Wave, Listen to Me! (2020)

Nami yo Kiite Kure / 波よ聞いてくれ

Rezensionen – Wave, Listen to Me!

Hier findest Du sowohl kurze als auch umfangreichere Rezensionen zum Anime „Wave, Listen to Me!“. Dies ist kein Diskussionsthema! Jeder Beitrag im Thema muss eine für sich alleinstehende, selbst verfasste Rezension sein und muss inhaltlich mindestens die Kerngebiete Handlung und Charaktere sowie ein persönliches Fazit enthalten. Du kannst zu einer vorhandenen Rezension allerdings gern einen Kommentar hinterlassen.
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Avatar: Slaughtertrip#1
1938, am Tag vor Halloween, sorgte das Hörspiel »Der Krieg der Welten« in New York und New Jersey für Furore. Medienberichten zufolge gab es eine erhebliche Anzahl an Zuhörern, die den Inhalt dieses Radiodramas – einen Angriff von Marsianern – für einen tatsächlichen Nachrichtenreport hielten. Massenpanik brach aus. So heißt es zumindest. An der Glaubhaftigkeit dieser angsterfüllten Reaktionen wird bis heute gezweifelt. So aber sorgten alle Beteiligten dafür, dass dem Bekanntheitsgrad der Buchvorlage und der Akteure ein kräftiger Schub verpasst und dem Medium Radio vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Ähnlich, nur ohne Panik, verhält es sich mit »Nami yo Kiite Kure«. Die impulsive Minare Koda wurde durch Kanetsugu Mato, dem gerissenen Chef des Moiwayama Radiosenders, der ihr sprachliches Talent sofort erkannt hatte, ungewollt in eine Welt geleitet, in der sie bisher nur eine passive Rolle eingenommen hatte.
Wenn man doch nur immer so einfach an einen Job kommen würde …

Die Hörspiele sind die Highlights der Serie. Minare bekommt von ihren Kollegen nur einen groben Überblick über die geplante Handlung, der sie alleine durch ihre Worte Leben einhauchen muss. Dabei muss sie, vor allem gegen Ende, viel improvisieren und darauf achten, dass zwischen den Sätzen keine allzu langen Sprechpausen entstehen, denn acht Sekunden Stille sind für Radiosender tödlich! (Dies machte ihr der sehr gerissene Kanetsugu jedenfalls glaubhaft.) In diese Geschichten lässt das Improvisationstalent Minare immer wieder Ereignisse aus ihrem Leben, ihre Gedanken und ihre Gefühle miteinfließen, wodurch man sie auf originelle Weise besser kennenlernt, selbst wenn das Szenario, das sie präsentiert, noch so bizarr ist. Während die Hörer im Anime selbst ihr Kopfkino bemühen müssen, um die Worte von Minare in Bilder umzuwandeln, bekommen wir Zuseher animierte Sequenzen der von ihr beschriebenen Szenarien geliefert. Dass manche Zuhörer von »Der Krieg der Welten« keinerlei Zweifel an der Authentizität des Berichts aufkommen ließen, ist ≈ 80 Jahre her. Man könnte meinen, dass in der heutigen Zeit niemand mehr den fiktionalen Charakter von Hörspielen infrage stellt. Doch wer ließ sich dennoch hinters Licht führen? Ich! Die Geschichten sind teilweise so aufgebaut, dass man überrascht sein wird, welche Szenen sich in der Realität abspielen und welche lediglich Minares kreativem Kopf und ihren sich nie verhaspelnden Sprechorganen entstammen.

Minare hat jedoch keine Vollzeitbeschäftigung beim Radiosender, sondern arbeitet hauptberuflich als Kellnerin im Restaurant Voyager. Während sie immer mehr Gefallen an ihren Aufgaben als Radiomoderatorin findet und die Arbeit im Restaurant nicht immer plangemäß abläuft, muss sie – ob gewollt oder nicht – ihr Leben neu organisieren. Insbesondere manche Kollegen aus dem Restaurant, zu denen eine emotionale Verbindung besteht, lassen es schwerlich zu, diesen Lebensabschnitt, ohne sich gelegentlich umzudrehen, hinter sich zu lassen.

