SlaughtertripV.I.P.
#1Als dieser Anime angekündigt wurde, wollte ich ihn mir zuerst gar nicht ansehen. Als Fan der von Sir Arthur Conan Doyle niedergeschriebenen Kurzgeschichten und Romane rund um die Abenteuer des weltbekannten Detektivs kamen mir Zweifel an einer angemessenen Umsetzung. Die Charaktere sind sehr auf Bishounen getrimmt, weshalb ich mir im Unklaren war, welche Zielgruppe hier angesprochen werden soll. Ich hatte Angst, enttäuscht zu werden … Angst, dass das Vermächtnis von Sir Doyle besudelt werden könnte. Doch meine Neugier war stärker, und ich gab sowohl dem Manga als auch dem Anime eine Chance. Rückblickend war diese Entscheidung die absolut richtige. Alle oder zumindest viele Zweifel wurden so schnell beseitigt wie die Spuren, die ein Verbrechergenie wie William James Moriarty am Tatort zurückgelässt.
Bereits in der ersten Folge schlägt das Fan-Herz höher, wenn man eine Illustration von Moriarty zu sehen bekommt, die unverändert aus der Kurzgeschichte »Das letzte Problem« übernommen wurde. Wenn man diesen alten Tattergreis sieht, versteht man, was ich vorhin mit »auf Bishounen getrimmt« meinte.
Apropos erste Folge, womit ich zugleich zum Aufbau dieses Anime kommen möchte. Episode #1 ist Anime-only. – Eine Entscheidung, die vermutlich ein guter Schachzug war. Im Manga beginnt man nämlich direkt mit der Vergangenheit von William und seiner Familie, bevor man erst in den darauffolgenden Kapiteln die Verbrechen des selbsternannten Crime Consultant bestaunen kann. Die erste Folge zeigt ein solches Verbrechen, wodurch dem Zuseher das Konzept der Serie ohne Umwege nähergebracht werden kann.
Nach zwei Einzelfolgen, in denen Moriarty kaum bis gar nicht gefordert ist und die Menschen um ihn herum kontrolliert wie ein Puppenspieler seine Marionetten, gibt es erst in den Folgen #6 und #7 den ersten Auftritt von Sherlock Holmes.
Ein besonderes Schmankerl für die Leser der Bücher – nennt es ruhig Fanservice – sind die Folgen #8 und #9, welche den ersten Holmes-Roman »Eine Studie in Scharlachrot« umsetzen. Diese Geschichte wurde jedoch nicht Eins-zu-eins kopiert, sondern schlägt neue Wege ein, sodass sich Kenner der Bücher über jede Referenz freuen und gleichzeitig gespannt auf die weitere Entwicklung sein können.
Auch die Charaktere besitzen sowohl neue Wesenszüge als auch Merkmale, die man in gleicher oder ähnlicher Form in den Romanfiguren wiederfindet. Natürlich ist Moriarty auch hier der hochintelligente Verbrecher und das Gegenstück zum genauso intelligenten Holmes. Obwohl Moriarty Bekanntheit als Holmes‘ größter Rivale erlangt hat, kommt er nur in einer Kurzgeschichte vor. Erwähnt wird er in fünf weiteren Kurzgeschichten, und im allerletzten der Holmes-Romane – »Das Tal des Grauens« – greift er mehr oder weniger indirekt in das Geschehen ein. Aufgrund dessen ist es nicht ganz einfach, das wahre Wesen von Moriarty genau zu ergründen, weshalb man sich bei ihm in diesem Anime etwas mehr Freiheiten erlauben konnte als z.B. bei Holmes. Hier nimmt er die Rolle eines Verbrechensberaters ein, anstatt sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Ähnlichkeiten zur Romanfigur sind insofern zu sehen, als Moriarty in den Büchern der Anführer eines riesigen Verbrechersyndikats ist und ebenfalls mehr mit dem Hirn als mit den Händen arbeitet. Im Anime verfolgt er ein auf den ersten Blick edles Ziel. Die Adligen behandeln die Bürgerlichen wie Dreck, weshalb er das soziale System reformieren möchte. Hierbei greift er jedoch zu einer besonders drastischen Maßnahme: Mord. Er verhilft gebeutelten Bürgerlichen dazu, sich an den menschenverachtenden Adligen zu rächen, sodass diese zu seinen Mordwerkzeugen werden. Doch auch Holmes wird zu seinem Werkzeug, indem dieser die Gräueltaten der Adligen ans Licht bringt und so für noch größeren Unmut in der Bevölkerung sorgt und auch die Führer des Landes zum Nachdenken bewegt. Da Moriarty ein im Grunde genommen selbstloses Ziel verfolgt, dieses jedoch mittels Straftaten erreichen möchte – wie heißt es so schön: Der Zweck heiligt die Mittel –, könnte man ihn als Anti-Villain bezeichnen. Gewisse Ähnlichkeiten zu Light aus »Death Note« sind vorhanden, auch was die animationstechnische Darstellung mit leuchtend roten Augen betrifft.
