden Melancholie. Sie sind zwar rar gesät, nie überzeichnet und wirken auch nicht deplatziert, doch Comedy-Szenen finden erstmals Einzug in diesen Anime. Eine derart niedergeschlagene Stimmung, wie sie zu Beginn zu spüren war, lässt sich auch nur schwer über die gesamte Laufzeit mit derselben Wirkung übertragen. Der Zuseher bekommt eine kleine Auszeit von dem Drama und der Trauer und erhält stimmungsmäßig einen kleinen Auftrieb … nur damit der emotionale Fall aus einer größeren Höhe stattfindet, wenn es zu den nächsten Schicksalsschlägen kommt. Doch es kommt nicht nur zu etwas heiteren Szenen, die ich gar nicht negativ bewerten möchte, sondern auch zu etwas kitschigen Szenen, die man sonst aus dem bereits angesprochenen Nonsense-Comedy-Genre kennt. Höhepunkt der Unsinns ist das in Gugu von einem exzentrischen Zausel eingesetzte Alkohol-Organ, mit dessen Hilfe er zum menschlichen Flammenwerfer wird.
Neben der sinkenden Kurve meines persönlichen Interesses an diesem Werk gibt es noch eine weitere Kurve: eine steigende Action-Kurve. Gibt es bereits im zweiten Arc mit March ein paar blutige Szenen, erreicht man beim letzten Arc mit übertriebener Härte schießwütiger Idioten in einem Kolosseum auf einer Verbrecherinsel die Spitze der Gewalt. Eine geballte Ladung Action gibt es auch, sobald der Antagonist auftaucht und genauso originell ist wie der Protagonist. Wie Fushi besitzen auch die Nokker keine bestimmte Gestalt, und wie Fushi – zumindest wie jener Fushi zu Beginn der Geschichte – agieren sie instinktiv und sind quasi die natürlichen Feinde des Hauptcharakters. Doch was ihnen fehlt – und hier unterscheiden sie sich von dem unsterblichen Gestaltwandler – ist Charakterentwicklung. Während Fushi ein Selbstbewusstsein erlangt, sind und bleiben die Nokkers eine von ihm angezogene Entität, die scheinbar nur am Leben ist, um jenes von Fushi zu beenden. Bei den Angriffen berauben sie Fushi nicht nur der Gestalten seiner Freunde, sondern auch seiner Erinnerungen an ebenjene. Das ist ein Kreislauf, der so traurig wie vorhersehbar ist, und wegen letzterem mit voranschreitender Dauer emotional leider immer weniger packend wird. Glücklicherweise ist der Anime davon wenig betroffen, da dieser an einer Stelle endet, bevor es zu Abnutzungserscheinungen kommen kann. Mit Hayase gibt es jedoch auch einen menschlichen Antagonisten, der Fushi und seinen Freunden mit körperlicher Kraft, aber vor allem mit Gerissenheit und Skrupellosigkeit gefährlich wird und sich so von der Herangehensweise der Nokker erfrischend abhebt.
Dass bei mir der Anime die Nase vorn hat, lässt sich auch durch die Optik begründen. Passend zur dramatischen und melancholischen Stimmung – dem größten Selling Point dieses Animes – hatte ich mit einem eher dunklen und tristen Farbton gerechnet, doch überrascht wurde ich mit einem neutralen Helligkeitskontrast und satten Farben, wodurch sowohl alle Stimmungslagen – die traurigen bis hin zu den komischen Momenten als auch die ruhigen und heiteren sowie die dramatischen und actionreichen Momente – gleichermaßen gut in Szene gesetzt werden. Das Charakterdesign ist eher auf der realitätsnahen Seite angesiedelt und besitzt durch eine Prise Originalität seinen ganz eigenen Charme. Die Animationen machen das, was einen Anime von einem Manga abhebt: Sie hauchen den Zeichnungen Leben ein … und der Anime strotzt nur so vor Vitalität! Kein Blick auf den Bildschirm ist hier vergeudete Zeit, denn jeder Frame kann sich sehen lassen und braucht sich auch nicht vor so manchen Kinoproduktionen zu verstecken. Das Opening »Pink Blood« von Hikaru Utada und das Ending »Mediator« von Masashi Hamauzu sind die passenden Untermalungen zu jener Seite des Animes, die ich so gerne mag: zur ruhigen und schwermütigen Seite.
Fazit:
Wenn ich schon etwas weiter oben über Graphen geredet habe, möchte ich mein Fazit auch mit einem solchen abschließen, denn ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Natürlich ist der Graph nicht 100%ig akkurat – ich möchte aus dieser Rezension keine größere Wissenschaft machen, als ich es ohnehin bereits mache –, aber so ungefähr trifft dieser Graph, präsentiert von Graf Graph, zu:
Graph
Wie man sieht, nimmt die Emotionalität bei steigender Action proportional ab. Oder die Action nimmt bei fallender Emotionalität proportional zu – wie man’s nimmt.
Kommentare
Auch wenn die Arcs eine recht unterschiedliche Qualität besitzen und ich gerade die dritte Story leider recht langgezogen und writingtechnisch schwach fand, hat der Anime doch viele emotionale Höhepunkte, die von der sehr akzentuierten, wenn auch nicht immer gleichguten Regie perfekt untermalt werden.
Wie die Animation ist die Qualität der Serie in jeglicher Hinsicht stets schwankend, doch man merkt stets, dass das ziemlich angeschlagene Team von Brain's Base alles getan hat, um sich wieder hochzukämpfen und viel Respekt für die Vorlage mitbringt.
Unterm Strich haben wir hier also einen innovativen emotionalen und nur manchmal ein wenig zu langatmigen Abenteuer-Anime, der sich eine 8/10 verdient!
Die Story gefällt mir bisher sehr gut. Sie erinnert mich ein wenig an Ghibli.
Die Animation ist ebenfalls sehr gut.
Die Charaktere gefallen mir ebenfalls bisher gut, allerdings kann ich wegen der wenigen folgen noch nicht viel darüber sagen.
Die Musik passt bisher gut zu dem, was im Anime geschieht.
Der Anime gehört jetzt schon für mich zu meinen Lieblingen. Hoffen wir mal, dass es so gut weiter geht wie bisher