Der Anime bedient sich häppchenweise mehrerer Genres, wodurch es schwerfällt, ihn zu kategorisieren (sofern man dies überhaupt möchte). Die nie überzeichnete Comedy wird durch die skurrilen Hörspiele und der extravertierten, temperamentvollen Persönlichkeit Minares und ihrer an manchen Stellen aufblitzenden Leichtsinnigkeit erzeugt. Viele popkulturelle Referenzen sorgen für weitere grinsende Gesichter. Liebesbeziehungen werden auf erwachsene Weise behandelt: keine Scham, keine Geheimniskrämerei, kein Hin und Her (und auch kein Kabedon). Für die dramatischen Momente sorgt die mysteriöse Makie Tachibana. Ihre Beweggründe liegen anfangs noch im Dunkeln, wodurch Spannung garantiert ist.

Vielleicht liegt es am Thema des Animes, dass ich den Sprechern besondere Beachtung habe zukommen lassen; nichtsdestoweniger muss ich die Seiyu von Minare, Riho Sugiyama, in höchsten Tönen loben. Mit der Geschwindigkeit, in der sie spricht, macht sie Hiroshi Kamiya, der bei »Saiki Kusuo no Psi Nan« eine ähnlich herausragende Darbietung abgeliefert hat, Konkurrenz. Könnte man ihre stimmliche Variabilität im elektromagnetischen Spektrum messen, würde diese – von Ultraviolett bis Infrarot – die ganze Bandbreite umfassen. Während sie kreischt, jault, jammert, faucht, seufzt, zischt, schluchzt, brüllt und wehklagt, hatte ich direkt vor Augen, wie sie im Tonstudio alle möglichen Grimassen zieht, am Boden rollt, hüpft, kriecht, sich streckt, bückt, verrenkt, windet und Saltos schlägt. Überraschenderweise hatte sie bisher noch nie bei einer großen Produktion eine Sprecherrolle ergattert. Meistens spielte sie sogar nur Nebenrollen. Ich wage mal einen Blick in die Zukunft: Von ihr werden wir noch viel hören.

Obwohl es in dieser Geschichte um die Kunst geht, die Menschen nur alleine mit der Stimme zu packen, Bilder in ihren Köpfen zu generieren und sie zum Weiterhören anzuregen, ist auch die visuelle Präsentation eine Erwähnung wert. Dieser matte, körnige, fast schon mit Kreidestiften oder Wasserfarben gemalt anmutende Zeichenstil erinnert mich ein bisschen an den im selben Zeitraum erschienenen Anime »Yesterday o Utatte« und wirkt auf mich wie für ein eher älteres Publikum ausgewählt. Die Wirkung, welche die Comedy erzielen soll, kommt dabei nicht abhanden.

Nachdem mir der Anime sehr gut gefallen und mich besonders die stimmliche Wucht von Makie Tachibana umgeworfen hat, stellt sich mir dennoch eine bestimmte Frage: Funktioniert diese Geschichte einer Radiomoderatorin, deren Aufgabe es ist, die Zuhörer mit ihrer Stimme zu gewinnen, als Manga genauso gut wie als Anime? Vor allem ohne der Synchronsprecherin von Minare, die hier alles und jeden überschattet und deren Performance vielleicht sogar größer als die Geschichte selbst ist? Neben dem tollen Anime (der Mensch ist eben ein neugieriges Geschöpf) ein weiterer Grund, einen Blick in den Manga zu werfen.

Jetzt hätte ich übrigens gerne ein Hörspiel zu den Geschichten, die sich Minare und ihre Kollegen ausdenken. Das wäre mal nettes Goodie zu einem eventuellen Disc-Release.
Beitrag wurde zuletzt am 24.07.2020 17:17 geändert.
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Avatar: Asane
Redakteur
#2
Es war eigentlich von der ersten Minute an klar, daß ich mich in diesen Anime verlieben würde. »Nami yo kiite kure« ist eine dieser Serien, die aus dem echten Leben erzählen, sie setzen nicht auf Comedy, sondern auf Humor, sie brauchen keine Fantasy, sondern den alltäglichen Wahnsinn der Normalität, sie haben demzufolge keine Charaktere, sondern Typen.

