AsaneRedakteur
#1Stellt euch einfach vor, ihr säßet auf einer Strandterrasse, vor euch einen bunten Früchtebecher, daneben auf der einen Seite gekühlte, kleingeschnittene Wassermelonen und auf der anderen Seite einen Kai Piranha, oder wie das heißt. Und ihr dazwischen, auf einem schattigen Liegestuhl und der Alltag weit, weit weg von diesem Sommerparadies.
So ein Film ist »Cider no You ni Kotoba ga Wakiagaru«. Und auch das Cover trügt nicht. Alles sprüht in allen möglichen Bonbonfarben, als sei eine Fabrik für Lebensmittelfarben explodiert, und strahlt eine Leichtigkeit des Lebens aus, wie man sie sonst nur in Mädchenzimmern findet. Von Mädchen, die in ähnlichem Alter sind wie die Protagonistin Smile.
Auch der Film transportiert eine solche Leichtigkeit. Eine farbenfrohe Leichtigkeit, in der alles glitzert und in der virtuell rosa Herzchen durchs Bild wabern, wie bei den Vlogs, die Smile für ihre Instagram-Community ins Netz stellt. So kommt es auch zum ersten großen Drama: dem ungeheuren Druck der Selbstoptimierung, dem auch Smile sich nicht entziehen zu können glaubt, und in dessen Folge sie den unschön hervorstehenden Hasenzähnchen zu Leibe rücken will. Vermittels einer Spange, die sie von ihrem Zahnarzt erhält und die sie – wen wundert's – alles andere als sexy findet. So kommt sie auf die blendende Idee, diesen Makel mit einem Mundschutz zu kaschieren.
Auf der anderen Seite haben wir Cherry, ein ungesund schüchterner Typ. Ein 17-jähriger Junge, der ein Faible für Haiku hat. Was eigentlich untertrieben ist, es ist eher schon eine Obsession; das einzige Medium, wie er meint, mit dem er sich Fremden gegenüber mitteilen kann.
Zwei Kandidaten also, die, obwohl von völlig gegensätzlichem Charakter, ihre eigenen Probleme mit ihrer Umwelt haben und vor allem mit sich selbst. Sie sind alles andere als geschaffen füreinander – und genau deshalb treffen sie aufeinander. Unter Zuhilfenahme eines furchtbar zufälligen Unfalls, wie das nur in Animes vorkommt. Dabei sind sie wirklich keine Einzelgänger; jeder hat seinen eigenen Freundeskreis, sogar eine intakte Familie (was in Anime auch nicht immer so gegeben ist), wo sie Rückhalt und Zuspruch finden und wo sie sich trittsicher bewegen können.
Das war's im wesentlichen. Es geht im Grunde nur darum zu zeigen, wie die beiden damit fertig werden und wie sie am Ende wieder in die Spur kommen. Größeres Drama steht nicht zu erwarten, wäre auch völlig unpassend angesichts der Richtung, die der Film schon sehr früh einschlägt.
Bemerkenswert ist, daß er sich völlig frei von moralischen Botschaften und klischeehaften Szenen zeigt, und wenn, dann auf eine heitere und sanft ironische Art. Das zeigt sich vor allem in der Optik, angesichts derer ich zuerst dem Verdacht nachhing, hier hätte Masaaki Yuasa vielleicht die falschen Drogen genommen. In dieser knallbunten, federleichten Präsentation hat mich das Werk zuerst an Kimi to, Nami ni Noretara erinnert, oder an etwas von Studio Colorido wie z.B. Penguin Highway. Die eckige, kantige Formengebung mag zudem an Fuujin Monogatari erinnern, und erstaunlicherweise trägt das dazu bei, auch den hässlichen Seiten dieser Vorstadt einen einzigartigen, warmen Touch zu verleihen.
Cherry, der sich gerne mit Hilfe seiner Kopfhörer vor einer allzu aufdringlichen Umwelt abschirmen möchte, arbeitet aushilfsweise in einer Altentagesstätte, wo er sich öfters um Herrn Fujiyama kümmert, der mittlerweile etwas schrullig geworden ist und an der Schwelle zur Demenz rangiert.
Könnte man Cherry das Attribut Kopfhörer zuordnen und Smile das Attribut Mundschutz, so ist das bei Fujiyama-san eine leere Schallplattenhülle, die er die meiste Zeit mit sich herumträgt. Was es genau damit auf sich hat, damit rückt der Film erst im letzten Drittel heraus und inszeniert ein eigenes Drama um die Frage, was einem wichtig ist am Ende des Lebens.
