AsaneRedakteur
#1Was sich dem Zuschauer hier ins Gemüt träufelt, ist nichts weniger als ein bühnenreifes Drama in drei Akten.
Ein Superhelden-Drama, wie es generischer nicht sein könnte, und Takena, der kreative Kopf hinter diesem knetigen Film, tut wirklich alles dafür, ja kein Klischee und keine noch so altbackene Standardsituation auszulassen, denn »Lemon Home Anime« ist ein Paradebeispiel für die parodistische Annäherung an ein wahrhaft abgenudeltes Genre, das hier mit wenig Aufwand und großem Spaß zerpflückt wird. Wie immer natürlich als Stummfilm, wobei dem immensen dramatischen Potential mit haufenweise Texttafeln beizukommen versucht wird.
Zum Plot:
Die Tochter des Professors* ist entführt worden, was in einer Art Prolog aufs herzergreifendste bebildert wird.
Da fasst er einen Entschluss, denn so kann es nicht weitergehen. Wahrscheinlich taugt die Polizei mal wieder nichts (wie immer, wenn Superhelden ins Spiel kommen), also nimmt er die Dinge selbst in die Hand, betritt sein Robotik-Labor und schafft einen Helden, der für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen soll.
Derweil sich der arme Mann nochmals den Zeitungsartikel zu Gemüte führt, auf daß auch der Zuschauer wisse, was sich da letztens Tragisches ereignet hat: Das unschuldige, süße Kind wurde von einer Monstertermite entführt!
Kurzerhand wird eine Zitrone (Vitamine!) nach bester Frankenstein-Manier zum Leben erweckt, und als krönender Höhepunkt bekommt sie noch einige der üblichen ritterlichen Tugenden intravenös verabreicht: Rechtschaffenheit, Mut und Willenskraft. Und natürlich einen Namen: "Lemon-chan". Ende des 1. Aktes.
Wie die berühmte Raupe, so sind auch diese Termiten vom Schlage Nimmersatt. Wieder belästigt ein Exemplar dieser Krabbelviecher das Heim des Professors und macht sich anheischig, dessen niedliche Frau zu entführen. Fans von Takena dürften sie kennen, denn sie ist die Protagonistin »Girl X« aus dem gleichnamigen Clip in genau der gleichen Wohnlandschaft, und man kann zufrieden registrieren, daß sie aus dem Termiten-Vorfall gelernt hat und sich nachmals entschlossen zu wehren weiß, wiewohl sie hier in »Lemon Home« noch auf die Tatkraft des ritterlichen Helden angewiesen ist, der seine körperliche Unterlegenheit mit brillanten Martial-Arts-Einlagen auszugleichen versteht. Das feige Vieh verkrümelt sich jedoch rechtzeitig in das Loch, dem es entkrochen ist, doch gestärkt durch Liebe und Zuspruch folgt Lemon ihm furchtlos hinab in die finsteren Tiefen des Unbekannten. Ende des zweiten Aktes. Und Cliffhanger.
Furchtlos entert Lemon-chan die entsetzliche Höhle der Termitenkönigin, und angetrieben von der Kraft der Liebe macht er sich auf die Suche nach dem vielbeinigen Monster. Eine auktoriale [WP] Texttafel bestätigt die Richtigkeit seiner Vermutungen:
<spoiler>
Absonderliche, tückische Termitenschnecken kreuzen seinen Weg, und er lernt, wie der Zuschauer selbst, auf eindringliche Weise die Infamie und Skrupellosigkeit der sich besorgt und liebreich gebenden Königin kennen. Einfach, damit nochmals klar wird, wie sehr diese märchenhaft stiefmütterliche Gestalt durch und durch von Bosheit durchdrungen ist. Doch eine Ecke weiter schon entdeckt der Held das Versteck der Gefangenen und vermag diese durch seine ihm verliehenen Heldenkräfte im Nu zu befreien. Vorbildliche Höflichkeit und manierliches Betragen prägen diese rührende Szene, und der Abmarsch ins lichte Reich des Lebens wäre reine Formsache, stünde da nicht eine erzürnte Person diesem Ansinnen im Wege, die nun allen Anschein von königlicher Huld und Güte fahren lässt und die hässliche Fratze ihrer wahren Natur zeigt. Ein echter Held entkommt jedoch auch solcher Gefahr, und so führt ihn sein Weg zurück in die heimelige Wärme einer pinkdurchseuchten Wohlfühlwohnung, wo er das befreite Kind abliefert. Ende des dritten Aktes.