Eine Analyse basierend auf einen Vergleich mit der Romanfigur gestaltet sich bei Holmes nicht so verzwickt, da dieser als Hauptcharakter der Bücher und des Anime sehr präsent ist. Kaum einer wird wohl denken, dass die Romanfigur und ihr Anime-Pendant völlig deckungsgleich sind. So ist Holmes hier etwas extravertierter und sogar Mittelpunkt der einen oder anderen Comedy- oder Action-Szene. Doch es gibt auch genug Ähnlichkeiten. Hier wird seine Passion für das Spielen auf der Violine ebenso behandelt wie seine diskussionswürdige Sucht nach bewusstseinsverändernden Substanzen.
Die Nebencharaktere stammen zu einem nicht unerheblichen Teil aus den Büchern. Während Dr. John. H. Watson dem Meisterdetektiv behilflich ist, hat Moriarty mit Louis James Moriarty und Albert James Moriarty wortwörtlich zwei Brothers in Crime an seiner Seite. Diese werden in den Büchern nur beiläufig erwähnt, weshalb der Mangaka Ryousuke Takeuchi auch bei diesen beiden Figuren jede Menge kreativen Spielraum hatte. Interessanterweise hat Moriarty mit Sebastian Moran und Fred Porlock zwei Handlanger um sich geschart, die in den Büchern sogar eine etwas prominentere Rolle einnehmen als seine Brüder. Am Ende der letzten Folge hat Holmes‘ Bruder Mycroft seinen Erstauftritt. Doch mehr wird man von diesem Mann, der im Roman von Sherlock selbst als ihm in vielen Dingen überlegen bezeichnet wird, erst in der bereits angekündigten zweiten Staffel sehen.
Dass sogar Holmes‘ Vermieterin Miss Hudson und ein Nebennebennebencharakter wie Mr. Stamford vorkommen, zeigt, dass der Mangaka wahrscheinlich selbst ein Holmes-Fan ist oder zumindest große Anstrengungen in die Recherche gesteckt hat.
Um diese eigenwillige, aber immer die Nähe zu den Büchern suchende Umsetzung von Sir Doyles Geschichten abzurunden, braucht es auch die passende Atmosphäre. Diese wird insofern verwirklicht, als hier die passende Zeit – die Mitte des 19. Jahrhunderts – und der passende Ort – England im Allgemeinen bzw. die Baker Street 221B im Speziellen – als Schauplatz gewählt wurden. Die Zeichnungen sind in den richtigen Momenten, nämlich wenn die Atmosphäre düsterer und geheimnisvoller wird, etwas dunkler gehalten, und der vermehrte Einsatz von Nebel, der schon so vielen Filmen und Serien den passenden Anstrich gegeben hat, verfehlt praktisch nie seinen Effekt. Das Opening verhilft dem Zuseher, ins England von vor über 150 Jahren einzutauchen – zumindest so gut wie nur möglich. Das elektropoppige Ending jedoch … man könnte sagen, dass dieses den Zuseher wieder in die Gegenwart zurückholt (nett ausgedrückt).
