Wandering Son (2002)

Es gibt nur wenige Mangas, die ich als schön bezeichnen würde, und Hourou Musuko ist einer davon. Takako Shimura erzählt wie immer sehr feinfühlig und ruhig eine Geschichte über einen Jungen, der mit dem falschen Geschlecht geboren wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Mangas mit dem Thema "Genderbender" nimmt die Mangaka die Vorliebe des Helden ernst und setzt sie nicht dem Spott aus. Das bedeutet aber nicht, dass die Geschichte besonders dramatisch oder schwermütig ist, denn das Thema "Diskriminierung von Transsexuellen" spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der Held Shuuichi wäre dafür wohl auch noch zu jung; er steht erst gerade am Anfang der Pubertät. Stattdessen handelt Hourou Musuko so wie Aoi Hana vor allem vom Alltagsleben der Charaktere und ihren Beziehungen untereinander. Shimura bleibt auch sonst ihrem Stil treu und wechselt oft unvermittelt zwischen den Handlungsebenen, sodass jede der sympathischen Figuren mal ins Rampenlicht rückt, und setzt auch gerne überraschende Zeitsprünge ein. Der Leser muss also etwas aufpassen, um nicht den Faden zu verlieren.

Das Grundkonzept von Hourou Musuko ist schnell beschrieben: Ein Junge, der lieber ein Mädchen wäre, und ein Mädchen, das lieber ein Junge wäre gehen gemeinsam in die 5. Klasse einer Grundschule, freunden sich miteinander an, und tauschen sich über ihre jeweiligen Fantasien miteinander aus. Hinter dieser Ausgangssituation steckt zunächst einmal genau das, was man auch vermuten würde: Ein Alltagsdrama mit viel Coming of Age und einer klaren Fokussierung auf die Thematik Gender Bender. Wie diese Geschichte erzählt wird ist allerdings ebenso ungewöhnlich wie beeindruckend.


Zunächst einmal muss erwähnt werden, dass Autorin Takako Shimura, die manchen vielleicht durch Aoi Hana ein Begriff ist, über diesen gesamten Manga hinweg stets auf überzogene Dramatisierungen verzichtet und beim Leser nie zu sehr auf die Tränendrüse drückt. Dies ergibt sich schon daraus, dass Protagonist Shuuichi und seine Freundin Takatsuki, für ihr Verlangen dem anderen Geschlecht anzugehören, mit deutlich weniger gesellschaftlicher Ablehnung konfrontiert werden, als man dies im realen Leben erwarten sollte. Das Hauptaugenmerk liegt hier somit nicht auf der gesellschaftlichen Perspektive, sondern auf der Ebene der Beziehungen innerhalb eines eher kleinen Casts an Charakteren und den Gefühlen derselbigen. Hierbei wird nicht nur auf Shuuichi, sondern auch auf alle anderen wichtigeren Figuren, bei denen es sich hauptsächlich um Shuuichis Klassenkameraden handelt, intensiv eingegangen. Der Manga beinhaltet somit auch eine ganze Reihe innere Monologe und beschäftigt sich auch schon einmal über ein ganzes Kapitel hinweg fast komplett nur mit einem der Nebencharaktere. Dadurch bekommt man als Leser den Eindruck, dass sich hier nicht nur alles um den Protagonisten dreht, sondern viel mehr die dynamische Entwicklung einer Gruppe Heranwachsender und deren Emotionen und Beziehungen zueinander dargestellt werden soll. Dennoch ist Shuuichi natürlich jener Charakter, auf den am meisten eingegangen wird, was sich auch durchaus auszahlt, denn dieser stellt durch seinen einerseits schüchtern wirkenden, aber andererseits auch sehr offenen und selbstbewussten Charakter einen äußerst interessanten Protagonisten dar, an dessen Glaubwürdigkeit man nie zweifeln muss und für den man sowohl Mitgefühl als auch Respekt empfinden kann. Ähnlich verhält es sich auch mit den Nebencharakteren, welche sich allesamt altersgemäß verhalten und sowohl interessant, als auch nicht zu stereotyp sind. Etwas unglaubwürdig wird es nur bei der Zusammensetzung der Charaktere. Aufgrund der Gender Bender Thematik, kommen in Hourou Musuko natürlich auch ein ganzer Haufen Charaktere vor, die alle in gewisser Weise etwas mit dem Thema zu tun haben und häufig auch selbst schon Crossdressing Erfahrungen gemacht haben, oder im späteren Verlauf noch machen. Man kann sich hier also ein wenig über den doch recht großen Zufall wundern, dass sich ein crossdressender Protagonist zufällig in einer Gegend aufhält, in der es auch deutlich überproportional viele andere Crossdresser zu geben scheint. Was das Crossdressing angeht ist der Manga ansonsten allerdings erfreulich nüchtern und glaubwürdig. Bei keinem der Charaktere hat man das Gefühl, er würde nur auf diese Eigenschaft reduziert werden.
Erwähnenswert ist zudem noch, der bereits zu Anfang genannte Erzählstil, der mich hier wirklich beeindruckt hat. Denn obwohl dieser ein fast schon mörderisches Tempo an den Tag legt, wirkt Hourou Musuko dennoch wie eine sehr ruhige Geschichte, bei der viel Wert auf die Gedanken und Gefühle der Figuren gelegt wurde. Nur allzu häufig wird in dieser Geschichte sowohl zeitlich als auch inhaltlich hin und her gesprungen und häufig wundert man sich, wie schnell manche scheinbar besonders bedeutsamen Szenen abgehandelt werden. Besonders letzteres ist auch eine Folge der bereits erwähnten fehlenden Dramatisierung. Handlungen werden hier nie künstlich aufgebauscht und in die Länge gezogen um die Spannung zu steigern, sondern fast schon nüchtern und sachlich abgehandelt. Dadurch und aufgrund der häufigen Handlungssprünge fordert Hourou Musuko vom Leser durchaus ein gewisses Maß an Konzentration. Wer sich einfach nur zurücklehnen und das Gehirn ausschalten möchte, kann hier somit auch schnell einmal den Faden verlieren. Um so erstaunlicher ist es somit, dass man am Ende dennoch stets das Gefühl hat, sehr vielschichtige Charaktere vor sich zu haben, deren Gefühlswelt einem ausgesprochen detailliert beschrieben wurde.

Fazit:
Hourou Musuko ist ein echter Manga zum genießen - aber auch zum Mitdenken, denn ganz einfach macht es der sprunghafte Erzählstil dem Leser nicht. Wer dies beherzigt bekommt hier allerdings eines der emotional schönsten Alltagsdramen präsentiert. Die Charaktere sind sympathisch und das Gender Bender Setting wird auf angenehm klischeelose Weise dargestellt, ohne dass viel Wert auf die gesellschaftliche Ebene gelegt wird. Stattdessen konzentriert Takako Shimura sich vor allem auf die Gefühlswelt ihrer Figuren und deren Interaktion miteinander.