Das vielzitierte (und vor allem oft falsch verstandene) »jedem Anfang wohnt ein Zauber inne« von Hermann Hesse lässt sich auch hier erfühlen, wenn sich unversehens und unter reichlich Alkoholeinfluss ein Talent offenbart, das das Potential hat, aus einer persönlichen (und monetären) Krise zu führen und den künftigen Lebensweg zu bestimmen.
In diesem Fall den von Minare Koda, die sich in einem beeindruckenden Solo, bei dem sie kein Blatt vor den Mund nimmt, gegenüber Kanetsugu Matou über ihre derzeitige Situation auskotzt, ohne ahnen zu können, daß der bei einem lokalen Radiosender beschäftigt ist und ihre heimlich mitgeschnittene Schimpfkanonade anderntags ausstrahlen lässt. Minare ist jetzt über Nacht zwar nicht direkt berühmt, aber eine bekannte Größe, vor allem in dem Lokal, wo sie als Bedienung arbeitet.
So kommt es, daß sie eine kleine Schnuppersendung zu nachtschlafender Zeit bekommt, die auf ihr Talent, alles spontan in Grund und Boden reden zu können, perfekt zugeschnitten ist. Auch wenn sie anfangs ein wenig fremdelt, ist ihr der Gedanke nicht unsympathisch, neben dem unsicheren Job bei einem launischen Chef noch ein zweites Standbein zu haben. Ein Anfang ist jedenfalls gemacht, und der Zauber liegt vor allem darin, daß sie nun in kurzer Zeit ziemlich viel über die ihr bislang unbekannte Welt des Radios erfährt und erlebt, und mit ihr zusammen natürlich auch der Zuschauer.

Was aber so besonders, anders ist an diesem Anime, ist seine Verwurzelung in der Realität.

Das äußert sich zum einen darin, daß zu Komikzwecken bestenfalls nur wenig übertrieben wird, und wenn, dann nie so, daß die entsprechende Situation im echten Leben undenkbar wäre. An dieser Stelle sei aber auch der Hinweis eingeschoben, daß dies nur das handelnde Personal betrifft; bei allem, was sich außerhalb bewegt, wird's unter Umständen kritisch, ganz besonders bei fahrenden Autos, die in einem dermaßen durch CGI unterstützten Slapstickstil durch die Kurven driften, daß man sich nie so recht sicher sein kann, ob das hier wirklich ernst gemeint ist. Falls da keine humoristische Absicht dahinterstehen sollte, ist das ein mächtiger Griff ins Klo.

Zum andern äußert sich das in der langsamen Entwicklung von Minares neuer Laufbahn als quasi Stand-Up-Kommentatorin. Bzw. "sit down" – und somit bietet sich der Vergleich an zu anderen Serien dieser Art, beispielsweise Shouwa Genroku Rakugo Shinjuu oder Shirobako.
Hier wird allerdings nicht so sehr wert gelegt auf ein Fortschreiten, auf die Unbedingtheit, ein Ziel zu erreichen; diese typischen Ganbatte-Momente sind dem Anime fremd. Es wird vielmehr wert gelegt auf die Entwicklung von Minares Persönlichkeit. Die Art, wie ganz nebenbei ihre Entwicklung als Radiomoderatorin kommentiert wird, zeigen dann die dramatischen Ereignisse jener Nacht in der Schlussfolge, als sie trotz höchstem Einsatz die angespannte Situation nicht wirklich zu stemmen vermag und in der sich zeigt, wie ein echter Profi an die Sache geht.

Im ersten Schein des anbrechenden Tages bleibt es ungewiss, ob dies wirklich der Beruf ist, den Minare letzten Endes ergreifen wird. Aber man erlebt, daß sie den Willen, die Stärke und natürlich auch das Talent hat, diesen Weg zu meistern.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.

So steht es bei Hesse vor dem scheinbar wohlbekannten Zitat über den Zauber eines Anfangs. Und mit Abschied, Neubeginn und neuen Bindungen ist am Ende dieser Serie Minare reich gesegnet. Wenn es auch kein explizites Ganbatte-Happy-End gibt, – sie schafft das schon. Auch dies gehört zu den sympathischen Vagheiten und der ganz und gar unheroischen Verweigerung von schicksalhaften Wendungen zum Guten und von sonstigen Apotheosen.

»Nami yo kiite kure« ist nichts weniger als ein Loblied auf Spontaneität und Improvisation, auf die Kunst der Abschweifung und letztlich auch auf Menschlichkeit in der Unmittelbarkeit der Emotionen. Aus dieser Perspektive hat dann auch das wundervoll verträumt-lyrische Ending seinen Sinn.
Beitrag wurde zuletzt am 08.07.2023 02:13 geändert.
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