Ich möchte diesen Anime nicht deshalb empfehlen, weil ich ein Holmes-Fan bin und jede Adaption, sei diese noch so schlecht, fröhlich pfeifend durchwinke. Ganz im Gegenteil: Als Fan ist man oft weitaus kritischer. Ich möchte diesen Anime empfehlen – natürlich vorrangig Krimifans –, weil ich meine, dass Holmes-Fans aufgrund der deutlich zu erkennenden genauen Auseinandersetzung mit den Büchern genauso ihre Freude daran haben werden wie Zuseher, die noch nie ein von Sir Doyle geschriebenes Buch in ihren Händen gehalten haben.
Bereits in der ersten Folge schlägt das Fan-Herz höher, wenn man eine Illustration von Moriarty zu sehen bekommt, die unverändert aus der Kurzgeschichte »Das letzte Problem« übernommen wurde. Wenn man diesen alten Tattergreis sieht, versteht man, was ich vorhin mit »auf Bishounen getrimmt« meinte.
Apropos erste Folge, womit ich zugleich zum Aufbau dieses Anime kommen möchte. Episode #1 ist Anime-only. – Eine Entscheidung, die vermutlich ein guter Schachzug war. Im Manga beginnt man nämlich direkt mit der Vergangenheit von William und seiner Familie, bevor man erst in den darauffolgenden Kapiteln die Verbrechen des selbsternannten Crime Consultant bestaunen kann. Die erste Folge zeigt ein solches Verbrechen, wodurch dem Zuseher das Konzept der Serie ohne Umwege nähergebracht werden kann.
Nach zwei Einzelfolgen, in denen Moriarty kaum bis gar nicht gefordert ist und die Menschen um ihn herum kontrolliert wie ein Puppenspieler seine Marionetten, gibt es erst in den Folgen #6 und #7 den ersten Auftritt von Sherlock Holmes.
Ein besonderes Schmankerl für die Leser der Bücher – nennt es ruhig Fanservice – sind die Folgen #8 und #9, welche den ersten Holmes-Roman »Eine Studie in Scharlachrot« umsetzen. Diese Geschichte wurde jedoch nicht Eins-zu-eins kopiert, sondern schlägt neue Wege ein, sodass sich Kenner der Bücher über jede Referenz freuen und gleichzeitig gespannt auf die weitere Entwicklung sein können.
Auch die Charaktere besitzen sowohl neue Wesenszüge als auch Merkmale, die man in gleicher oder ähnlicher Form in den Romanfiguren wiederfindet. Natürlich ist Moriarty auch hier der hochintelligente Verbrecher und das Gegenstück zum genauso intelligenten Holmes. Obwohl Moriarty Bekanntheit als Holmes‘ größter Rivale erlangt hat, kommt er nur in einer Kurzgeschichte vor. Erwähnt wird er in fünf weiteren Kurzgeschichten, und im allerletzten der Holmes-Romane – »Das Tal des Grauens« – greift er mehr oder weniger indirekt in das Geschehen ein. Aufgrund dessen ist es nicht ganz einfach, das wahre Wesen von Moriarty genau zu ergründen, weshalb man sich bei ihm in diesem Anime etwas mehr Freiheiten erlauben konnte als z.B. bei Holmes. Hier nimmt er die Rolle eines Verbrechensberaters ein, anstatt sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Ähnlichkeiten zur Romanfigur sind insofern zu sehen, als Moriarty in den Büchern der Anführer eines riesigen Verbrechersyndikats ist und ebenfalls mehr mit dem Hirn als mit den Händen arbeitet. Im Anime verfolgt er ein auf den ersten Blick edles Ziel. Die Adligen behandeln die Bürgerlichen wie Dreck, weshalb er das soziale System reformieren möchte. Hierbei greift er jedoch zu einer besonders drastischen Maßnahme: Mord. Er verhilft gebeutelten Bürgerlichen dazu, sich an den menschenverachtenden Adligen zu rächen, sodass diese zu seinen Mordwerkzeugen werden. Doch auch Holmes wird zu seinem Werkzeug, indem dieser die Gräueltaten der Adligen ans Licht bringt und so für noch größeren Unmut in der Bevölkerung sorgt und auch die Führer des Landes zum Nachdenken bewegt. Da Moriarty ein im Grunde genommen selbstloses Ziel verfolgt, dieses jedoch mittels Straftaten erreichen möchte – wie heißt es so schön: Der Zweck heiligt die Mittel –, könnte man ihn als Anti-Villain bezeichnen. Gewisse Ähnlichkeiten zu Light aus »Death Note« sind vorhanden, auch was die animationstechnische Darstellung mit leuchtend roten Augen betrifft.