Epilog: Natürlich berichten die Gazetten auch über diese glückliche Fügung …
… nicht ohne den Zusatz:
</spoiler>
Gedanken, Bemerkungen und Schlusswort – und vielleicht ein Fazit
Nahezu unverändert könnte man als Schlusswort samt Moral jene berühmten Verse anführen:
Denn nach dieser Maxime und in diesem Sinne ist das ganze Abenteuer gestrickt. Kindgerecht vereinfacht und mit viel Liebe zum Detail. Diese Detailverliebtheit äußert sich jedoch keineswegs in Äußerlichkeiten wie der Qualität der Figuren oder der Akkuratesse ihrer Bewegungen, sondern sie spielt sich auf anderer Ebene ab. Die Figuren sind eher grob belassen, mit deutlichen und ungeglätteten Ritzungen und Einkerbungen. Das Gemachte der ganzen Staffage, Bühne wie Personal, bleibt ungeschönt sichtbar. Das ist Absicht und Teil von Takenas künstlerischem Konzept. Wie auch die intentionell unfertige Ausführung, die ans Unverschämte grenzt. Wie hier bei der grob in den Karton geschnittenen Tür oder hier, wo Lemon-chan plötzlich in einem dramatisch ausgeleuchteten Dungeon aus grauem Packpapier steht. Natürlich auch hier im Labor, wo der zitronige Geselle an Gerätschaften angeschlossen ist, die ausschauen wie liebevoll bemalte Einzelteile aus einem Lego-Baukasten, in den schönsten Kindergartenfarben.
Die Inszenierung von narrativen Bausteinen, das Zitat von unverzichtbaren theatralischen Gestaltungsprinzipien aus der Asservatenkammer des großen Kinos, von hintergründigen Kulissen und Kostümen, die mehr sind, als nur Oberfläche und schöner Schein, all das fügt sich zu einer teils humoristischen, teils hintersinnigen Parodie, die sich in all ihren Facetten erst auf den zweiten Blick offenbart. Wie zu sehen beim unteren Teil der Zeitung, wo die Rede von einer fortan termitenfreien Wohnung ist, deren Doppelsinn sich erst erschließt, wenn man weiß, daß die Firma "Lemon Home", für die dieser Film produziert wurde, im Wohnungsbau tätig ist.
Garniert wird diese impertinente ästhetische Zumutung von einer äußerst schlicht gehaltenen "BGM", klanglich wie technisch, die sich nur auf entkernte, abgespeckte Entsetzens-Dissonanzen und Wohlfühl-Jingles im Billigkeyboard-Sound beschränkt. Cineastischer Anspruch kollidiert unentwegt mit künstlerischer Unbedarftheit. Aus dieser Diskrepanz gewinnt dieses kleine Drama in 3 Akten einen Gutteil seines Humors.
Wer dies alles zu wörtlich nimmt und in dem, was ihm augenscheinlich aufgetischt wird, die Essenz des Werkes erblicken will, hat eigentlich schon verloren. Aber auch das bloße Spiel mit dem Schein selbst trifft nicht den Wesenskern; auch hier, wie bei den meisten Werken von Takena [Youtube], muss man zwischen den Zeilen lesen, das Gesehene analysieren, die hintergründigen Implikationen erkennen und einordnen. Wie etwa beispielhaft bei »Chainsaw Maid« oder bei »Pussycat«.
Gut, man muss nicht, aber man sollte. Ansonsten entgeht einem die Hälfte des Spaßes bei der ganzen Sache.
Ein Superhelden-Drama, wie es generischer nicht sein könnte, und Takena, der kreative Kopf hinter diesem knetigen Film, tut wirklich alles dafür, ja kein Klischee und keine noch so altbackene Standardsituation auszulassen, denn »Lemon Home Anime« ist ein Paradebeispiel für die parodistische Annäherung an ein wahrhaft abgenudeltes Genre, das hier mit wenig Aufwand und großem Spaß zerpflückt wird. Wie immer natürlich als Stummfilm, wobei dem immensen dramatischen Potential mit haufenweise Texttafeln beizukommen versucht wird.
Zum Plot:
Die Tochter des Professors* ist entführt worden, was in einer Art Prolog aufs herzergreifendste bebildert wird.
