A.I.C.O Incarnation - ein Originalwerk von Netflix, die ihr Anime-Angebot offenbar gehörig aufstocken wollen. Das heißt: Keine unvollständige Manga-/Light-Novel-Umsetzung und auch kein Visual-Novel-Murks, außerdem animiniert von BONES, die ja nicht unbedingt die Schlechtesten in ihrem Bereich sind.
Das könnte man glatt was erwarten ... aber man sieht immer mal wieder, dass solche Erwartung sträflichst enttäuscht werden können.
A.I.C.O Incarnation ist für mich insofern interessant, dass beides zutrifft.
5.5 von 10 - eine Wertung, die sich bei mir überwiegend Abbruchskandidaten einfangen. Dass ich die Serie aber dennoch beendet habe, liegt einerseits daran, dass die eigentliche Rahmenhandlung sowie ein guter Teil der Ereignisse mich ziemlich gut bei der Stange halten konnte, anderseits, dass es auf der technische Seite nichts zu meckern gab: Neben gefälligem Zeichenstil und Detailgrad sowie für meinen Geschmack guten Animationen wird die Farbpalette auch oft recht geschickt eingesetzt. Spätestens seit
Houseki no Kuni ist klar, dass CGI vorzüglich eingesetzt werden kann - das ist auch hier der Fall.
Ebenfalls lobend sei erwähnt, dass der Anime ein recht guten und vor allem passenden Soundtrack zu bieten hat, zu dem (seit Langem mal wieder) auch ein Vorspannlied gehört, dass ich mir durchaus gern anhörte. Das hat für mich Seltenheitswert, denn manchmal denke ich, Vor- und Abspann wurden nur zum Überspringen erfunden ...
Das Szenario ist ganz einfach obskur: Das Erzeugen künstlicher Körper und sogar Gehirne ist schon volles Science-Fiction-Programm, aber beim sogenannten "Matter" wird's noch bizarrer. Immerhin wurde die Serie so abgespult, dass ich wissen wollte, was hinter alledem nun wirklich steckt.
Durch die zügige Erzählweise vermeidet man zwar durchgängig Längen, allerdings passiert in den 12 Folgen so viel, dass manches einfach unzureichend erklärt wird. Besonders frappierend dabei die ganze Sache mit Yuzuha, wo ich immer noch nicht wirklich weiß, was das nun sollte ... vielleicht ist es auch einfach untergegangen, aber in Anbetracht dessen, dass einem vieles besser erklärt wird, wär das eher ein Armutszeugnis.
Die finale Episode schafft es übrigens weitestgehend, die restlichen Stränge zu Ende zu bringen, ist aber eben ein Paradebeispiel für einen zu gehetzten Ablauf - grad der Epilog wirkt wie eine Pflichtübung und enthält Details, die mich aufgrund der nachfolgenden Erklärungen auch gar nicht wirklich interessierten.
Die Charaktere sind jetzt nicht völlig nicht missraten, aber sie können ihre Reißbrettnatur schlichtweg nicht verbergen. Es fehlt auch einfach die Zeit, die Nebenfiguren auszuarbeiten - man erfährt so gut wie nichts über ihre Hintergründe, bestenfalls Andeutungen.
Der Großteil des Casts ist also einfach nur oberflächlich (meist auch fade) und kommt einem vom Verhaltensmuster her furchtbar vertraut vor. Würde man sich die Mühe machen, oft verwendete Kategorie aufzustellen, wäre eine Einordnung der Figuren sicher ein Kinderspiel.
Ausbrechen aus den gängigen Mustern tut jedenfalls keiner - sieht man vom vermeintlichen "Antagonisten" mal ab, der aber auch einfach nur von "blass" zu "irre" wechselt. Eine Masche, die alles andere als neu ist ...
Vor Klischees gefeit sind die zwei Hauptfiguren leider auch nicht. Aiko ist das schüchterne, liebe und teilweise willensstarke Mädchen, dass sich später immerhin (leider ziemlich sprungartig und damit unplausibel) weiterentwickelt, aber lange Zeit die gleichen Verhaltensweisen zeigt, bis es mir schon auf den Sack ging. Wenigstens hat sie ein einigermaßen interessante Hintergrundgeschichte, die auch ein paar nette Wendungen bereithält. Kanzaki Yuya ist erstmal nicht mehr als "Mysteriöser Knabe" (mit ein bisschen Beschützerkomplex), sorgt aber immerhin noch für gewisse Aha-Momente.
Wenn also die Figuren schon so schwächeln, kann von den Dialogen ja nicht viel erwartet werden, aber es kommt sogar noch schlimmer. Bestenfalls durchschnittlich und nur selten interessant, wirken sie diverse Male so, als würden sie direkt aus dem Lehrbuch kommen. Oder vom Reißbrett, was eigentlich mehr Sinn ergibt, dann von da scheinen ja auch die Figuren zu stammen ... jedenfalls kamen mir manche Formulierung samt Tonlage unangenehm vertraut vor - das hat man schon des Öfteren so gesehen und gehört. Hier waren offenbar nicht die erfahrendsten Leute am Werk.
Unangenehmerweise wird auch Etliches immer wieder ausgesprochen, z. B. Aikos Beteuerungen, sie wolle ihretwegen keine Verletzten/Toten oder Kanzakis Ansage, er werde Aiko zum "Primary Point" bringen und den Burst beenden. Mehrmals fragte ich mich: "Wie oft soll ich mir Sachverhalt X denn noch anhören? Danke sehr, ich hab's verstanden ..."
Was ebenfalls nervt und leider nicht nur einmal vorkommt: Die Figuren begreifen die z. T. offensichtlichsten Dinge nicht von allein. So muss zum Beispiel die spezielle Beschaffenheit der Heldin erst mehrsätzig kommentiert werden, bevor die "Nebenschablonisten" es mit einem lehrbuchgerechten Synchron-Huch kommentieren.
Wenn dann noch Zwischenmenschliches oder sogar versuchte Gefühlsduselei beginnt, wird's teilweise richtig grausig. Die völlig zweckfreie Pseudoromanze ist wahrscheinlich nur ein Item auf der ToDo-Liste gewesen, aber auch so gehen fast alle Versuche, Drama bzw. Gefühle zu erzeugen, ins Leere oder regelrecht nach hinten los. An manchen Stellen wurde es so schlimm, dass meine Fremdschämsensoren freundlich fragten, ob ich denn nicht ein wenig vorspulen könne - ein paar Mal war ich so nett.
Fazit: Relative interessante, wenn auch abstruse Handlung, technisch ziemlich gut, dafür mauer Cast und noch miesere Dialoge. Empfehlen kann ich das Werk also nur, wenn man nicht gar zu großen Wert auf die letzten zwei Dinge legt oder zumindest eine gewisse Elendsresistenz besitzt. Oder man einfach zusehen will, wie diverse Leute mit Laserknarren aller Art auf teils gewaltige Schleimberge in den unterschiedlichsten Rottönen ballert ;)