Eine Analyse basierend auf einen Vergleich mit der Romanfigur gestaltet sich bei Holmes nicht so verzwickt, da dieser als Hauptcharakter der Bücher und des Anime sehr präsent ist. Kaum einer wird wohl denken, dass die Romanfigur und ihr Anime-Pendant völlig deckungsgleich sind. So ist Holmes hier etwas extravertierter und sogar Mittelpunkt der einen oder anderen Comedy- oder Action-Szene. Doch es gibt auch genug Ähnlichkeiten. Hier wird seine Passion für das Spielen auf der Violine ebenso behandelt wie seine diskussionswürdige Sucht nach bewusstseinsverändernden Substanzen.
Die Nebencharaktere stammen zu einem nicht unerheblichen Teil aus den Büchern. Während Dr. John. H. Watson dem Meisterdetektiv behilflich ist, hat Moriarty mit Louis James Moriarty und Albert James Moriarty wortwörtlich zwei Brothers in Crime an seiner Seite. Diese werden in den Büchern nur beiläufig erwähnt, weshalb der Mangaka Ryousuke Takeuchi auch bei diesen beiden Figuren jede Menge kreativen Spielraum hatte. Interessanterweise hat Moriarty mit Sebastian Moran und Fred Porlock zwei Handlanger um sich geschart, die in den Büchern sogar eine etwas prominentere Rolle einnehmen als seine Brüder. Am Ende der letzten Folge hat Holmes‘ Bruder Mycroft seinen Erstauftritt. Doch mehr wird man von diesem Mann, der im Roman von Sherlock selbst als ihm in vielen Dingen überlegen bezeichnet wird, erst in der bereits angekündigten zweiten Staffel sehen.
Dass sogar Holmes‘ Vermieterin Miss Hudson und ein Nebennebennebencharakter wie Mr. Stamford vorkommen, zeigt, dass der Mangaka wahrscheinlich selbst ein Holmes-Fan ist oder zumindest große Anstrengungen in die Recherche gesteckt hat.
Um diese eigenwillige, aber immer die Nähe zu den Büchern suchende Umsetzung von Sir Doyles Geschichten abzurunden, braucht es auch die passende Atmosphäre. Diese wird insofern verwirklicht, als hier die passende Zeit – die Mitte des 19. Jahrhunderts – und der passende Ort – England im Allgemeinen bzw. die Baker Street 221B im Speziellen – als Schauplatz gewählt wurden. Die Zeichnungen sind in den richtigen Momenten, nämlich wenn die Atmosphäre düsterer und geheimnisvoller wird, etwas dunkler gehalten, und der vermehrte Einsatz von Nebel, der schon so vielen Filmen und Serien den passenden Anstrich gegeben hat, verfehlt praktisch nie seinen Effekt. Das Opening verhilft dem Zuseher, ins England von vor über 150 Jahren einzutauchen – zumindest so gut wie nur möglich. Das elektropoppige Ending jedoch … man könnte sagen, dass dieses den Zuseher wieder in die Gegenwart zurückholt (nett ausgedrückt).
Ich möchte diesen Anime nicht deshalb empfehlen, weil ich ein Holmes-Fan bin und jede Adaption, sei diese noch so schlecht, fröhlich pfeifend durchwinke. Ganz im Gegenteil: Als Fan ist man oft weitaus kritischer. Ich möchte diesen Anime empfehlen – natürlich vorrangig Krimifans –, weil ich meine, dass Holmes-Fans aufgrund der deutlich zu erkennenden genauen Auseinandersetzung mit den Büchern genauso ihre Freude daran haben werden wie Zuseher, die noch nie ein von Sir Doyle geschriebenes Buch in ihren Händen gehalten haben.
Beitrag wurde zuletzt am 12.02.2021 18:48 geändert.