*
博士 – "Hakase" – bedeutet wörtlich zwar "Doktor", aber "Professor" klingt gewichtiger und ist aufs Ganze gesehen treffender als das mehrdeutige "Doktor".
Da fasst er einen Entschluss, denn so kann es nicht weitergehen. Wahrscheinlich taugt die Polizei mal wieder nichts (wie immer, wenn Superhelden ins Spiel kommen), also nimmt er die Dinge selbst in die Hand, betritt sein Robotik-Labor und schafft einen Helden, der für ihn die Kohlen aus dem Feuer holen soll.
So steht es geschrieben I
花水川ロボット研究所 – Roboter-Forschungsinstitut
Derweil sich der arme Mann nochmals den Zeitungsartikel zu Gemüte führt, auf daß auch der Zuschauer wisse, was sich da letztens Tragisches ereignet hat: Das unschuldige, süße Kind wurde von einer Monstertermite entführt!
So steht es geschrieben II
花水川博士の娘、怪人シロアリーに 誘拐される!!– Tochter von Professor Hanamizugawa von Monster-Termite entführt!!
Kurzerhand wird eine Zitrone (Vitamine!) nach bester Frankenstein-Manier zum Leben erweckt, und als krönender Höhepunkt bekommt sie noch einige der üblichen ritterlichen Tugenden intravenös verabreicht: Rechtschaffenheit, Mut und Willenskraft. Und natürlich einen Namen: "Lemon-chan". Ende des 1. Aktes.
So steht es geschrieben III
命名レモンちゃん – Dein Name sei Lemon-chan!
Wie die berühmte Raupe, so sind auch diese Termiten vom Schlage Nimmersatt. Wieder belästigt ein Exemplar dieser Krabbelviecher das Heim des Professors und macht sich anheischig, dessen niedliche Frau zu entführen. Fans von Takena dürften sie kennen, denn sie ist die Protagonistin »Girl X« aus dem gleichnamigen Clip in genau der gleichen Wohnlandschaft, und man kann zufrieden registrieren, daß sie aus dem Termiten-Vorfall gelernt hat und sich nachmals entschlossen zu wehren weiß, wiewohl sie hier in »Lemon Home« noch auf die Tatkraft des ritterlichen Helden angewiesen ist, der seine körperliche Unterlegenheit mit brillanten Martial-Arts-Einlagen auszugleichen versteht. Das feige Vieh verkrümelt sich jedoch rechtzeitig in das Loch, dem es entkrochen ist, doch gestärkt durch Liebe und Zuspruch folgt Lemon ihm furchtlos hinab in die finsteren Tiefen des Unbekannten. Ende des zweiten Aktes. Und Cliffhanger.
So steht es geschrieben IV
シロアリーのアジトに突入するレモンちゃん! – Erobere ihr Versteck, Lemon-chan!
はたして博士は娘を無事に救出できるのか? – Kann der Professor seine Tochter wirklich retten?
はたして博士は娘を無事に救出できるのか? – Kann der Professor seine Tochter wirklich retten?
Furchtlos entert Lemon-chan die entsetzliche Höhle der Termitenkönigin, und angetrieben von der Kraft der Liebe macht er sich auf die Suche nach dem vielbeinigen Monster. Eine auktoriale [WP] Texttafel bestätigt die Richtigkeit seiner Vermutungen:
So steht es geschrieben V
突入!シロアリーの秘密基地 – Das ist sie! Die Geheimbasis der Termiten.
<spoiler>
Absonderliche, tückische Termitenschnecken kreuzen seinen Weg, und er lernt, wie der Zuschauer selbst, auf eindringliche Weise die Infamie und Skrupellosigkeit der sich besorgt und liebreich gebenden Königin kennen. Einfach, damit nochmals klar wird, wie sehr diese märchenhaft stiefmütterliche Gestalt durch und durch von Bosheit durchdrungen ist. Doch eine Ecke weiter schon entdeckt der Held das Versteck der Gefangenen und vermag diese durch seine ihm verliehenen Heldenkräfte im Nu zu befreien. Vorbildliche Höflichkeit und manierliches Betragen prägen diese rührende Szene, und der Abmarsch ins lichte Reich des Lebens wäre reine Formsache, stünde da nicht eine erzürnte Person diesem Ansinnen im Wege, die nun allen Anschein von königlicher Huld und Güte fahren lässt und die hässliche Fratze ihrer wahren Natur zeigt. Ein echter Held entkommt jedoch auch solcher Gefahr, und so führt ihn sein Weg zurück in die heimelige Wärme einer pinkdurchseuchten Wohlfühlwohnung, wo er das befreite Kind abliefert. Ende des dritten Aktes.