Bis dahin aber fließt der Film leicht und luftig in heiteren Bahnen, konzentriert sich auf Bilder, die für sich selbst sprechen, kennt das passende Pacing, und auch die BGM unterstützt diese Atmosphäre nach Kräften. Daher erleben wir viel Slice of Life, das viel über die Charaktere aussagt, erleben unterschiedliche Stadien ihres Voranschreitens – wie auch ihre Rückschläge, wenn sie dann wieder, vom Draußen enttäuscht, sich in ihrer eigenen Welt einmummeln, ganz wie die Alten. Dieser Linie folgt auch der Humor, der sich ebenso leicht und unaufdringlich gibt, auch wenn er gerne mal Slapstickeinlagen im Stil von Pat & Patachon zitiert.
Am Ende, wenn es um die Auflösung von Fujiyamas Drama geht, schießt der Anime mal wieder kräftig übers Ziel hinaus, was irgendwie auch typisch japanisch ist. Das mindert aber nichts an der Sympathie, die man der Geschichte entgegenbringt und vor allem den Charakteren. So hohlköpfig sie an manchen Stellen auch agieren mögen: wo sonst hat man eine Rasselbande, die mangels ausreichender Natur ihre Hütte sich nicht im Wald baut, sondern auf einem Flachdach, und die sich ironischerweise nicht weniger exzentrisch gebärdet als die Senioren, die Cherry in der Altentagesstätte »Hidamari« betreut … (Ausgerechnet Hidamari, wo doch gefühlt jeder zweite Kindergarten in Japan so heißt.)
Und wo sonst hat man eine Bande Jugendlicher, die Häuser und Wände mit Graffiti beschmiert, und zwar mit den Haiku, die Cherry ihnen liefert? Zugegeben, den running gag mit der Verwechslung der gleichlautenden Kanji für 歯 (Zahn) und 葉 (Blatt) kommt ein wenig zu oft vor, aber man hat dennoch seinen Spaß damit. Vor allem, wenn von Smiles kleiner Schwester der durchaus ernstgemeinte Trost kommt, das sei doch gar nicht so schlimm mit der Zahnspange – sie fände das richtig meccha-ppoi …
Dieser Film ist erfrischend, leicht und bunt wie Zuckerwatte, und am Ende ebenso klebrig. Und wer übrigens dem Sinn dieses seltsamen Titels näher kommen will, sollte ihn im Original lesen, nämlich als Haiku:
So ein Film ist »Cider no You ni Kotoba ga Wakiagaru«. Und auch das Cover trügt nicht. Alles sprüht in allen möglichen Bonbonfarben, als sei eine Fabrik für Lebensmittelfarben explodiert, und strahlt eine Leichtigkeit des Lebens aus, wie man sie sonst nur in Mädchenzimmern findet. Von Mädchen, die in ähnlichem Alter sind wie die Protagonistin Smile.
Auch der Film transportiert eine solche Leichtigkeit. Eine farbenfrohe Leichtigkeit, in der alles glitzert und in der virtuell rosa Herzchen durchs Bild wabern, wie bei den Vlogs, die Smile für ihre Instagram-Community ins Netz stellt. So kommt es auch zum ersten großen Drama: dem ungeheuren Druck der Selbstoptimierung, dem auch Smile sich nicht entziehen zu können glaubt, und in dessen Folge sie den unschön hervorstehenden Hasenzähnchen zu Leibe rücken will. Vermittels einer Spange, die sie von ihrem Zahnarzt erhält und die sie – wen wundert's – alles andere als sexy findet. So kommt sie auf die blendende Idee, diesen Makel mit einem Mundschutz zu kaschieren.
Auf der anderen Seite haben wir Cherry, ein ungesund schüchterner Typ. Ein 17-jähriger Junge, der ein Faible für Haiku hat. Was eigentlich untertrieben ist, es ist eher schon eine Obsession; das einzige Medium, wie er meint, mit dem er sich Fremden gegenüber mitteilen kann.
Zwei Kandidaten also, die, obwohl von völlig gegensätzlichem Charakter, ihre eigenen Probleme mit ihrer Umwelt haben und vor allem mit sich selbst. Sie sind alles andere als geschaffen füreinander – und genau deshalb treffen sie aufeinander. Unter Zuhilfenahme eines furchtbar zufälligen Unfalls, wie das nur in Animes vorkommt. Dabei sind sie wirklich keine Einzelgänger; jeder hat seinen eigenen Freundeskreis, sogar eine intakte Familie (was in Anime auch nicht immer so gegeben ist), wo sie Rückhalt und Zuspruch finden und wo sie sich trittsicher bewegen können.
Das war's im wesentlichen. Es geht im Grunde nur darum zu zeigen, wie die beiden damit fertig werden und wie sie am Ende wieder in die Spur kommen. Größeres Drama steht nicht zu erwarten, wäre auch völlig unpassend angesichts der Richtung, die der Film schon sehr früh einschlägt.
Bemerkenswert ist, daß er sich völlig frei von moralischen Botschaften und klischeehaften Szenen zeigt, und wenn, dann auf eine heitere und sanft ironische Art. Das zeigt sich vor allem in der Optik, angesichts derer ich zuerst dem Verdacht nachhing, hier hätte Masaaki Yuasa vielleicht die falschen Drogen genommen. In dieser knallbunten, federleichten Präsentation hat mich das Werk zuerst an Kimi to, Nami ni Noretara erinnert, oder an etwas von Studio Colorido wie z.B. Penguin Highway. Die eckige, kantige Formengebung mag zudem an Fuujin Monogatari erinnern, und erstaunlicherweise trägt das dazu bei, auch den hässlichen Seiten dieser Vorstadt einen einzigartigen, warmen Touch zu verleihen.
Cherry, der sich gerne mit Hilfe seiner Kopfhörer vor einer allzu aufdringlichen Umwelt abschirmen möchte, arbeitet aushilfsweise in einer Altentagesstätte, wo er sich öfters um Herrn Fujiyama kümmert, der mittlerweile etwas schrullig geworden ist und an der Schwelle zur Demenz rangiert.
Könnte man Cherry das Attribut Kopfhörer zuordnen und Smile das Attribut Mundschutz, so ist das bei Fujiyama-san eine leere Schallplattenhülle, die er die meiste Zeit mit sich herumträgt. Was es genau damit auf sich hat, damit rückt der Film erst im letzten Drittel heraus und inszeniert ein eigenes Drama um die Frage, was einem wichtig ist am Ende des Lebens.
Bis dahin aber fließt der Film leicht und luftig in heiteren Bahnen, konzentriert sich auf Bilder, die für sich selbst sprechen, kennt das passende Pacing, und auch die BGM unterstützt diese Atmosphäre nach Kräften. Daher erleben wir viel Slice of Life, das viel über die Charaktere aussagt, erleben unterschiedliche Stadien ihres Voranschreitens – wie auch ihre Rückschläge, wenn sie dann wieder, vom Draußen enttäuscht, sich in ihrer eigenen Welt einmummeln, ganz wie die Alten. Dieser Linie folgt auch der Humor, der sich ebenso leicht und unaufdringlich gibt, auch wenn er gerne mal Slapstickeinlagen im Stil von Pat & Patachon zitiert.
Am Ende, wenn es um die Auflösung von Fujiyamas Drama geht, schießt der Anime mal wieder kräftig übers Ziel hinaus, was irgendwie auch typisch japanisch ist. Das mindert aber nichts an der Sympathie, die man der Geschichte entgegenbringt und vor allem den Charakteren. So hohlköpfig sie an manchen Stellen auch agieren mögen: wo sonst hat man eine Rasselbande, die mangels ausreichender Natur ihre Hütte sich nicht im Wald baut, sondern auf einem Flachdach, und die sich ironischerweise nicht weniger exzentrisch gebärdet als die Senioren, die Cherry in der Altentagesstätte »Hidamari« betreut … (Ausgerechnet Hidamari, wo doch gefühlt jeder zweite Kindergarten in Japan so heißt.)
Und wo sonst hat man eine Bande Jugendlicher, die Häuser und Wände mit Graffiti beschmiert, und zwar mit den Haiku, die Cherry ihnen liefert? Zugegeben, den running gag mit der Verwechslung der gleichlautenden Kanji für 歯 (Zahn) und 葉 (Blatt) kommt ein wenig zu oft vor, aber man hat dennoch seinen Spaß damit. Vor allem, wenn von Smiles kleiner Schwester der durchaus ernstgemeinte Trost kommt, das sei doch gar nicht so schlimm mit der Zahnspange – sie fände das richtig meccha-ppoi …
Dieser Film ist erfrischend, leicht und bunt wie Zuckerwatte, und am Ende ebenso klebrig. Und wer übrigens dem Sinn dieses seltsamen Titels näher kommen will, sollte ihn im Original lesen, nämlich als Haiku:
Saidaa no
You ni Kotoba ga
Wakiagaru
Beitrag wurde zuletzt am 04.03.2024 23:25 geändert.
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