Epilog: Natürlich berichten die Gazetten auch über diese glückliche Fügung …
So steht es geschrieben VI
レモン新聞 号外 – Lemon-Zeitung Extrablatt
花水川博士の娘、無事救出きるの!– Tochter des Professors gerettet!
花水川博士の娘、無事救出きるの!– Tochter des Professors gerettet!
So steht es geschrieben VII
レモンホームの家はシロアリを寄せつけません – Im Lemon-Haus werden Termiten sich nicht mehr blicken lassen!
Gedanken, Bemerkungen und Schlusswort – und vielleicht ein Fazit
Nahezu unverändert könnte man als Schlusswort samt Moral jene berühmten Verse anführen:
Lange schallt’s im Walde noch:
Salamander lebe hoch!
Denn nach dieser Maxime und in diesem Sinne ist das ganze Abenteuer gestrickt. Kindgerecht vereinfacht und mit viel Liebe zum Detail. Diese Detailverliebtheit äußert sich jedoch keineswegs in Äußerlichkeiten wie der Qualität der Figuren oder der Akkuratesse ihrer Bewegungen, sondern sie spielt sich auf anderer Ebene ab. Die Figuren sind eher grob belassen, mit deutlichen und ungeglätteten Ritzungen und Einkerbungen. Das Gemachte der ganzen Staffage, Bühne wie Personal, bleibt ungeschönt sichtbar. Das ist Absicht und Teil von Takenas künstlerischem Konzept. Wie auch die intentionell unfertige Ausführung, die ans Unverschämte grenzt. Wie hier bei der grob in den Karton geschnittenen Tür oder hier, wo Lemon-chan plötzlich in einem dramatisch ausgeleuchteten Dungeon aus grauem Packpapier steht. Natürlich auch hier im Labor, wo der zitronige Geselle an Gerätschaften angeschlossen ist, die ausschauen wie liebevoll bemalte Einzelteile aus einem Lego-Baukasten, in den schönsten Kindergartenfarben.
Die Inszenierung von narrativen Bausteinen, das Zitat von unverzichtbaren theatralischen Gestaltungsprinzipien aus der Asservatenkammer des großen Kinos, von hintergründigen Kulissen und Kostümen, die mehr sind, als nur Oberfläche und schöner Schein, all das fügt sich zu einer teils humoristischen, teils hintersinnigen Parodie, die sich in all ihren Facetten erst auf den zweiten Blick offenbart. Wie zu sehen beim unteren Teil der Zeitung, wo die Rede von einer fortan termitenfreien Wohnung ist, deren Doppelsinn sich erst erschließt, wenn man weiß, daß die Firma "Lemon Home", für die dieser Film produziert wurde, im Wohnungsbau tätig ist.
Garniert wird diese impertinente ästhetische Zumutung von einer äußerst schlicht gehaltenen "BGM", klanglich wie technisch, die sich nur auf entkernte, abgespeckte Entsetzens-Dissonanzen und Wohlfühl-Jingles im Billigkeyboard-Sound beschränkt. Cineastischer Anspruch kollidiert unentwegt mit künstlerischer Unbedarftheit. Aus dieser Diskrepanz gewinnt dieses kleine Drama in 3 Akten einen Gutteil seines Humors.
Wer dies alles zu wörtlich nimmt und in dem, was ihm augenscheinlich aufgetischt wird, die Essenz des Werkes erblicken will, hat eigentlich schon verloren. Aber auch das bloße Spiel mit dem Schein selbst trifft nicht den Wesenskern; auch hier, wie bei den meisten Werken von Takena [Youtube], muss man zwischen den Zeilen lesen, das Gesehene analysieren, die hintergründigen Implikationen erkennen und einordnen. Wie etwa beispielhaft bei »Chainsaw Maid« oder bei »Pussycat«.
Gut, man muss nicht, aber man sollte. Ansonsten entgeht einem die Hälfte des Spaßes bei der ganzen Sache.
Beitrag wurde zuletzt am 19.04.2024 13:31 geändert.
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